»Verlang alles von mir, Lotia, außer dem da. So lange bin ich von dir getrennt gewesen, ich sehe dich, und du untersagst mir, fröhlich zu sein. Singen nicht auch die Vögel, wenn die Sonne scheint? Und ich sehe sogar zwei Sonnen – deine Augen.«
Armand unterbrach ihn.
»Ich beglückwünsche dich, Cousin. Ich befürchtete schon, der lange Aufenthalt unter Wasser habe dich zu einem Seewolf gemacht; ich stelle vergnügt fest, daß es nicht so ist, du bist ganz der Alte. Und trotz deines Todes ansonsten kerngesund.«
Es klopfte.
»Treten Sie ein!« rief Armand.
Die Tür drehte sich in ihren Angeln, und James Pack erschien.
»Ah!« rief der Journalist aus, »Sie sind das, verehrter Gastgeber, Sie sind wirklich zu diskret.«
»Nun, ich bin nicht allein«, erwiderte der Korsar und sagte, zu einer Person im anderen Zimmer gewandt: »Treten Sie ein, Maudlin. Ihre Mutter wartet.«
Das junge Mädchen betrat den Raum und warf sich ihrer Mutter in die Arme. Das war ein Herzen und Küssen. Als sich die erste Emotion gelegt hatte, schaute Joan ihre Tochter genauer an.
»Laß dich anschauen, Kind. Irgend etwas an dir kommt mir so bekannt vor.«
Sie drehte Maudlin hin und her, führte sie unter das elektrische Licht, um besser sehen zu können. Da stießen die Anwesenden plötzlich einen Schrei aus: »Silly!«
Es war kein Irrtum möglich. Maudlins Züge waren dieselben wie die des armen schwachsinnigen Kindes, doch war ihr Blick klar und wissend.
»Silly«, sagte Joan. »Bist du wirklich Silly gewesen? Habe ich wirklich meine Tochter an mich gepreßt, ohne sie zu erkennen?«
»Ja, Mutter«, stammelte Maudlin.
»Und du hast den Mut gehabt zu schweigen.«
Das Mädchen zeigte auf James.
»Wenn ich gesprochen hätte, Mutter, wäre die Existenz des Mannes bedroht, der uns beschützt.«
»Ja, das ist wahr. Er lebt ständig in Gefahr … durch meine Schuld, weil ich elende Kreatur meine Hand unserem schlimmsten Feind gegeben habe …«
»Klagen Sie sich nicht an, Mrs. Allsmine«, sagte der Korsar und ging einen Schritt auf sie zu. »Sie waren das Opfer einer bösen Machenschaft, das Opfer, verstehen Sie … Jetzt überlasse ich Ihnen Maudlin. Sie wird Ihnen alles erzählen. Sie werden überrascht sein, wenn sie Ihnen erzählt, daß sie der Kapitän eines meiner Unterseeboote ist, also genauso Korsar Triplex ist wie Robert und ich selbst.«
»Was, meine Tochter …«
»Sie wollte es so. Ich hatte die Absicht, sie in Europa zu lassen, sie allerdings widersetzte sich. ›Du gehst daran, mir meine Mutter wiederzugeben‹, sagte sie zu mir, ›da will ich dabeisein. Ich kann genausogut Gefahren auf mich nehmen wie du. Meine Mutter wird dir sowieso Vorwürfe machen, daß du alles allein machen mußtest.‹ Aber heute kann ich den hübschesten Kapitän meiner Flotte von seinem Dienst entbinden. Du bleibst bei deiner Mutter, Maudlin, und der Erste Offizier übernimmt das Kommando über das Schiff. Das ist doch wohl auch in Ihrem Sinne, Mrs. Allsmine?«
»Doch, doch. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Und sagen Sie mir, wer sind Sie? Wer liebt die Gerechtigkeit so, daß er sich für andere einsetzt, die Unrecht erlitten haben?«
»Ich bin James Pack, Mrs., oder auch Korsar Triplex.«
»Sie wollen Ihren wirklichen Namen nicht nennen, ich habe nicht das Recht, Sie dazu überreden zu wollen. Aber welche Bezeichnung Sie auch immer tragen, für mich sind Sie der Retter meiner Tochter.«
Der Korsar verbeugte sich, dann sagte er hastig, als ob er es eilig hätte, die Begrüßungsemotionen zu beenden: »Über die Presse habe ich die britische Flotte aufgefordert, sich in zwei Monaten an der Goldinsel einzufinden. Wir haben bis dahin noch viel zu tun, um über Allsmine triumphieren zu können.«
»Sie meinen, Sie werden Erfolg haben?« fragte Armand Lavarède.
