Er sagte das so ernsthaft, daß Lord Strawberry, der unmöglich den Doppelsinn von Pritchells Worten ahnen konnte, überzeugt war, daß jener die Wahrheit sagte. Hatte nicht der Korsar, seit sein Name in aller Munde war, für soviel Verwirrung gesorgt, daß es schon an Dünkel grenzte, dem Besitzer der Insel vorzuwerfen, es an der sorgfältigen Überwachung seines Besitzes habe fehlen zu lassen?
»Sei es, wie es sei, Sir«, erwiderte der Admiral, »ich nehme Ihre Einladung an. Wollen Sie bitte zum Gegenstand Ihrer Mission kommen.«
»Gegenstand ist das richtige Wort, Mylord, denn es handelt sich um einen Brief.«
»Ein Brief, der Ihnen überreicht wurde?«
»Ja.«
»Können Sie mir sagen, wie?«
»Gerade das kann ich nicht, Mylord. Als ich heute morgen aufwachte, fand ich ihn auf meinem Tisch. Meine Bediensteten, die ich deswegen befragte, erklärten, ihn nicht hingelegt und auch keinen Fremden gesehen zu haben, der dies getan haben könnte.«
»Sie müssen zugeben, das klingt phantastisch!«
»Rätselhaft und ärgerlich, Mylord. Es hat mich so verwirrt, daß ich kaum mein Frühstück anrühren konnte.«
»Dennoch haben Sie befolgt, was in dem Brief stand?«
Joe Pritchell lachte.
»Hätten Sie sich an meiner Stelle mit diesem unsichtbaren Teufelskerl angelegt, den man Triplex nennt, Mylord?«
Bei dieser Frage errötete der Admiral, aber statt einer Antwort fragte er selbst: »Und der Brief?«
Pritchell griff in seine Tasche, zog einen Umschlag heraus, auf dem stand:
Für Sir Joe Pritchell Goldinsel
Er öffnete den Umschlag, zog ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus, strich es glatt und las:
»Nach Erhalt dieses Schreibens wird sich Sir Joe Pritchell an Bord des Flaggschiffes der in der Silly-Maudlin-Bucht versammelten englischen Pazifikflotte begeben.« Er unterbrach sich. »Was geschehen ist«, sagte er und fuhr in seiner Lektüre fort: »Er wird Lord Strawberry fragen, ob entsprechend unserer Abmachung der Direktor der Pazifikpolizei, Toby Allsmine, an Bord ist.«
Joe blickte auf und schaute sein Gegenüber an.
»Ich stelle Ihnen hiermit diese Frage«, sagte er langsam.
»Und sicher haben Sie verschiedene Instruktionen, je nachdem, wie die Antwort ausfällt?« sagte der Admiral barsch.
Zweifellos mißfiel ihm der Ton, in dem der Brief des Korsaren abgefaßt war.
Aber Pritchell schien die schlechte Laune Strawberrys nicht bemerkt zu haben, denn er fuhr gelassen fort: »Sie haben es erraten, Mylord. Hören Sie, was mein geheimnisvoller Korrespondent weiter schreibt: Falls Allsmine anwesend ist, so wollen Sie Lord Strawberry und seine Offiziere heute abend zum Essen bitten. Ich werde mich den Herren zeigen und den Schuldigen entlarven.«
Wieder blickte Pritchell den Admiral an.
»Darf ich Sie zum Diner bitten, Mylord?«
»Nein, denn Allsmine ist nicht bei uns.«
Joe verbeugte sich und blickte wieder in den Brief.
»In diesem Falle möchte ich Seine Lordschaft bitten, das schnellste seiner Schiffe nach Sydney zu schicken, um den Direktor der Polizei zur Goldinsel zu holen.«
Ein Zucken lief über das Gesicht des Admirals, seine Augen funkelten zornig, und mit zusammengepreßten Lippen belferte er: »Wie, Korsar Triplex gibt der englischen Flotte Befehle? Diesen unbotmäßigen Ton dulde ich nicht. Meine Schiffe werden unverzüglich die Anker einholen. Die Unterredung ist beendet. Wir laufen aus. Und Sie, Sir, kehren auf die Insel zurück und richten Ihrem Brieffreund aus, daß die Offiziere der englischen Marine nur von der Admiralität und der Königin Befehle erhalten. Guten Tag.«
Joe lächelte. Er trat an das Bullauge, beugte sich nach draußen und sah, daß seine Schaluppe backbord neben dem Kreuzer lag. Der Bedienstete, der die weiße Fahne trug, stand im Heck.
»He«, schrie er ihm zu, »die Fahne runter!«
»Was tun Sie da?« fragte ihn der Admiral.
