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»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Niari. Ich weiß, was du in der Vergangenheit geleistet hast. Ich weiß, daß du dem Verräter Thanis so ergeben warst, daß du mit ihm einen Franzosen auswähltest, damit jener seine Rolle spielen und unter den Hieben der rotröckigen Eroberer unseres Landes sein Leben hingeben sollte.«

Der Ägypter senkte den Kopf und murmelte: »Die meinen haben denen, von denen Thanis stammt, immer die Treue gehalten.«

»Das ist wahr. Heute allerdings lebt Thanis nicht mehr.«

»Tot, wie bitter! Ohne unsere Feinde verjagt zu haben, wie es ihm sein Gewissen auferlegte.«

Leise flüsterte Lotia ihrem Geliebten ins Ohr: »Er ist und bleibt ein Patriot. Warum nur hat er sich an einen Verräter gehängt?«

Und mit lauter Stimme sagte sie: »Vergessen wir das, Niari. Hör mir zu. Du hättest die Absicht, hat man mir berichtet, die Wahrheit zu sagen und öffentlich zu erklären, auf welche Art und Weise Robert Lavarède zu Thanis gemacht wurde?«

Das bronzefarbene Gesicht des Ägypters zog sich zusammen. Er betrachtete Robert aus zusammengekniffenen gelben Augen und sagte mit wilder Leidenschaft: »Ein Europäer darf diesen Namen nicht tragen, den so viele Krieger göttergleich haben werden lassen.«

Robert wollte antworten, doch Lotia kam ihm lächelnd zuvor.

»Niari hat recht«, sagte sie. »Der Name von Thanis steht einem Fremden nicht zu. Also, treuer Diener, wirst du nach unserer Rückkehr nach Europa die Erklärung abgeben, daß …«

»… daß alles so ist, wie ich eben gesagt habe, ja, Tochter der Hador.«

»Ha!« rief Robert, der sich nicht länger zurückhalten konnte. »Endlich meinen Namen wiederhaben, meine Nationalität, um sie dir geben zu können, meine teure Geliebte.« Er ergriff ihre Hände. »Dein Mann sein, mit dir im Lichte deines Lächelns leben … Ah, der schöne Traum, wieviel besser der doch ist als diese Thanis-Etikette, dieses Sinnbild von Lüge und Verrat.«

Der junge Mann hätte im Überschwang der Gefühle sicher noch länger so geredet, aber da krallte sich eine Hand in seinen Arm. Er blickte auf. Niari war dicht an ihn herangetreten und schien ihn mit den Augen verschlingen zu wollen.

»Was noch?« fragte der Franzose.

»Habe ich richtig gehört«, sagte der Ägypter. »Zweifellos haben mich meine Ohren getrogen.«

»Worin denn?«

»Haben Sie gemeint, daß ich Sie, wenn Sie Ihren richtigen Namen wieder tragen, zum Ehemann von Lotia Hador mache?«

»Ich denke schon, daß ich das gesagt habe.«

»Deshalb haben Sie mich aus dem Gefängnis geholt und auf dieses Schiff gebracht?«

»Genau dafür.«

Niaris Augen funkelten.

»Befehlen Sie, daß man mich wieder in den Kerker wirft, daß man mir die Zunge herausreißt. Ich ziehe die Folter der schmählichen Rolle vor, die Sie mir zubilligen.«

»Sie müssen verrückt geworden sein.«

»Was! Ich sollte für einen Europäer aussagen, damit er Lotia, die Blume des Nils, heiraten kann. Nein und abermals nein! Hadors Tochter wird die Frau des Mannes, der die Eindringlinge besiegt. Hoffe bloß nicht, daß ich nach deinen Wünschen handle. Ab jetzt bist du für mich Thanis, und ich werde beschwören, daß du Thanis bist. Ha, dieser Name mißfällt dir, er wird verhindern, daß Lotia eine ehrlose Verbindung mit dir eingeht. Ich brenne dir diesen Namen in dein Fleisch, ich ritze ihn auf deine Stirn. Du bist Thanis. Du bist Thanis. Wer das Gegenteil behauptet, der lügt, der lügt …«

Der Ägypter war außer sich. Robert und Lotia standen diesem Ausbruch fassungslos gegenüber.

