Выбрать главу

»Nicht verzweifeln!«

Aus weiter Ferne hörte er Juros Stimme. Dann spürte er, wie sich ihm eine Hand auf die Schulter legte, und abermals, diesmal ganz nahe, hörte er Juro sprechen:

»Vergiß nicht, daß es ein erster Versuch war, Krabat.«

Von jetzt an verbrachten sie alle Nächte, in denen der Müller sich außer Haus befand, in der Küche. Krabat übte dann unter Juros Anleitung, seinen eigenen Willen gegen den Willen des Freundes durchzusetzen: ein schweres Stück Arbeit für beide, und oft genug sah es aus, als ob Krabat verzagen wollte, »weil ich es doch nicht schaffe - und wenn ich schon sterben muß, will ich wenigstens nicht dran schuld sein, daß auch das Mädchen umkommt, verstehst du das?«

»Ja«, sagte Juro dann, »das verstehe ich, Krabat - aber noch ist ja das Mädchen nicht eingeweiht. Vorläufig brauchst du dir keine Gedanken darüber zu machen, ob du dich so oder so entscheiden wirst. Wichtiger ist, daß wir weiterkommen. Wenn du den Mut nicht verlierst und nicht aufgibst, dann sollst du mal sehen, wie gut wir das bis zum Ende des Jahres hinkriegen, glaub mir das!«

Wieder, zum wievielten Mal wohl, ging es von neuem los mit der Plackerei - und allmählich, im Lauf des Spätsommers, stellten sich hin und wieder die ersten Erfolge ein.

Der Adler des Sultans

Hatte der Meister Verdacht geschöpft? War er Krabat und Juro, mit Lyschkos Hilfe vielleicht, auf die Spur gekommen?

An einem der ersten Septemberabende lud er die Müllerburschen zu einem Umtrunk ein, und nachdem sie sich um den großen Tisch in der Meisterstube versammelt hatten und jedem der Becher gefüllt war, brachte er unerwartet »ein Wohl auf die Freundschaft!« aus. Juro und Krabat blickten sich über den Tisch weg betroffen an.

»Trinkt aus!« rief der Meister. »Trinkt alle aus!« Dann ließ er von Lobosch aufs neue die Becher füllen und sagte:

»Ich habe euch im vergangenen Sommer von Jirko erzählt, meinem besten Freund. Und ich habe euch nicht verschwiegen, ich hätte ihn eines Tages umgebracht. Wie es dazu gekommen ist, sollt ihr nun erfahren ... Es war in den Jahren des großen Türkenkrieges, Jirko und ich hatten damals für einige Zeit aus der Lausitz verschwinden müssen, wir hatten uns voneinander getrennt. Ich ließ mich beim Heer des Kaisers anwerben, wo ich als Musketier diente, während Jirko sich, was ich nicht ahnen konnte, dem türkischen Sultan als Zaubermeister verdingt hatte.

Kaiserlicher Befehlshaber war der Marschall von Sachsen. Er hatte uns weit nach Ungarn hineingeführt, wo wir seit Wochen dem türkischen Heer gegenüberlagen, Freund und Feind in befestigten Lagern verschanzt. Vom Krieg war nicht viel zu spüren, außer daß sich die beiderseitigen Streifscharen dann und wann ein Scharmützel lieferten und die Kanonen sich auf verschiedene Punkte im Vorfeld einschossen. Eines Morgens stellte sich dann heraus, daß die Türken sich nächtlicherweile des Marschalls von Sachsen bemächtigt und ihn entführt hatten, offensichtlich mit Hilfe von Zauberei. Bald darauf kam ein Unterhändler vor unsere Schanzen geritten: Der Marschall befinde sich als Gefangener in des Sultans Hand; man werde ihn freilassen, falls unser Heer sich binnen sechs Tagen aus Ungarn zurückziehe, widrigenfalls er am Morgen des siebenten Tages erdrosselt werde. Da war die Bestürzung groß, und weil ich nicht wußte, daß Jirko im türkischen Lager war, machte ich mich erbötig, den Marschall zurückzuholen.«

Der Meister leerte den Becher auf einen Zug, winkte Lobosch heran, hieß ihn nachschenken und fuhr fort:

»Obgleich unser Hauptmann mich für verrückt erklärte, meldete er die Sache dem Herrn Obristen weiter, der führte mich einem General vor, und dieser begab sich mit mir zum Herzog von Leuchtenberg, der anstelle des Marschalls den Oberbefehl übernommen hatte. Zunächst wollte auch der Herzog mir keinen Glauben schenken; da ließ ich die Offiziere des Stabes vor seinen Augen zu Papageien werden, den General aber, der mich ihm vorgeführt hatte, zu einem Goldfasan. Mehr brauchte es nicht, um den Herzog zu überzeugen. Er hieß mich die Herren schleunigst zurückverwandeln und sagte mir für den Fall, daß es mir gelingen sollte, den Marschall herauszuholen, eine Belohnung von tausend Dukaten zu. Dann ließ er mir seine eigenen Reitpferde vorführen, und ich durfte mir eines aussuchen.«

Abermals brach der Meister in seiner Erzählung ab, um zu trinken, und abermals mußte ihm Lobosch den Becher füllen, bevor er weitersprach.