»Ja, ich werde Erfolg haben«, murmelte der Korsar mit einer unendlich traurigen Stimme. »Ja, Sie werden glücklich sein.«
Seine Züge entspannten sich, er machte eine Bewegung, als wolle er einen unsinnigen Gedanken verjagen, und in befehlsgewohntem Ton sagte er: »Sir Robert, hier ist ein Umschlag. Er enthält meine Instruktionen. Ich werde in der Gegend von Borneo wieder zu Euch stoßen, in der Gaya-Bai, dem britischen Stützpunkt.«
»Sie verlassen uns?«
»So ist es.«
Errötend näherte sich ihm Maudlin und fragte: »Ist das wirklich nötig?«
James’ Augenlider gerieten in Bewegung; ein unbeschreiblicher Ausdruck lag in seinen Augen, aber entschlossen antwortete er: »Es ist nötig. Korsar Triplex muß sich überall zeigen, um die letzten Zweifel der Admiralität zu zerstreuen.«
»Dennoch …«
Er unterbrach sie beinahe böse.
»Ach! Laß mich meinen Auftrag erfüllen. Meine Anwesenheit hier wäre sinnlos. Du hast deine Mutter wieder, und das wird dich zweifellos den Freund vergessen lassen, der nur Erinnerungen an schlechte Zeiten weckt.«
Das junge Mädchen zitterte, leichte Röte zeigte sich auf ihren Wangen.
»Du bist ungerecht, Kapitän«, sagte sie schließlich. »Ich habe es nicht verdient, daß du mich des Undanks bezichtigst.«
»Ich habe nichts dergleichen behauptet.«
»Pardon. Wäre es das nicht, wenn ich den vergesse, der mich vor dem Tod gerettet hat, der jede Stunde gewacht hat mit der Fürsorglichkeit …«
»… eines ergebenen Dieners«, vollendete James mit einem bitteren Unterton in der Stimme.
Aber die Erwiderung hatte einen unerwarteten Effekt, Maudlin beruhigte sich mit einemmal; ihre Lippen öffneten sich zu einem Lächeln, und sanft sagte sie: »Fürsorglichkeit und Ergebenheit brauchen keine Attribute. Es gibt sie, oder es gibt sie nicht. Nur was meine Mutter und ich dir zu erklären haben, Kapitän, das ist, daß meine Mutter und ich voller Dankbarkeit für dich sind. Du kannst ungestraft ungerecht oder grausam sein; es gelingt dir nicht, uns aus deinem Herzen zu verjagen.«
James antwortete nicht. Er verbeugte sich nur tief und zog sich dann zurück. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß. Einen Augenblick hörte man noch seine Schritte, dann war es still.
Robert, der soeben den Umschlag geöffnet hatte, der die Befehle enthielt, las laut vor: »Sich nach Poulo-Tantalam (Malakka) begeben, eine Karte hinterlassen und in die Gaya-Bai einfahren.«
»Das ist chinesisch!« rief Armand aus.
»Für dich ja, aber für mich sind diese Befehle glasklar.«
»Dann erklär sie uns.«
»Das muß ich nicht. Der Kapitän hat mich verpflichtet zu gehorchen, nicht, euch zu instruieren.«
Und um allen Fragen seines allzu neugierigen Cousins zuvorzukommen, ging er zu dem Steuerpult und drückte mehrere Tasten. Nach zehn Sekunden war ein leichtes Rattern zu vernehmen.
»Was ist das?« fragte Aurett.
»Das Schiff setzt sich in Bewegung, liebe Cousine, weiter nichts. Ich bitte euch, mich zu entschuldigen. Ich habe der Mannschaft meine Befehle zu überbringen.«
Als er den Salon verlassen hatte, näherte sich Maudlin der schönen Ägypterin.
»Erlauben Sie, daß ich Sie mit den Annehmlichkeiten Ihrer neuen Unterkunft vertraut mache. Würde es Ihnen nicht gefallen, durchs Fenster zu schauen?«
»Pardon, ich verstehe nicht«, erwiderte Lotia.
Maudlin zeigte auf die runden Fenster, die zwei der Wände zierten.
»Die Fenster.«
Sie drückte auf einen Hebel.
»Ich lasse die Schutzrollos weggleiten. Jetzt ist es möglich, nach draußen zu schauen.«
Hinter den Scheiben erblickten die Passagiere das Meer, das der Scheinwerfer mit phosphoreszierenden Strahlen durchschnitt. Schatten glitten in die erleuchtete Zone. Fische, Rochen, Quallen, die die plötzliche Strahlung aus ihrer unterirdischen Ruhe geschreckt hatte.
»Aber man wird uns von der Küste aus wahrnehmen«, bemerkte der Journalist.