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Nun, der letzte der Thanis lebte in Frankreich, in Paris, von England sorgsam überwacht, das ihm darüber hinaus auch eine nicht unerhebliche Pension zukommen ließ. Ein Abgesandter Hadors, Niari mit Namen, der ihm das Vorhaben mitteilte, brachte jedoch in Erfahrung, daß der junge Mann, der sich an das süße und leichte Leben gewöhnt hatte, vor einem Kampf zurückschreckte und darüber hinaus auch die englische Botschaft über den Vorfall informiert hatte. Diese Denunziation führte nun zu folgendem:

Die Admiralität begriff, daß – falls Thanis offiziell ablehnte, den Aufstand anzuführen – der Aufstand trotzdem losbrechen würde. Es galt, einem kostspieligen und blutigen Krieg vorzubeugen. Man beschloß, daß Thanis scheinbar auf das Angebot, das man ihm unterbreiten würde, eingehen sollte; nur würde man inzwischen die Angelegenheit verzögern und jemanden suchen, den man für Thanis halten sollte. Niari, der der Sache Ägyptens blind ergeben war, würde zweifelsohne diesen Schachzug unterstützen. Sollte die Täuschung gelingen, würde man den falschen Thanis in Ägypten festnehmen, deportieren, und die so ihres Kopfes beraubte Verschwörung würde von selbst zusammenbrechen, was dem echten Thanis erlaubte, lauthals seine Rechtmäßigkeit zu beweisen und dadurch die Aufständischen zu diskreditieren und natürlich sein müßiges Leben fortzusetzen.

All das war sehr geschickt eingefädelt. Die Wahl des Ägypters fiel auf Robert Lavarède, der auf einem Bauernhof in Südalgerien geboren worden war und keine Verwandtschaft weiter hatte als den Unterzeichner, seinen Cousin, der ihn jedoch noch nie gesehen hatte. Er entsprach also allen Anforderungen der Admiralität.

Alles verlief so wie vorgesehen. Robert wurde überraschend entführt und, ohne zu wissen, worum es ging, an die Spitze der ägyptischen Verschwörung gestellt und mit Miß Hador verlobt. Dann wurde er von der englischen Polizei verhaftet und im westlichen Australien interniert. Es gelang ihm allerdings, unter Umständen, die im einzelnen aufzuführen hier zu weit führen dürfte, von dort zu fliehen. Er tötete Thanis in einem dramatischen Duell und kehrte nach Frankreich zurück.

Er hatte die Absicht, Miß Hador zu ehelichen, mit der ihn tiefe Liebe verband, die von ihr erwidert wurde, und wollte ein bürgerliches Leben führen. Aber ach! Seine Leiden sollten ja erst beginnen.

Um Ägypten ruhig zu halten, brauchte England einen Thanis, den es unter Kontrolle hatte. Die britische Regierung hatte also die französische gebeten, dem jungen Mann die französische Staatsbürgerschaft abzuerkennen und ihn als einen Ägypter zu betrachten, den man irrtümlich in den französischen zivilen wie militärischen Listen erfaßt hatte. Dem gab die französische Regierung auch nach.

Robert verlor also auf einmal seinen Namen und seine Nationalität. Er hatte keine andere Alternative, als unter dem Namen des Verräters zu leben, den er soeben gerecht bestraft hatte.

Das alles war unstatthaft, wie Euer Exzellenz unschwer verstehen wird. Welche Nation auch immer es sein möge, der ein edler Mann angehört, sie müßte verhindern, daß dieser Mann einen anderen Namen hat als seinen eigenen – gar noch den eines Verräters an seinem Volk.

Um seine Verlobte ehelichen zu können, mußte mein Cousin seinen Namen und seine Staatsbürgerschaft wiedererlangen!

Nun setzte eine Serie von Eingaben, Ausgaben und Preisgaben ein, die samt und sonders nichts einbrachten, denn die britischen Beamten verhinderten unsere intelligentesten Kombinationen.

Von Tag zu Tag wurde Robert mutloser. Der arme Junge warf sich vor, Miß Hadors Leben durch seinen aussichtslosen Kampf ruiniert zu haben. Umsonst bemühte ich mich, ihm Mut zuzusprechen; Hoffnungslosigkeit übermannte ihn und trübte seinen Verstand.

