Lotia rang die Hände und murmelte enttäuscht: »Du hast recht, du hast recht … Ich bitte dich um deine Freiheit. Oh, wir sind verloren, verloren …«
Mit gesenktem Kopf verließ er das Deck. Sie folgte ihm. Beide stiegen sie ins Schiffsinnere hinab. Jeder zog sich in seine Kabine zurück. Sie wollten allein sein.
Sie hatten sich nach langen Prüfungen gefunden und waren nun weiter voneinander entfernt als je zuvor.
Viertes Kapitel
Die heiligen Gewässer von Poulo-Tantalam
Als Armand seinen Cousin nach dem Grund seiner Niedergeschlagenheit fragte, empfand er heftigen Zorn, als er erfuhr, wie sich der fanatische Niari entschieden hatte. Das war doch zum …! Da hatte man nun alle Schwierigkeiten mehr oder weniger unbeschadet bewältigt, da schien Lotias und Roberts Glück nur mehr eine Frage von Tagen zu sein – und nun stellte sich diesem Glück ein neues, viel ernsteres Hindernis in den Weg.
Niari wurde gerufen, aber umsonst bat Aurett, umsonst drohte der Journalist, der ehemalige Diener von Thanis blieb bei seinem Entschluß. Auf alles, was man ihm vorhielt, antwortete er stets: »Ich muß die, die ich verehre, enttäuschen, ich weiß. Aber über ihrem Glück steht das Glück des Vaterlandes. Wenn sie leidet, leide ich ebenso. Dieses Opfer ist ein Beispiel, das dazu beitragen wird, Ägypten unabhängig zu machen.«
Schließlich gab man es auf, Niari überzeugen zu wollen.
Man hatte sich im Salon versammelt. Lotia sah bleich aus, ihre Augen waren von Tränen gerötet. Sie litt. Alles an ihr atmete tiefe Trauer. Der Tod ihrer Hoffnung hatte sie schwer getroffen. Auf die Fragen ihrer Freunde antwortete sie einsilbig.
Maudlin machte dieser Anblick traurig, sie versuchte, Hadors Tochter zu zerstreuen; diese hörte ihr auch geduldig zu, man fühlte allerdings, daß sie mit ihren Gedanken ganz woanders war.
Vergeblich hatte man die Bullaugen nicht abgeschirmt, vergeblich mühten sich Maudlin und ihre Mutter, die Aufmerksamkeit Lotias auf die Unterwasserwelt zu lenken, auf die vielen Schwärme exotischer Fische, die sich im Scheinwerferstrahl des U‑Bootes tummelten, oder auf irgendein seltenes, den Menschen bis dato unbekanntes Seeungeheuer. Nichts schien die schöne Ägypterin zu interessieren …
Die Tage vergingen, ohne daß einmal ein Lächeln auf ihren Lippen erschien. Ihre wächserne Blässe nahm zu. Was gingen sie die Korallenriffe von Torres an, was die rätselhaften Algen in der Bandasee, was die vielfarbige Unterwasserwelt zwischen den Timorinsein, Neuguinea und Celebes, was die Unterwasservulkane in der Javasee. Man hatte die Meerenge von Karimata passiert und schickte sich an, ins Chinesische Meer einzudringen, ohne daß die Bemühungen der Passagiere, das junge Mädchen aus seiner Lethargie zu reißen, Erfolg gehabt hätten.
Eines Abends, als sich Lotia nach dem Essen in ihre Kabine zurückgezogen hatte, sagte Mrs. Allsmine zu ihrer Tochter: »In diesem schwimmenden Gefängnis ist es unmöglich, etwas gegen ihre Traurigkeit zu unternehmen. Ja, wenn wir festen Boden unter den Füßen hätten, dann könnten wir sie überreden auszugehen, etwas zu unternehmen. Die Landschaft und das Auf und Ab von Menschen würden sie anregen und sicher dazu beitragen, ihren Schmerz zu lindern.«
»Du hast recht, Mutter«, erwiderte Maudlin, »wir müssen dafür sorgen, daß sie einmal rauskommt.«
Die anderen Passagiere betrachteten sie erstaunt.
»Ja«, sagte Maudlin. »Ihr denkt, wir sitzen hier fest. Mitnichten. Wir werden einmal in den unterseeischen Wäldern auf die Jagd gehen.«
»Wie wollen wir das denn anstellen?« fragte Armand.
»Ihr wißt, daß wir an Bord Taucheranzüge haben, die mit sich kreuzenden Stahlbändern durchwirkt sind. Dieses Stahlgeflecht hat eine fast unbegrenzte Widerstandskraft und erlaubt uns, in Tiefen hinabzutauchen, in denen der Wasserdruck so gewaltig ist, daß er ohne diese Taucheranzüge jeden Menschen töten würde.«
Sie lächelte und wandte sich an Aurett.