»Ich könnte nun einfach in meiner Geschichte fortfahren«, sagte er, »doch mir ist etwas Besseres eingefallen. Den Rest sollt ihr selbst erleben: Krabat wird meinen eigenen Part übernehmen, die Rolle des zauberkundigen Musketiers, der den Marschall von Sachsen befreien will - und nun brauchen wir noch den Jirko ...«

Er blickte von einem Burschen zum ändern, er musterte Hanzo, er musterte Andrusch und Staschko. Zuletzt blieb der Blick seines Auges auf Juro haften.

»Du vielleicht ...«, meinte er. »Du wirst Jirko sein, wenn du magst.«

»Ist gut«, sagte Juro gleichgültig. »Einer muß das wohl machen.«

Krabat ließ sich von seinem Grinsen nicht täuschen. Beiden war klar, daß der Meister sie prüfen wollte. Nun hieß es sich vorsehen, daß sie sich nicht verrieten.

Der Müller zerbröselte eine Prise getrockneter Kräuter über der Kerzenflamme; ein schwerer, betäubender Duft verbreitete sich im Raum, den Mühlknappen wurden die Lider schwer.

»Schließt nun die Augen!« gebot der Meister. »Dann werdet ihr sehen, was sich in Ungarn begeben hat. Juro und Krabat jedoch werden handeln - wie Jirko und ich es getan haben, damals im großen Türkenkrieg ...«

Krabat spürte, wie bleierne Müdigkeit ihn befiel, wie er langsam einschlief. Die Stimme des Meisters klang fern und eintönig:

»Juro, der Zaubermeister des Sultans, befindet sich bei den Türken, er hat auf den Halbmond geschworen ... Und Krabat, der Musketier Krabat in weißen Gamaschen und blauem Waffenrock, steht zur Rechten des Herzogs von Leuchtenberg und betrachtet die Pferde, die man ihm vorführt ...«

Krabat, der Musketier Krabat in weißen Gamaschen und blauem Waffenrock, steht zur Rechten des Herzogs von Leuchtenberg und betrachtet die Pferde, die man ihm vorführt. Am besten gefällt ihm ein Rappe mit einem winzigen weißen Mal auf der Stirn, es ähnelt von fern einem Drudenfuß.

»Gebt mir den da!« verlangt er.

Der Herzog läßt ihm den Rappen satteln und aufzäumen. Krabat lädt seine Büchse, er hängt sie sich über die Schulter und schwingt sich aufs Pferd. Er umrundet in leichtem Trab den Paradeplatz, dann gibt er dem Roß die Sporen und sprengt im Galopp auf den Herzog und dessen Gefolge zu, daß es aussieht, als wollte er sie in Grund und Boden reiten. Die Herren stieben entsetzt auseinander - doch Krabat fegt über ihre weißgepuderten Köpfe hinweg, und zur allgemeinen Verwunderung trägt der Rappe ihn steil in die Lüfte empor. Nicht genug damit! Roß und Reiter beginnen sich im Davonjagen zu verflüchtigen, mehr und mehr, bis sie aller Augen entschwunden sind - selbst den Blicken des Herrn Generalfeldzeugmeisters Graf Gallas, der über das schärfste Fernrohr der kaiserlichen Armee verfügt.

Krabat reitet in schwindelnder Höhe dahin, wie andere Leute über ein ebenes Feld reiten. Bald erspäht er am Rande eines zerschossenen Dorfes die ersten Türken. Er sieht ihre bunten Turbane in der Sonne leuchten, er sieht die Geschütze hinter den Schanzkörben aufgefahren, er sieht, wie die Streifscharen zwischen den Feldwachen hin und her reiten. Er selbst und sein Roß aber sind für niemand sichtbar. Die Pferde der Türken blähen vor Angst die Nüstern, die Hunde beginnen zu jaulen und klemmen den Schwanz ein.

Über dem türkischen Heerlager weht die grüne Fahne des Propheten im Wind. Krabat lenkt seinen Rappen zur Erde, behutsam läßt er ihn aufsetzen. Unweit des Prunkzeltes, das der Sultan bewohnt, entdeckt er ein etwas kleineres Zelt, das von einigen zwanzig bis an die Zähne bewaffneten Janitscharen bewacht wird.