Schließlich verließ er eines Nachts das Haus, das wir bewohnten. Zurück blieb ein Abschiedsbrief, dessen Kopie ich diesem Schreiben beilege:

Cousin, Ihr alle, die ich liebe,

die Würfel sind gefallen. Mir ist jetzt klargeworden: Ich habe eine Aufgabe übernommen, die über meine Kräfte geht – ein Mann kann nicht über ein Volk triumphieren. Wenn ich bei Euch bleibe, gefährde ich Eure Existenz, ich halte das Glück von Euch fern, ich zerstöre Lotias Leben. Es ist meine Pflicht, ihr dieses Leben zu erhalten. Möge sie den Unglücklichen, der diese Zeilen geschrieben hat, vergessen. Sie soll nicht versuchen, mich zu finden; in dem Augenblick, da Ihr diese Zeilen lest, bin ich schon weit von Euch entfernt, und jede weitere Minute vergrößert die Distanz zwischen mir und Euch.

Die Pflicht ist grausam, aber ein Opfer, das man denjenigen darbringt, die man liebt, gibt meinem verfehlten Leben ein Ziel.

Adieu für immer. Mit Herz und Augen voller Tränen.

Ein Namenloser

Ein Schluchzen unterbrach die Lektüre. Lotia verbarg ihr Gesicht in ihren Händen, und ihr Körper wurde von krampfartigem Weinen geschüttelt.

Aurett hatte sich erhoben und über das Opfer des Dramas gebeugt, deren Schicksal der Brief mit der Trockenheit solcher Schriftstücke soeben enthüllt hatte. Sie streichelte sie und beruhigte sie mit Worten.

Sanft sagte der Journalist: »Mut, Lotia; wenn ich diesen Brief Ihrer Kritik unterziehe, so doch nicht, um Sie zum Weinen zu bringen. Es geht darum, Robert wiederzufinden, und wir werden ihn wiederfinden.«

»Ja, das ist richtig, ich glaube … Aber unsere Lage wird immer die gleiche sein. Im Angedenken an seinen Vater, ein Gefühl, das ich teile, will er seinen Namen Lavarède wiederhaben; aus Liebe zu seiner Heimat will er wieder Franzose werden. Die gleichen Schwierigkeiten werden wieder anfangen.«

Armand lächelte.

»Das ist genau der Punkt, in dem Sie irren.« Und als er den neugierigen Blick der beiden Frauen bemerkte, fuhr er fort: »Mir ist eine Idee gekommen, als ich australischen Boden betrat, eine Idee, die so einfach ist, daß ich mich frage, warum sie mir nicht schon früher gekommen ist.«

»Was für eine Idee?«

»Diese: Als Robert mit Ihnen, Lotia, und dem richtigen Thanis dieses Land verlassen hat, ließ er den Abgesandten der Neoägypter zurück. Dieser Niari ist ja über die Intrige, deren Opfer mein Cousin ist, bestens unterrichtet. Wenn Robert wieder unter uns weilt, suchen wir diesen Burschen, bringen ihn nach Frankreich, und aufgrund seiner und Ihrer Erklärung, Lotia, lassen wir ein Identitätszeugnis ausstellen, das Ihrem Verlobten seinen Namen und seinen Platz in der französischen Gesellschaft wiedergibt.«

Ein Freudenschrei war die Antwort auf diese Erklärung. Aurett und Lotia lächelten erleichtert. Dennoch wagte die Ägypterin, einen Zweifel anzumelden: »Wird denn Niari einwilligen?«

»Aber sicher, sein Interesse ist das gleiche wie das Ihre.«

»Glauben Sie?«

»Das liegt doch auf der Hand. Dieser Mann ist ein ägyptischer Patriot. Das Oberhaupt der Verschwörung ist vernichtet. Sein Wunsch müßte also sein, diese Sache zu bestätigen, damit die Anhänger der Unabhängigkeit einen anderen Anführer wählen und ihre Ziele weiterverfolgen können.«

»Das ist wahr, das ist wahr«, sagte Roberts Verlobte und ergriff die Hände des liebenswürdigen Parisers, »und Ihr Cousin hat Sie mir sehr gut beschrieben, als er sagte: ›Selbst wenn Armand an Händen und Füßen gefesselt in einem Käfig eingeschlossen wäre, der hundert Fuß unter der Erde, von Beton umgeben, eingelassen ist, er ist erfinderisch genug, auch von dort wieder herauszufinden.‹«

»Sie übertreiben«, entgegnete der Pariser bescheiden, »vielmehr Robert übertreibt … Er ist in Algerien geboren, und Algerien liegt immerhin südlich von Marseille, wo es, wie jeder weiß, die allergrößten Aufschneider gibt. Zum Glück haben wir es bei dem zu lösenden Problem weder mit einem Käfig noch mit Beton zu tun, und ich denke, daß meine hypothetische Lösung richtig ist.« Und mit der Kaltschnäuzigkeit, die seinem Charakter eigen war, fügte er hinzu: »Ich fahre in meiner Lektüre fort. Sie wird euch, da der emotionale Teil überstanden, auch nicht weiter aufregen.«