»Ich erfülle die letzte Weisung im Brief des Korsaren.«
»Und wie heißt die?«
»Im Falle der Weigerung bitte ich Sie, die weiße Fahne senken zu lassen. Und wenn Sie dann bitte gemeinsam mit dem Herrn Admiral zu der Passage blicken wollen, die ins offene Meer führt …«
»Die Fahne hat sich gesenkt«, sagte Pritchell, »und jetzt schaue ich zu der Passage.«
Britische Admiräle sind stolz, aber auch neugierig. Und noch bevor Pritchell zu Ende gesprochen hatte, blickte der Admiral mürrisch zu den klaren Wassern der Passage, dem einzigen Zugang zur Insel. Aber sein mürrischer Gesichtsausdruck wich erst Ungläubigkeit, dann blankem Entsetzen. Dort geschah etwas Unglaubliches.
Die Felsen bewegten sich ja! In Bruchteilen von Sekunden war die Passage verschwunden. Statt der ruhigen See brachen sich an dieser Stelle die Wellen des Ozeans und zeigten an, daß auch hier die Klippen wenige Zentimeter unter der Wasseroberfläche begannen.
Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Die Anwesenden begriffen, daß man die Bucht eben abgeriegelt hatte. Die Pazifikflotte war in der Bucht der Goldinsel gefangen!
Armand entsann sich der Schienenstränge, die er auf dem Meeresgrund entdeckt hatte, als sie mit Unterseeboot zwei hinausgefahren waren. Triplex öffnete oder schloß die Passage nach Belieben. Aber es blieb ihm nicht viel Zeit zum Überlegen. Neben der Schaluppe blubberte es im Wasser, ein durchdringendes Pfeifen ertönte, und auf der Brücke des Panzerkreuzers landete ein Gegenstand, den ein Matrose unverzüglich in die Admiralskajüte beförderte.
Dieser Gegenstand war ein Holzei. Pritchell nahm es in die Hand, öffnete es und zog einen Zettel heraus, den er dem Admiral reichte, wobei er mit einem ironischen Unterton in der Stimme bemerkte: »Eine Depesche für Lord Strawberry.«
Dieser war noch nicht ganz Herr seiner Sinne und griff mechanisch nach dem Zettel. In seiner Verwirrung las er laut vor, was darauf stand:
»Ehrenwerter Lord,
zu meinem großen Bedauern sehe ich mich veranlaßt, jede Verbindung zwischen der Bucht und dem offenen Meer abzuschneiden. Da sich Ihre Flotte durchaus als gefangen betrachten darf, man ihrer dagegen ganz gewiß bald anderen Ortes bedarf, gehe ich wohl nicht fehl in der Annahme, daß Sie nunmehr einverstanden sein werden, ein Schiff nach Sydney zu schicken, um den Verbrecher Allsmine herbeizuschaffen. Diesem Schiff wird sich die Durchfahrt öffnen. Ich bedaure den Vorfall ganz außerordentlich, aber der Gerechtigkeit ist jedes Mittel recht, und ich handle im Namen der Gerechtigkeit.
Korsar Triplex
P. S. Der von Ihnen bezeichnete Kreuzer kann die Passage unbehelligt passieren. Ich werde seinen Kurs aufmerksam verfolgen und nur diesem Schiff die Durchfahrt gestatten, keinem anderen.«
Lord Strawberry vergaß sein Phlegma und bekam einen veritablen Wutanfall. Dann ließ er sämtliche Beiboote des Flaggschiffs zu Wasser bringen und zu der Stelle fahren, an der sich eben noch die Durchfahrt befunden hatte; offensichtlich glaubte der Admiral an Zauberei, an einen ganz gewöhnlichen Trick, der auf bloßer Illusion beruhte.
Doch nach Rückkehr der Boote wurde auch diese Hoffnung zunichte. Es gab keine Durchfahrt mehr. Dort, wo früher eine fünfzehn Meter tiefe Wasserrinne gewesen war, ragten jetzt Felsblöcke empor. Das war verrückt, unwahrscheinlich, aber es war eben so.
An Bord hielt man Rat, und man mußte einsehen, daß es kein anderes Mittel gab, sich den Wünschen des Korsaren zu widersetzen. Und so wurde noch am selben Tag der Leichte Kreuzer Wing nach Sydney geschickt. Und wie der Korsar versprochen hatte, öffnete sich diesem die Durchfahrt.
Es würde mindestens einen Monat dauern, bis er wieder zurück sein könnte. Während dieser ganzen Zeit lag die Flotte in der Bucht fest. Was blieb Lord Strawberry weiter übrig, als die Einladung Pritchells, ihn auf die Insel zu begleiten, anzunehmen. So schiffte er sich mit einigen seiner Männer ein und setzte seinen Fuß auf die Insel. Sie bezogen in der Villa Quartier. Von dort aus unternahm er eine regelrechte Treibjagd, aber nirgends fand er auch nur die Spur einer Geschützbatterie. Nirgends auch entdeckte er ein Indiz für die Anwesenheit des Korsaren.