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Vor sich hin fluchend, taumelte er zwischen den Grabstellen umher. Und wie er da so im Nebel herumirrte, wirkte er selbst wie ein auferstandener Toter.

»Eieiei, sind die Wege schlecht. Man stolpert ja über jeden Stein!« fluchte er.

Der pflichteifrige Mann machte den Boden dafür verantwortlich, daß er schwankte. Aber mochte er auch äußerlich schwanken, sein Pflichtgefühl war so starr wie ein eiserner Ladestock, und den Weg fand er selbst mit geschlossenen Augen.

»Ist das komisch«, brabbelte er, »ach, ist das komisch, all diese Grabsteine, ist das komisch. Wie eine in Linie angetretene Armee. Und ich bin der General, der seine Truppen abschreitet – nur warum wackeln die Leute so?« Und nach einigen taumelnden Schritten des Überlegens: »Ha, ich hab’s. Das ist eine andere Armee.« Er stampfte mit dem Fuß auf die Erde. »Wenn die wenigstens aufrecht stehen könnten, aber nichts, alles f… fi… fi… fini…, sch… sch… sche… schöne Truppe!«

Da tat er einen Fehltritt und schlug längelang hin. Sofort war er wieder auf den Beinen und fluchte: »Scheißweg. Ich werde mich beim Friedhofsminister beschweren.« Dann fiel ihm die Sache mit den Auferstandenen ein. »Der ist doch verrückt. Auferstandene! Der mit seinen Auferstandenen.«

Das Lachen des Betrunkenen überschnitt sich in der nächtlichen Stille mit anderen Geräuschen. Looker blieb plötzlich stehen und warf einen erstaunten Blick um sich.

»Was? Was ist das?« stammelte er. »Ich hab doch irgendwas gehört.«

Einen Augenblick stand er da und spitzte die Ohren. Da alles ruhig blieb, setzte er seinen Gang fort.

»Hab mich getäuscht! Das muß der Brandy sein, der in meinem Kopf dröhnt. Ist ja auch gleich. Der Friedhof ist aber heute abend auch groß. Ich bin immer noch nicht am Ende. Wahrscheinlich haben sie die Mauer versetzt, ohne mir Bescheid zu sagen. Oh, diese Verwaltung. Keine Ordnung! Keine Ordnung!«

In diesem Augenblick strich ihm ein heftiger Windstoß über die brennende Wange. Mechanisch griff er sich mit der Hand ans Gesicht.

»He! Was soll das? Keine Vertraulichkeiten! Wer erlaubt sich, mir an die Nase zu fassen?«

Mit seiner freien Hand packte er plötzlich seine andere, die er gerade in Höhe seines Gesichtes gehoben hatte. Ihm schauderte vor Entsetzen.

»Eine Hand! Das glaubt mir keiner …, ich habe sie … Was bedeutet das? Eine Hand, die nachts allein auf dem Friedhof spazierengeht. Nein! Das ist doch nicht zu fassen! Zu Hilfe! Diese verdammten Auferstandenen!«

In seiner Verwirrung packte Jeremiah die Hand immer fester, ohne zu merken, daß es seine eigene war. Und die ließ ebenfalls nicht locker.

»Was! Was! Du willst mir widerstehen? Zwecklos, ich halte dich fest, im Namen des Gesetzes.«

Mitten im Kampfgetümmel stieß der Totengräber mit dem Kopf an eine Grabstele. Es war ein arger Schmerz, so daß die beiden Hände ihr Opfer mit einem Ruck losließen und sich zum Himmel reckten.

»Man hat mich geschlagen! Wo steckt der Kerl? Brauchst dich gar nicht zu verstecken … Warte … Gleich haben wir ihn … Hat sich losgerissen. Eben hatte ich noch seine Hand …!«

Einige Sekunden drehte sich Looker wie ein Kreisel um sich selbst. Als er wieder gerade stand, versuchte er in dem Dunst etwas auszumachen …

»Nichts! Nichts! Ich verlange einen Hund von der Verwaltung, einen Hund! Oder zwei …, die brauch ich unbedingt …, unbedingt!«

Von Minute zu Minute wurde er betrunkener.

»Seltsam! Den Lehrer hab ich ausgelacht, wenn er sagte, die Erde dreht sich um sich selbst … Und jetzt …, eh, Monsieur Lehrer, Sie haben recht, ich spür’s.«

Der arme Totengräber hatte tatsächlich das Empfinden, der Boden gebe unter seinen Schritten nach. Die mit seltsamen Monumenten bestandene Erdoberfläche – dunkel erinnerte er sich, daß dies Gräber, Monumente, Stelen, Kreuze, Türmchen sein mußten – drehte sich wie ein Karussell, während der sternenübersäte Himmel im entgegengesetzten Sinn rotierte. Um dem Drehen Einhalt zu gebieten, klammerte sich Looker an ein Grabmal, das am Wege stand.