»Niari«, stammelte die junge Frau, »Niari, kommen Sie zu sich. Ich bin es, die Sie darum bittet. Sie wollen mich doch wohl nicht ins Unglück stoßen.«

»Das Unglück liegt in der Schande«, erwiderte er hohnlächelnd. »Die Schande steckt in der Heirat, von der du träumst. Deine Pflicht, Tochter des Nils, ist dort unten, an den Ufern des großen Flusses. Deine Pflicht ist es, mit deinem Namen und deiner Schönheit denen Mut zu machen, die ihr Blut für die Unabhängigkeit vergießen.«

»Nein, nein, hör mir zu. Ich tauge nicht zur Heldin, zur Galionsfigur. Ich will nicht, daß ich verstümmelte Leichen segne, Sterbenden die letzte Ölung gebe und Verwundete gesund pflege. Ich will nicht, daß sich die Erde mit Blut vollsaugt, daß der Wüstensand zum roten Schlamm wird, daß die Tränen der Mütter, Frauen und Kinder als brennender Tau die Erde tränken … Niari …«

Flehend streckte sie die Hände zu dem Ägypter aus, aber der wischte mit einer zornigen Geste ihre Bedenken hinweg.

»Niemals wird Niari seine Pflicht verletzen. Bei Osiris. Der Mann, der dich begleitet, hat für mich nur einen Namen, und dieser Name wird dich von ihm trennen … Er ist Thanis, Thanis, Thanis!«

Damit machte er kehrt und entfernte sich rasch durch die offene Luke.

Lotia hatte keine Anstalten gemacht, ihn zurückzuhalten, doch wächserne Blässe lag auf ihrem Gesicht, und unter ihren langen Wimpern glänzten dicke Tränen, die ihr wie Diamanten des Schmerzes über die Wangen perlten.

»Lotia!« rief Robert, der mehr durch diese stumme Niedergeschlagenheit als durch Niaris Worte betroffen schien. »Lotia, weine nicht.«

Sie blickte ihn aus tränenfeuchten Augen an.

»Doch, Lieber, doch, ich muß weinen. Wir haben uns zu früh gefreut. Das Hindernis, das uns getrennt hat, ist stärker, als wir dachten.«

»Nein, nein. Ich werde Niari umstimmen …«

»Glaub das nicht. Du könntest ihn töten, aber du wirst nichts bei ihm erreichen.«

Einen Augenblick standen beide schweigend auf der winzigen Plattform inmitten des riesigen Ozeans. Dann sagte Lotia: »Verdient seine Entscheidung, die uns so unglücklich macht, nicht auch unseren Respekt? Er opfert uns seiner ägyptischen Heimat, einer Heimat, die er frei sehen will. Ich verfluche und verehre ihn gleichermaßen. Nur unter Hadors Namen kann man alle Patrioten einen. Wird dieser Name vor dem Heer der Aufständischen nicht mehr verehrt, beginnen die inneren Zwistigkeiten, und das wäre schon der Anfang der Niederlage. Er hat recht. Er bricht mir das Herz, aber rettet meine Ehre.«

Bestürzt hatte der Franzose ihre Hände ergriffen.

»Lotia, meine Liebe, komm zu dir, sag nicht so etwas Entsetzliches.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Du siehst ja, daß ich verzweifelt bin, aber ich war wahnsinnig; ich hatte von einem friedlichen Glück geträumt, ohne daß uns Verantwortung auf den Schultern lastet. Jetzt ist mir die Wahrheit offenbar geworden. Was schert mich mein Leben, was meine Liebe, wenn es auf Kosten anderer errungen ist. Der Freiheit ordnet sich alles unter.«

Der Franzose stand wie vom Donner gerührt.

»O Robert, ich bitte dich, versteh mich doch.«

Der Franzose machte eine ärgerliche Handbewegung.

»Ach Lotia, du liebst mich nicht so, wie ich dich liebe.«

»Unsinn.«

»Ach!«

Sie schmiegte sich in seine Arme und legte ihm die Hände auf die Schultern.

»Sag so etwas bitte nicht noch einmal. Ich opfere mein Leben für die Freiheit. Aber du …, wenn du schon verdammt sein sollst, Thanis zu sein, dann bleib es! Sei der siegreiche Thanis, der Befreier eines Volkes, der Schrecken der feindlichen Eroberer. Sei vor allem der Triumphator, dem meine Hand gehört. Sag, Robert, willst du?«

Vor dem eindringlichen Blick Lotias schlug er die Augen nieder.

»Sag«, wiederholte sie, »willst du?«

Langsam formte er mit zitternder Stimme ein »Nein«.

Sie schrie entsetzt auf.

»Wenn ich frei, wenn ich Robert Lavarède wäre«, so sagte er laut, »so würde ich mit Freuden alle Gefahren für dich auf mich nehmen. Aber ein namenloser Mann, dem man seine Heimat gestohlen hat, den man zwingt, einen falschen Namen zu tragen, würde das nie können. Gehorchen hieße in dem Falle sich verleugnen, und sich verleugnen ist der Verlust dessen, was du eben wolltest: Es ist der Verlust der Freiheit!«