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In Panik lief er noch einmal durch die Zimmer. Vor dem Schlafzimmer zögerte er kurz, er hatte es vorhin nicht betreten. Aber das war nur ein kurzer Augenblick. Er mußte Gewißheit haben. Heftig stieß er die Tür auf, trat ein und blickte sich um.

Das Zimmer war leer. Das unberührte Bett bewies, daß die Bewohnerin letzte Nacht nicht in ihm geschlafen hatte.

Allsmine heulte auf wie ein verwundetes Tier. Seine blutunterlaufenen Augen musterten das Zimmer. Plötzlich verhielten sie auf einem Brief, der mitten auf einem Kissen lag. Offensichtlich sollte man ihn nicht übersehen. Mit einem Sprung war Toby bei dem Brief, riß den Umschlag auf, auf dem stand »Für Sir Toby Allsmine«, faltete ein Blatt Papier auseinander, das in ihm steckte, und überflog mit einem Blick, was darauf stand: »Zu dieser Stunde bin ich bei meiner Tochter Maudlin. Ich will nicht anklagen, aber an der Seite meines geliebten Kindes hoffe ich in der Zurückgezogenheit auf die Gerechtigkeit, die die Schuldigen zur Verantwortung zieht.«

»Abgereist«, stammelte Sir Toby, »abgereist …! Ihre Tochter am Leben … Korsar Triplex! Das ist die Hölle! Alles hat sich gegen mich verschworen!«

Ohnmächtig fiel er zu Boden.

Zweiter Teil

Die Goldinsel

Erstes Kapitel

Dreimal Zero

Sechs Monate vor den Ereignissen, die im ersten Teil beschrieben wurden, legte ein englisches Passagierschiff, die Botany, in Port Jackson an. Unter den zahlreichen Passagieren, die sich über die Kais ergossen, befand sich auch ein junger Mann mit einem überaus traurigen Gesichtsausdruck. Das war Robert Lavarède, der es innerlich aufgegeben hatte, seinen Namen und seine französische Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen, die ihm durch die angelsächsisch-ägyptischen Querelen abhanden gekommen waren, und der es deshalb vorgezogen hatte, Lotia zu entfliehen und auf dem australischen Eiland unterzutauchen, auf dem er früher schon einmal als Thanis interniert gewesen war.

Warum wohl hatte er dieses Land jedem anderen vorgezogen?

Weil, so vermuten wir, in jedem Menschen, so deprimiert er auch sein mag, die Blume der Hoffnung niemals verwelkt.

Und Robert hoffte. Wenn auch ohne große Zuversicht. Aber er hatte es sich in den Kopf gesetzt, als letzte Möglichkeit Niari für sich zu gewinnen, um von dem patriotischen Ägypter eine Erklärung zu erhalten, die ihm erlaubte, wieder er selbst zu werden. Deshalb war er in Sydney an Land gegangen, hatte sich in einem Hotelzimmer eingeschlossen und dort die besten Karten des Landes studiert.

Früher war er in Westaustralien interniert gewesen, in der Nähe von Mount Magnet. Er hatte dort auf einer Farm gearbeitet, die ein gewisser Parker geleitet hatte. Von dort war er geflohen, und dort mußte er seine Suche nach Niari beginnen, denn es war der Ort, an dem er ihn zum letztenmal gesehen hatte.

Nun sind etwa zwei Drittel von Westaustralien von Wüste oder Busch bedeckt. Straßen gibt es so gut wie keine. Und so war Robert daran gelegen, den Punkt an der Küste zu erreichen, der Mount Magnet am nächsten lag, um von dort seinen Weg zu Land fortsetzen zu können.

Nach einigem Hin und Her entschloß sich Robert – oder Mr. Zero, das heißt Null, wie er sich scherzhaft zu bezeichnen pflegte –, mit dem Schiff bis Perth zu reisen und von dort zu Fuß bis Mount Magnet vorzudringen.

Er verlor keine Zeit, seinen Plan auszuführen. Ein Dampfschiff brachte ihn über Adelaide nach Perth, und am zwanzigsten Tag nach seiner Ankunft in Australien drang Robert, das Gewehr geschultert und einen Sack mit Nahrungsmitteln an der Seite, in den australischen Busch.

Man mußte schon wie Robert zum Äußersten entschlossen sein, allein in die australische Einöde vorzudringen. Es gibt nichts Hoffnungsloseres und nichts Düsteres als diese immensen Weiten, in denen infolge der Wasserknappheit die Vegetation auf wenige Gräser und karge Büsche beschränkt ist, wo es selten Wild gibt und die wenigen Eingeborenenstämme den Kontakt mit den Weißen sorgsam meiden. Und sollten Robert doch einmal einige der von den Weißen so arg verfolgten Eingeborenen begegnen, so wäre das für ersteren kaum von Vorteil gewesen.

