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»Mit Leim und einem Pinsel?«

»Sicher.«

Der Junge schaute Lady Allsmine aus großen Augen an.

»Ist das wahr?« fragte er.

»Ja«, antwortete sie mit ihrer süßen und traurigen Stimme.

Pack tauschte einen neuerlichen Blick mit seinem Vorgesetzten, dann begann er weiterzufragen: »An diesem Morgen also hast du Plakate angeklebt. Warum?«

»Weil es Spaß macht. Haben Sie noch nie Papier an eine Mauer geklebt?«

»Dazu habe ich keine Zeit.«

»Oh, um so schlimmer, um so schlimmer.«

»Aber wer hat dir denn gesagt, daß du diese Papiere ankleben sollst?«

»Wer …? Nun er, der Mann.«

»Welcher Mann?«

»Ich weiß nicht.«

»Nun, wie sah denn dieser Mann aus?«

»Wie alle Männer …, er hatte vor allem Beine … zum Laufen.«

Sir Toby schnaubte wutentbrannt. Es war offensichtlich, daß man von diesem Idioten keinerlei Aufklärung bekam. Dennoch versuchte es James noch ein letztes Mal.

»Was hat dir denn dieser Mann gesagt?«

»Er hat gesagt: ›Silly, nimm diese Papiere und diesen Eimer. Und amüsier dich damit, die Blätter an die Mauern zu kleben.‹«

»Und das war alles?«

»Alles … Ah, nein!« Und indem er sich an die Stirn schlug: »Silly hat ein kurzes Gedächtnis, er hat noch gesagt: ›Bring auch diesen Brief zu Sir Allsmine.‹«

»Welchen Brief?« fragte Pack.

Wortlos kramte Silly in den Taschen seines Kittels und zog einen Briefumschlag hervor, auf dem der Name des Obersten Polizeichefs prangte.

Dieser streckte die Hand aus, um den Brief an sich zu nehmen, aber der Geistesgestörte riß ihn wieder an sich.

»Ich darf Ihnen den Brief nicht geben«, sagte er, »er ist für Sir Toby Allsmine.«

»Ich bin Sir Toby Allsmine.«

»Das stimmt, mein Kind«, fügte Joan hinzu.

»Ah, gut«, sagte der Bursche. »Sie sagen es – also ist er es. Nehmen Sie den Brief.«

Sir Toby ließ sich nicht zweimal bitten. Ungeduldig riß er den Umschlag auf, während sich Joan und der Sekretär neben ihn stellten, um gleichzeitig zu erfahren, was diese so merkwürdig an die bestimmte Adresse gelangte Mitteilung enthalten mochte.

»Exzellenz«, so begann diese Botschaft, »ich wurde von Korsar Triplex gezwungen, das Ankleben seiner Proklamation zu bewerkstelligen. Unter Androhung der Todesstrafe mußte ich gehorchen. Aber ich hoffe, aus den Klauen dieses schrecklichen Menschen gerettet zu werden. Heute abend wird es in den Docks nach dem alljährlichen Verkauf der überzähligen Waren ein Fest geben. Triplex wird anwesend sein. Seien auch Sie dort, um ihn festzunehmen. Wenn der Augenblick gekommen ist, werde ich mich Ihnen vorstellen, um Sie zu führen. Bewahren Sie Stillschweigen, denn ein unvorsichtiges Wort könnte Ihren ergebenen Diener den Kopf kosten.«

Ein Freudenschrei brach aus dem Polizeichef hervor.

»Wir werden hingehen, Mr. Pack, und uns den Kopf dieses Piraten holen. Sie hatten recht, auf unsere Annonce mit den viertausend Pfund Belohnung zu vertrauen. Diese Banditen halten ihre Leute nur durch Geld … Und mit Geld kann man sie bekämpfen. Heute abend zum Fest der Docker. Kommen Sie, Mr. Pack, kommen Sie, wir haben noch einige Vorkehrungen zu treffen.«

Der Sekretär verbeugte sich, doch bevor er seinem Chef folgte, näherte er sich Silly, der an einem Fenster lehnte, das auf den Garten des weitläufigen Anwesens ging, und völlig in den Anblick der Blumen versunken schien.

»Auf Wiedersehen, Silly«, sagte James. »Du bist ein braver Junge, gib mir die Hand.«

Und mit dem kräftigen Händedruck, den er mit ihm tauschte, glitt ein Gegenstand zwischen die Finger des Jungen, den Silly blitzschnell in einer seiner Taschen verschwinden ließ, ohne daß jemand diese Bewegung bemerkt hätte.

Als die beiden Männer verschwunden waren, sagte Silly zu Lady Joan: »Und mein Eimer? Die Dame hat mir einen Eimer versprochen.«

Lady Allsmine lächelte.

