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Er war nunmehr den zehnten Tag unterwegs. Am frühen Morgen war er aufgebrochen. Im Augenblick durchquerte er einen Akazienwald. Unter den Bäumen wuchs hartes und kurzes Gras, das unter seinen Schritten knackte. Dennoch war der Weg mühelos, und Robert schätzte, daß er, falls das Gelände weiterhin so günstig sein sollte, bis zum Abend gut und gern vierzig Kilometer weiter nach Norden gekommen sein müßte.

Durch diese Überlegung zuversichtlich gestimmt, pfiff er eine Melodie vor sich hin und schritt beherzt aus. Doch plötzlich unterbrach ein ungewöhnliches Geräusch seine musikalische Improvisation. Vor ihm war ein Raunen und Kreischen zu vernehmen, dessen Ursache ihm verborgen blieb. Instinktiv glitt er hinter einen Baumstamm, riß das Gewehr von der Schulter und wartete ab. Der Lärm nahm immer mehr zu. Er unterschied Geheul und pfeifende Schläge.

»Teufel! Teufel!« murmelte Robert. »Eingeborene. Eine unpassende Begegnung.« Und neugierig fügte er hinzu: »Aber was führen sie bloß im Schilde?«

Und tatsächlich schien das rhythmische Stampfen der Füße, das dumpf unter den Bäumen widerhallte, eine Begleitmusik zu dem ebenfalls rhythmischen Geheul zu sein.

Plötzlich sprangen hinter einem Erdhügel, etwa fünfzig Meter vor Robert, Känguruhs hervor. Es war eine gewaltige Herde, die geradewegs mit enormen Sprüngen auf ihn zukam. Das Aufschlagen ihrer hinteren Gliedmaßen auf den Erdboden verursachte das trommelnde Geräusch, das Robert eben vernommen hatte und das er für das Stampfen von Eingeborenen gehalten hatte.

Ein Pfeil, der sich in den Stamm des Baumes bohrte, hinter dem Robert Zuflucht gesucht hatte, wies ihm das Motiv für die Furcht der Tiere. Die Eingeborenen machten Jagd auf sie.

Er sprang auf, um hinter einen dickeren Baum zu flüchten, aber da warf ihn ein gewaltiger Stoß zu Boden; das Gewehr wurde weggeschleudert, und ein Känguruh, das in seiner Kopflosigkeit mit ihm zusammengeprallt war, hopste mit spitzen Schreien weiter. Benommen blieb Robert im harten Gras liegen. Schemenhaft glitten die Tiere und ihre Verfolger an ihm vorbei. Bald waren sie zwischen den Bäumen verschwunden. Der Jagdlärm entfernte sich und verebbte schließlich ganz.

Robert erhob sich. Er betastete sich vorsichtig. Er war so unsanft zu Boden gerissen worden, daß er sich wunderte, keine ernsthafte Verletzung davongetragen zu haben. Einige Hautabschürfungen und leichte Prellungen waren die einzigen Folgen des Zusammenpralls.

»Gott sei Dank«, sagte er. »Das hätte schlimmer kommen können.«

Eine vorschnelle Schlußfolgerung, wie er bald darauf feststellen mußte.

Über den Zustand seiner Gliedmaßen beruhigt, machte sich Robert auf die Suche nach seinem Gewehr und seinem Beutel mit Nahrungsmitteln, die ihm im Augenblick seines Sturzes abhanden gekommen waren. Er fand sie bald in den Büschen wieder – doch in welchem Zustand!

Der Beutel war von den Känguruhhufen zerstampft worden, die Nahrungsmittel ein unbrauchbarer Brei, und was seine Waffe anbetraf, so konnte er die bestenfalls noch als Knüppel benutzen. Das war ein furchtbarer Schock. Ohne Möglichkeit, sich zu verteidigen und seine Vorräte zu erneuern, mutterseelenallein im australischen Busch, schien der Franzose dem Tode geweiht.

Mehr als eine Stunde saß Robert wie gelähmt. Mehrmals griff er instinktiv zu dem Gewehr und betrachtete dessen verbogenen Lauf in der wahnwitzigen Hoffnung, irgendein glücklicher Umstand könne den Schaden wieder beheben.

Er befand sich in einer kritischen Lage. Zwölf Tage Marsch lagen hinter ihm, die gleiche Distanz mußte er wahrscheinlich noch bis zu der Farm am Mount Magnet zurücklegen. Und das ohne Lebensmittel und ohne Waffe!

Eine Hoffnung freilich gab es. Die Parker-Farm war nicht die einzige in der Gegend. Er mußte eine andere bewohnte Niederlassung finden. Gelänge das, so könnte er sich dort zweifellos wieder mit Nahrung und möglicherweise gar mit einem neuen Gewehr versehen. Es gab im übrigen auch keine weitere Lösung, außer er zöge es vor, irgendwo Hungers zu sterben. Und so klaubte er denn aus den im Gras verstreuten Resten seines Proviantsackes zusammen, was sich zusammenklauben ließ, bereitete daraus eine letzte Mahlzeit und brach dann erneut auf.