War sich Robert all dieser Gefahren bewußt? Vielleicht. Doch da ihm nichts anderes übrigblieb, marschierte er, so gut er konnte, Richtung Westen.

Ist das etwa das Schicksal der Lavarèdes? dachte er seufzend. Sind wir ausersehen, dem berühmten Ewigen Juden Konkurrenz zu machen? Bei Gott, ich glaube es beinahe. Ich habe nichts gegen das Reisen, aber es muß dabei auch etwas herausspringen. Mein Cousin hat eine Reise um die Welt gemacht und dabei eine charmante Frau und ein stattliches Vermögen gewonnen; ich habe den Namen meines Vaters verloren, meine Heimat, meine geliebte Lotia. Alles Glück für ihn, alles Unglück für mich! Und dann gibt es auch noch kluge Leute, sogenannte Philosophen, die das Ausgleich nennen. Absurd! Der eine ist kerngesund – der andere fühlt sich stets elend: Ausgleich! Der eine reich – der andere arm wie eine Kirchenmaus: Ausgleich! Irgendeiner ist glücklich und lacht unentwegt, ein anderer wimmert den ganzen Tag vor sich hin: Ausgleich … Ach, ihr Philosophen! Wenn ich einen vor mir hätte, der mir diese Theorie gutheißt, ich würde ihm eine Kugel in seinen Allerwertesten jagen und sagen: Ausgleich!

Um Roberts schlechte Laune zu rechtfertigen, müssen wir hinzufügen, daß der Weg scheußlich war. Weg ist ein ungeeignetes Wort, denn es gab weder Steg noch Weg. Seit einiger Zeit schon war die trockene Ebene dem australischen Busch gewichen, einem undurchdringlichen Dornendickicht, das zu durchqueren Robert unsägliche Mühe bereitete. Er war nach Norden abgebogen, und ein Kompaß war der einzige Begleiter, der ihm in dieser Einöde den Weg wies. Denn niederdrückender als der »Weg« war die Eintönigkeit. Das Schweigen. Kein Vogelgesang, kein überraschter Flügelschlag, keine trappelnden, flüchtenden Schritte im Unterholz. Er mußte ganze Dornenhecken umgehen, sich durch unwegsames Gelände buchstäblich Meter um Meter hindurchkämpfen. Gegen Mittag war er vielleicht an die zwanzig Kilometer gelaufen, um fünf bis sechs Richtung Norden zu gewinnen.

Er ließ sich auf einem Erdhügel nieder und entnahm seinem Beutel etwas zu essen. Er aß lustlos und hastig.

»Ich habe genau hundertsechsundsiebzig Kilometer vor mir«, murmelte er vor sich hin und kramte dabei in seinem Proviantbeutel. »Wenn ich in diesem Tempo weitermache, brauche ich mehr als einen Monat. Also los, Robert, mein lieber Mr. Zero, Mut und Tempo, um wieder französischer Bürger zu werden. Vorwärts!«

Und er marschierte weiter.

In dem Maße, wie er sich von der Küste entfernte, stieg der Boden unmerklich an. Der Dornenbusch wich allmählich Buschwald. Eukalyptusbäume, deren Familie über dreihundert Arten zählt, reckten ihre schlanken Stämme gen Himmel. Ihre Blätter streckten ihre Schnittflächen dem Licht entgegen – seltsame Bäume eines seltsamen Kontinents.

Gegen Abend machte Robert unter rosafarbenen Akazien halt. Er fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Im Morgengrauen brach er erneut auf. Das ging acht Tage so. Je weiter er vordrang, desto besser wurde seine Laune. Er mußte sich mit anderen Dingen beschäftigen, als seiner Depression nachzugeben. Und je näher sein Ziel rückte, desto gefährlicher wurde es andererseits.

Ganz sicher würde ihn Parker wieder festnehmen, wenn er seiner habhaft würde. Er mußte also behutsam und listig vorgehen und die Farm auskundschaften, ohne gesehen zu werden. Und falls Niari nicht mehr auf der Farm sein sollte, mußte er herauskriegen, wohin man ihn gebracht hatte. All das war schwierig, denn die zahlreichen Angestellten Parkers würden ihrem Meister jeden verdächtigen Schritt melden.

Nun, während sich unser Freund noch den Kopf über eine Gefahr zerbrach, die erst vor ihm lag, bedrohte ihn eine viel unmittelbarere.