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Wenn Krabat sich diesen Witko betrachtete - dürr, wie er war, und rotznasig -, wurde ihm klar, daß wohl stimmen mußte, was Michal gesagt hatte von den drei Jahren, um die er inzwischen älter geworden war - und daß er es eigentlich längst hätte merken müssen, von selber: an seiner Stimme, an seinem Körper, an seinen Kräften und weil ihm seit Anfang des Winters um Kinn und Wangen ein leichter Flaum sproß, nicht weiter ins Auge fallend, und doch, wenn man mit den Fingern darüber hinstrich, deutlich zu spüren.

An Tonda dachte er immer wieder in diesen Wochen, er fehlte ihm überall, und es schmerzte ihn, daß er sein Grab nicht besuchen konnte. Er hatte es zweimal versucht und war beide Male nicht weit gekommen: es lag zuviel Schnee im Koselbruch, darin war er steckengeblieben, nach wenigen hundert Schritten schon. Trotzdem blieb er entschlossen, bei nächster Gelegenheit einen dritten Versuch zu wagen - da kam ihm ein Traum zuvor.

Es ist Frühling, der Schnee ist dahingeschmolzen, der Wind hat ihn auf getilgt. Krabat geht durch den Koselbruch, es ist Nacht und Tag. Der Mond steht am Himmel, die Sonne scheint. Bald muß Krabat beim Wüsten Plan sein - da sieht er im Nebel eine Gestalt auf sich zukommen. Nein, sie entfernt sich. Er glaubt, daß es Tonda ist.

»Tonda!« ruft er, »bleib stehen! Ich bin es - Krabat!«

Es ist ihm, als zögere die Gestalt einen Augenblick. Wie er dann weitergeht, setzt auch sie ihren Weg fort.

»Bleib stehen, Tonda!«

Krabat beginnt zu laufen. Er rennt was er kann. Der Abstand verringert sich.

»Tonda!« ruft er.

Nun ist er auf wenige Schritte herangekommen - da steht er vor einem Graben. Der Graben ist breit und tief, kein Steg führt hinüber, kein Balken liegt in der Nähe, auf dem er ihn überqueren könnte.

Drüben steht Tonda, er kehrt ihm den Rücken zu.

»Warum fliehst du mich, Tonda?«

»Ich fliehe dich nicht. Du mußt wissen, daß ich am anderen Ufer bin. Bleib du auf deinem.«

»Wende mir wenigstens das Gesicht zu!«

»Ich kann nicht zurückblicken, Krabat, ich darf es nicht. Doch ich höre und werde dir antworten, dreimal im ganzen. Nun frage mich, was zu fragen ist.«

Was ist zu fragen? Krabat braucht nicht darüber nachzudenken.

»Wer, Tonda, hat deinen Tod verschuldet?«

»Am meisten ich selbst.«

»Und wer noch?«

»Du wirst es erfahren, Krabat, wenn du die Augen offenhältst. Nun die letzte Frage.«

Krabat besinnt sich. Es gäbe noch viel, was er wissen möchte ...

»Ich bin sehr allein«, sagt er. »Seit du weg bist, habe ich keinen Freund mehr. Wem kann ich mich anvertrauen, was rätst du mir?«

Tonda blickt ihn nicht an, auch jetzt nicht.

»Geh heim«, sagt er, »und vertraue dem ersten besten, der dich beim Namen ruft: auf ihn wird Verlaß sein. - Und noch eins, bevor ich gehe, ein Letztes! Daß du mein Grab besuchst, ist nicht wichtig. Ich weiß, daß du an mich denkst - das ist wichtiger.«

Langsam hebt Tonda die Hand zum Gruße. Dann löst er sich auf in den Nebeln - und ohne den Kopf zu wenden, entschwindet er.

»Tonda!« ruft Krabat ihm nach. »Geh nicht fort, Tonda! Geh nicht fort von mir!«

Er schreit es aus tiefster Seele - und plötzlich hört er, wie jemand »Krabat!« ruft. - »Aufwachen, Krabat, aufwachen!«

Michal und Juro standen an Krabats Pritsche, sie beugten sich über ihn. Krabat wußte nicht, ob er noch träumte oder schon wach war.

»Wer hat mich gerufen?« fragte er.

»Wir«, sagte Juro. »Du hättest dich hören müssen, wie du im Schlaf geschrien hast!«

»Ich?« fragte Krabat.

»Es war zum Erbarmen.« Michal faßte nach seiner Hand. »Hast du Fieber?«

»Nein«, sagte Krabat. »Ich hatte bloß - einen Traum ...« Und dann fügte er hastig hinzu: »Wer von euch hat meinen Namen zuerst gerufen? Sagt mir's, ich muß es wissen!«

Michal und Juro erklärten sich überfragt, darauf hätten sie nicht geachtet.