»Mein armer Junge«, wimmerte er, »Gott sei Dank, daß du hier liegst … Ohne dich hätte ich keinen Halt mehr. Aber es ist hier auch nicht besser …, das dreht sich ja immer noch …, die Erde soll aufhören, oder ich guck selber nach …«

Seine Beine kamen seinem Wunsch sofort nach. Er schlug längelang zu Boden.

In dieser Lage fand er momentane Erleichterung.

»So geht’s besser«, stammelte er und streichelte die Erde. »Dreh dich, mein Mädchen, dreh dich nur, ich sitze.«

Aber mit einemmal versagte ihm die Stimme, seine Augen weiteten sich.

»Was ist denn das? Man läuft auf dem Friedhof umher … Das ist diesmal keine Hand; das sind Füße.«

Er beugte sich vor und versuchte, die nächtlichen Spaziergänger besser zu erkennen.

»Sicher sind das genauso arme Leute wie ich«, brabbelte er. »Denn man trifft sich doch hier nicht, um zu feiern … Hmhm, schwankende Schritte … Die Armen haben Brandy getrunken.«

Und nachdem er vor sich hin gekichert hatte, war er plötzlich von der behutsamen Sorge der Betrunkenen beseelt, ihresgleichen helfen zu müssen.

»Ich werde sie auf ihren Weg zurückführen … Wie sind sie nur hierhergekommen? Ha, man hat die Mauer nicht versetzt, man hat sie abgerissen! Oh, die Verwaltung … Aber wenn es keine Mauer mehr gibt, bin ich vielleicht schon außerhalb des Friedhofes … Zum Teufel! Mal gucken … Wo geht es hier eigentlich lang … Nein, nein, Irrtum …, ich bin noch im Friedhof. Genau gegenüber ist die Weide, unter der das Grab von Korsar Triplex ist …, dieser edle und tapfere Korsar, der mir einen so angenehmen Abend verschafft hat …«

Und er fing an zu flennen.

»Armer lieber guter alter Korsar … Wie blöd von ihm, sich begraben zu lassen. Wär doch viel lustiger für ihn, wenn er mit uns getrunken hätte. Aber beruhige dich, armer lieber guter alter Freund, ich hab für zwei getrunken, und immer auf deine Gesundheit … und nun wein ich um dich«, schloß er und wischte sich die Tränen ab, die über seine Wangen kullerten.

Das plötzliche Auftauchen mehrerer Personen unter der Weide, die er eben noch als Markierung ausgemacht hatte, gab seiner Irrerederei eine neue Wendung.

Im nächtlichen Dunst waren bizarre Gestalten zu erkennen; und Looker glaubte Männer und Frauen zu unterscheiden.

»Ah, die sind das«, murmelte er ängstlich. »Was wollen sie denn hier?«

Eine der nächtlichen Erscheinungen hatte sich vorgebeugt.

»Der gräbt ja«, flüsterte Looker.

Der dumpfe Ton einer Schaufel, die in die Erde fuhr, bewies dem Betrunkenen, daß er richtig gesehen hatte.

»Wollen die etwa den armen lieben alten guten Freund von Korsar ausbuddeln? Hallo! hallo! Ich bin hier! Das wollen wir doch mal sehen.«

Jeremiah krampfte sich verzweifelt an den Grabstein und versuchte, in eine vertikale Lage zu gelangen. Bevor jedoch sein Bemühen von Erfolg gekrönt sein mochte, drang eine Stimme bis zu ihm.

»Fürchten Sie nichts, Miß«, sagte diese Stimme, »unser Triplex wird aus seinem Sarg steigen und Ihnen die Hand küssen.«

»Er wird aus dem Sarg steigen«, stammelte der Totengräber, und seine Haare sträubten sich.

Seine Zähne klapperten. Von neuem knickten ihm die Beine weg, und er fiel so unglücklich, daß er sich den äußerst empfindlichen verlängerten Rücken seines Körpers an einer Ecke der Grabeinfassung stieß. Er wimmerte. Er hatte sich weh getan und wohnte nun entgeistert und stumm, die rechte Hand aufs Herz, die linke auf die malträtierte rückwärtige Stelle gepreßt, einem außergewöhnlichen Schauspiel bei.

Die Unbekannten wühlten die Erde auf; jetzt arbeiteten mehrere. Man hörte Eisen auf Stein treffen, und neben den Gestalten erhob sich bald ein Erdhaufen. Soweit der Totengräber im Dunst unterscheiden konnte, wohnten elegant gekleidete Frauen diesem geheimnisvollen Tun bei. Es waren drei. Die eine schien verzweifelt zu sein, während ihr die anderen Mut zu machen schienen.