»Erlaubt, daß ich einige Zahlen nenne, nicht aus Pedanterie, glaubt mir …, aber wenn ich darüber nicht Bescheid wüßte, wäre aus mir nie ein Teil von Korsar Triplex geworden. Ich seh deinem Gesicht an, daß der Gedanke, unter Wasser herumzuspazieren, dich ängstigt, Aurett. Aber ich kann dich beruhigen. Denn der atmosphärische Druck in Bodenhöhe, so wie ihn Torricelli bestimmt hat, entspricht dem Druck einer Wassersäule von etwa zehn Metern, exakt zehn Meter und vierzig Zentimeter, das heißt von hundertdrei Kilogramm und sechsunddreißig Gramm auf einen Quadratdezimeter Oberfläche, also zehntausenddreihundertsechsunddreißig Kilogramm auf einen Quadratmeter. So gerechnet, verstärkt sich dieser Druck mal zwei, mal zehn, mal hundert, wenn wir in eine entsprechende Wassertiefe tauchen. Mit einem Wort, wenn wir eine Tiefe von tausend Metern erreichen, sind wir einem Druck von einer Million dreiunddreißigtausendsechshundert Kilogramm ausgesetzt, das genügt, um uns so platt wie ein Blatt Papier zu drücken. Nun, unsere Taucheranzüge sind derart konstruiert, daß wir mühelos Tiefen von dreitausend Metern erreichen können. Wenn ich euch fürs erste einen Ausflug in dreißig oder vierzig Meter Tiefe vorschlage, so bedeutet das für uns keinerlei Risiko.«
»Aber die schrecklichen Fische, die Haie …«, gab Lady Joan zu bedenken, der ob der Ruhe ihrer Tochter etwas unbehaglich war.
Maudlin wandte sich zu ihr um.
»Haie? Oh, Mutter, eine Begegnung wäre eher für sie gefährlich, du wirst sehen.«
Dann wandte sie sich wieder an die anderen.
»Einverstanden? Wer will eine hübsche kleine Landpartie unternehmen? Im übrigen wird uns bei unserem ersten Unterwasserlandgang das U‑Boot wie ein treuer Hund folgen. Also, wer ist dabei?«
Aurett antwortete als erste: »Ich hätte große Lust.«
»Ich auch«, erklärte Armand.
Das war das Signal für Joan und Robert, ebenfalls zuzustimmen. Auch Lotia willigte nach einer gewissen Zeit des Zuredens ein mitzukommen.
»Nur«, bemerkte Aurett, »wir werden unter Wasser so stumm wie die Fische sein müssen.«
»Irrtum«, sagte Maudlin fröhlich, »natürlich können wir miteinander schnattern.«
»Wie das?«
»Eine simple Telefonvorrichtung.«
»Sie scherzen, Miß Green«, sagte Armand.
»Meinen Sie. Kommen Sie mit, ich werde Ihnen die Apparate zeigen.«
Sie wandte sich zur Tür, die anderen folgten ihr. Über eine Treppe gelangten sie in den Kiel von Nummer zwei. Dort erkannten sie im Schein des elektrischen Lichts einen langgestreckten Raum, dessen gewölbter Fußboden verriet, daß sie auf dem unteren Deck des U‑Bootes standen. Dort waren fein säuberlich die Taucheranzüge an der Wand aufgereiht. Sie wirkten wie Schaufensterpuppen, allerdings wie sehr exotische, denn die Kautschukanzüge mit den Metallkreuzen, den gläsernen Sehschlitzen in der für den Kopf gedachten Haube machten sie Wesen einer unbekannten Art viel ähnlicher.
»Der Wachsaal eines unterseeischen Kastells«, bemerkte der Pariser.
»Das trifft es«, sagte Maudlin. »Aber diese Rüstungen, bestes neunzehntes Jahrhundert, sind unendlich bequemer als die mittelalterlichen.«
Während sie das sagte, »köpfte« sie einen Anzug.
»Schauen Sie. Im vorderen Teil der Kugelhaube befindet sich in Höhe der Lippen ein vibrierendes Plättchen, das haargenau dem in gewöhnlichen Telefonen verwendeten entspricht. In Höhe der Ohren befindet sich eine Membran und auf dem Rücken, außerhalb der Metallkugel, eine Antenne. Wenn Sie mit einem Gefährten sprechen wollen, müssen Sie den Kontakt herunterdrücken, der sich in einer Batterie vor Ihrer Brust befindet, und über die Antenne wird die Verbindung hergestellt.«