Nachdem er etwa einen Kilometer weit marschiert war, griff er zu seinem Kompaß, um die Richtung festzustellen, in die er weitergehen mußte. Ein Stöhnen entrang sich ihm. Das schützende Glas war zersprungen und die Nadel verschwunden! Offensichtlich hatten sich alle guten Geister gegen ihn verschworen. Wie sollte er jetzt die Richtung genau bestimmen?

Dennoch verlor er nicht den Mut. Ganz in der Nähe floß der Russel River. Sein Lauf ging von Süd nach Nord. Ihn galt es zu erreichen, und das sollte Robert nicht schwerfallen, denn zahlreiche sumpfige Eilande bewiesen die Nachbarschaft des Flusses. Er mußte sie nur umgehen und dann vor Einbruch der Dunkelheit vielleicht den Fluß erreichen. In dessen Ufergebiet würde er sicher auch leichter auf ein Anwesen treffen.

Doch bald sah er ein, daß diese theoretisch so logische Idee praktisch undurchführbar war. Die Sümpfe waren an manchen Stellen nicht passierbar, und wenn er sie umging, würde er die Richtung verlieren. Doch ihm blieb nichts weiter übrig, als das letztere zu versuchen. Mühsam kämpfte er sich durch das einigermaßen trockene Ufergebiet eines Sumpfes. Doch nach mehrstündigem, erschöpfendem Marsch erkannte er, daß er wieder dort angekommen war, wo er aufgebrochen war.

Diesmal verließ ihn aller Mut. Wozu sollte er kämpfen, wenn jede Anstrengung vergebens war? Und wie sich der Gladiator in den Sand der Arena wirft, um den tödlichen Hieb zu erhalten, warf sich Robert zu Füßen eines Baumes ins feuchte Gras. Der Tag ging zur Neige, die Sonne versank am Horizont und übergoß mit ihrem sanften Schein das Wasser der Sümpfe und Moore. Traurig stopfte sich Robert in den Mund, was ihm noch an Nahrung geblieben war. Diese kärglichen Reste stillten zwar nicht seinen Hunger, sie beruhigten jedoch fürs erste seinen Magen. Er legte sich schlafen. Der Morgen ist vielleicht klüger als der Abend, sagte er sich.

Beim ersten Sonnenstrahl war er wach. Und wie er gehofft hatte, war sein Kopf durch den Schlaf ausgeruht, und er konnte seine Lage klarer überdenken.

Die Sümpfe des Russel River ziehen sich zweifellos nach Norden hin. Mit Hilfe der Sonne kann ich ungefähr die Richtung bestimmen. Ich müßte demnach nur parallel zu den Sümpfen marschieren. An markanten Punkten wie Bäumen oder großen Steinen werde ich Zeichen anbringen, um sicherzugehen, nicht im Kreis marschiert zu sein, so sagte er sich. Doch wie beschaffe ich mir Nahrung? Es muß in dieser Gegend doch irgendeine eßbare Frucht geben.

Ganz in der Nähe stand eine rote Zeder, deren niedrige Äste ihm das Erklettern erleichterten. Von der Baumspitze aus schaute er über das Land und legte die Richtung fest, in die er gehen mußte. Wieder auf dem Erdboden stehend, machte er sich auf den Weg, wobei er aufmerksam jeden Busch und jeden Strauch betrachtete, immer in der Hoffnung, etwas Eßbares zu entdecken.

An diesem Tag meinte es das Schicksal offensichtlich gut mit ihm. Er fand einen Schlag wilder Bohnen im Sumpf, deren Früchte ihm köstlich schmeckten. Er stopfte sich soviel er konnte in den Mund und füllte sich anschließend sämtliche Taschen. Danach setzte er seinen Weg fort. Von Zeit zu Zeit kletterte er auf einen Baum, der ihm erlaubte, die Richtung zu kontrollieren. Aber das kostete natürlich Kraft, und so mußte er sich gegen vier Uhr nachmittags völlig erschöpft auf den Erdboden niederlassen. Er verschlang die restlichen Bohnen, doch so nahrhaft sie auch sein mochten, sie reichten nicht aus, den Hunger eines Mannes zu stillen, der sich körperlich so anstrengte wie er.

Die Müdigkeit übermannte ihn, und er war dabei, einzunicken, als ihn das Geräusch eines knickenden Zweiges hochfahren ließ. Das Geräusch war aus einem Dickicht gekommen, das ein Wasserloch umschloß. Dort mußte jemand sein, Mensch oder Tier.