»Aber ein nächstesmal«, meinte Juro, »werden wir an den Knöpfen abzählen, wer dich wecken darf - damit's hinterher keinen Zweifel gibt.«

Für Krabat stand fest, daß es Michal gewesen sein mußte, der ihn als erster gerufen hatte. Juro, gewiß, war ein braver Bursche, gutmütig durch und durch, aber eben ein Dummkopf. Tonda konnte nur Michal gemeint haben, als sie im Traum miteinander gesprochen hatten. Von nun an wandte sich Krabat an ihn, wann immer er Rat oder Antwort auf eine Frage brauchte.

Michal enttäuschte ihn nie, bereitwillig gab er ihm Auskunft in allen Dingen. Nur einmal, als Krabat die Rede auf Tonda brachte, wies er ihn ab.

»Die Toten sind tot«, sagte Michal. »Sie werden nicht wieder lebendig, wenn man von ihnen spricht.«

Michal war Tonda in manchem ähnlich. Krabat vermutete, daß er dem neuen Lehrjungen heimlich Beistand leistete, da er ihn hin und wieder bei Witko stehen und mit ihm sprechen sah - so wie Tonda vergangenen Winter zuweilen mit Krabat gesprochen und ihm geholfen hatte.

Auch Juro nahm sich auf seine Weise des Neuen an, indem er ihn ständig zum Essen nötigte. »Iß du nur, Jungchen, iß du nur, was du runterkriegst, daß du groß und stark wirst und Speck auf die Rippen bekommst!«

In der Woche nach Lichtmeß begannen sie mit der Waldarbeit.

Sechs Burschen, darunter Krabat, sollten die Stämme, die sie im Vorjahr geschlagen und draußen gelagert hatten, zur Mühle schaffen. Das war bei dem hohen Schnee keine leichte Sache. Um sich zum Holzplatz durchzuschaufeln, brauchten sie eine volle Woche - und dies, obgleich Michal und Merten dabei waren, die sich gewaltig ins Zeug legten.

Andrusch zeigte für solchen Eifer wenig Verständnis. Er tat nur gerade das Allernötigste, um sich warmzuhalten.

»Wer bei der Arbeit friert, ist ein Esel«, erklärte er, »und wer schwitzt - ein Hornochse.«

Um die Mittagszeit war es an diesen Februartagen so warm, daß die Burschen sich nasse Füße holten im Wald. Wenn sie abends nach Hause kamen, mußten sie reichlich Talg auf die Stiefel schmieren, der wurde dann mit den Handballen eingewalkt, um das Leder geschmeidig zu halten, sonst wäre es über Nacht, wenn die Stiefel zum Trocknen über dem Ofen hingen, steinhart geworden.

Alle verrichteten diese lästige Arbeit selbst - bis auf Lyschko, der sich an Witko hielt und ihn zwang, sie ihm abzunehmen. Als Michal das merkte, stellte er Lyschko in Gegenwart aller Burschen dafür zur Rede.

Auf Lyschko machte das wenig Eindruck.

»Was ist schon dabei?« erklärte er leichthin. »Die Stiefel sind naß gewesen - und Lehrjungen sind dazu da, daß sie arbeiten.«

»Nicht für dich!« sagte Michal.

»Ach was!« widersprach ihm Lyschko. »Du steckst deine Nase in Dinge, die dich nichts angehen. Bist du hier etwa der Altgesell?«

»Nein«, mußte Michal einräumen. »Aber ich schätze, daß Hanzo es mir nicht übelnimmt, wenn ich dir trotzdem sage, daß du dir deine Stiefel in Zukunft selber walken sollst, Lyschko. Sonst könnte es sein, daß du Ärger bekommst - und kein Mensch soll mir nachsagen dürfen, ich hätte dich nicht gewarnt.«

Wer bald darauf Ärger bekam, war nicht Lyschko.

Am Abend des nächsten Freitages, als die Burschen in Rabengestalt in der Schwarzen Kammer hockten, eröffnete ihnen der Meister, es sei ihm zu Ohren gekommen, daß einer von ihnen dem neuen Lehrjungen heimlich zur Hand gehe und ihm verbotenerweise die Arbeit erleichtere: das verdiene, bestraft zu werden. Dann wandte er sich an Michal.

»Wie kommst du dazu, dem Jungen zu helfen - antworte!«

»Weil er mir leid tut, Meister. Die Arbeit, die du ihm zumutest, ist zu schwer für ihn.«

»Findest du?«

»Ja«, sagte Michal.

»Dann höre mir jetzt gut zu!«

Der Müller war aufgesprungen, er stützte sich mit den Händen auf den Koraktor, den Oberkörper weit vorgebeugt.