»Begleite mich, Silly, ich werde dir ein Frühstück machen und dir das Spielzeug zurückgeben, an dem du so hängst. Ist es dir angenehm, zu frühstücken?«

»Ja, ja, Sie sind gut. Wissen Sie, Silly hat oft Hunger und jetzt auch. Sie sind gut.«

Vor diesem so naiv vorgebrachten Kompliment fühlte Joan mit einemmal eine plötzliche Gefühlsaufwallung, so daß sie sich zu dem Unglücklichen hinabbeugte und ihre Lippen auf dessen Stirn drückte. Dann führte sie ihn in ihre Privatgemächer, die am entgegengesetzten Ende des Gebäudes lagen.

Drittes Kapitel

Silly geht spazieren

Im Zimmer von Lady Allsmine hatte sich der Junge vor einen kleinen Tisch gesetzt. Mit gutem Appetit verschlang er ein kaltes Huhn. Die Lady betrachtete ihn voller Sympathie. Als der erste Hunger gestillt war, blickte Silly erstaunt und neugierig um sich. Da waren das Bett aus Edelholz mit feinen Elfenbeinintarsien, der Kamin mit den Reliefkacheln und schließlich ein Bild an der Wand, auf dem ein Mädchen von etwa zwei Jahren abgebildet war, das sich über eine Steinbank lehnte. Das rosa Kleid der Kleinen stach vom Weiß des Steins ab und unterstrich den Eindruck von Beschwingtheit und Grazilität der Szenerie.

Joan war mit den Blicken Sillys Richtung gefolgt. Ein Ausdruck von Trauer erschien auf ihrem Gesicht.

»Wer ist das?« fragte Silly.

Die Frage ließ Lady Allsmine noch trauriger aussehen. Mit einer Stimme, die kurz vor dem Weinen war, erwiderte sie: »Das ist oder vielmehr war meine Tochter Maudlin.«

Silly sprang auf und lief zu Lady Allsmine. Er ergriff ihre Hände.

»Du weinst«, sagte er mitfühlend, »du weinst. Silly weiß nicht, warum. Weil deine Tochter aufgehört hat, deine Tochter zu sein? Ich kann das nicht wissen, ich habe nie eine Mutter gehabt. Ich bin immer ganz allein gewesen im Leben. Meine Eltern sind die Vögel im Wald und die Blumen auf dem Feld. Verzeih mir, wenn ich dumm geredet habe.«

»Mein armer Kleiner, du hast nicht dumm geredet«, beruhigte ihn Mrs. Allsmine. »Du kannst den Tod noch nicht begreifen. Meine Tochter ist nicht mehr. Maudlin ist in einem Fluß ertrunken, vor langer Zeit, ihren Körper hat man nie gefunden. Und ich weine, weil ich ihren Körper nie mehr umarmen kann. Aber Kind, du weinst ja ebenfalls?«

»Ja, Silly weint, weil du gut zu ihm bist wie noch niemand zuvor.«

Joan antwortete nicht. Ein merkwürdiges Gefühl preßte ihr das Herz zusammen. Irgend etwas verband sie mit diesem Jungen, das spürte sie. Und es konnte nicht nur das Gefühl unendlicher Trauer sein.

»Warte, Silly«, sagte sie, »hatte ich dir nicht einen neuen Eimer versprochen?«

»Ach ja«, sagte der Junge, »aber ich werde wiederkommen. Du bist eine Freundin, gute Frau. Silly wird wiederkommen. Er wird vor dir niederknien und dich anschauen, denn er sieht dich gern an.«

Man hätte meinen können, er zwinge sich dazu, aufzubrechen. Ein letztes Mal drückte er einen Kuß auf Joans Hand und entfernte sich aus dem Haus.

Fünf Minuten später eilte der Schwachsinnige durch die Straßen der Stadt zum Hafen. Dieser Hafen, unter dem Namen Port Jackson bekannt, ist einer der größten der Welt. Er ist in drei Hafenbecken unterteilt: Farm-Cove, der Kriegshafen der Pazifikflotte; Sydney-Cove mit dem Circular Quay, an dem die großen Frachtschiffe aus Europa anlegen, und schließlich Darling-Harbour, der hauptsächlich dem inneraustralischen Handel und der Passagierschiffahrt dient. Nach diesem letzteren wandte sich Silly.

Er blieb am Ufer stehen und setzte sich auf den mit großen Steinplatten ausgelegten Kai. Voller Vergnügen schien er das Schauspiel zu genießen, das sich seinen Augen bot. Ihm gegenüber, auf der östlichen Seite von Darling-Harbour, zeichneten sich die Molen, die Landungsstege und Unternehmen verschiedener Schiffahrtsgesellschaften ab, in deren Händen der Handel mit der Stadt und dem Land lag. Über ihnen erhoben sich im Hintergrund die beiden Forts von Middle Head und George’s Head, die mit ihren mächtigen Batterien Sydney wirkungsvoll gegen jeden Angriff schützen würden. Auf den verschiedenen Kais flatterten Fahnen an bunt geringelten Masten und bezeichneten den Platz, wo am heutigen Abend das Fest stattfinden sollte, an dem die überzähligen, nicht verkauften Waren wie in jedem Jahr billiger verkauft werden würden. Vom Wind herangewehte Musikfetzen kündeten davon, daß vor einigen Handelsniederlassungen die Belustigungen schon begonnen hatten.