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Dort stand Juro mit einer Decke.

»Du wirst dich erkälten, Krabat! Komm raus da, was soll denn das!«

Er half Krabat an Land, schlug ihn in die Decke ein, wollte ihn trockenreiben.

Krabat machte sich los von ihm.

»Ich versteh das nicht, Juro«, sagte er. »Ich versteh das nicht - daß ich auf dich geschossen habe.«

»Du hast nicht auf mich geschossen, Krabat - nicht mit dem Goldknopf.«

»Das weißt du?«

»Ich hatte es kommen sehen, ich kenn dich doch.« Juro versetzte ihm einen Rippenstoß. »So ein Todesschrei mag sich gräßlich anhören, aber er kostet nichts.«

»Und der Fleck auf der Stirn?« fragte Krabat.

»Ach - der!« meinte Juro lachend. »Vergiß nicht, daß ich ein wenig in den Geheimen Wissenschaften bewandert bin: so weit reicht es beim dummen Juro gerade noch.«

Ein Ring von Haar

Krabat hatte im Sommer ein paarmal von seinem Vorrecht Gebrauch gemacht und war über Sonntag ausgegangen: weniger zum Vergnügen als wegen des Meisters, damit er ihm keinen Anlaß zu weiterem Argwohn bot. Dennoch wurde er den Verdacht nicht los, daß der Müller es nach wie vor darauf anlegte, ihn aufs Eis zu führen.

Seit er auf Juro geschossen hatte, waren drei Wochen vergangen, in denen der Meister kaum ein paar Worte mit Krabat gewechselt hatte; dann sagte er eines Abends zu ihm - und er sagte es beiläufig, wie man von nebensächlichen Dingen zu sprechen pflegt:

»Nächsten Sonntag wirst du wohl nach Schwarzkollm gehen - oder?«

»Wie das?« fragte Krabat.

»Am Sonntag ist Kirmes drüben - ich könnte mir denken, daß das ein Grund wäre hinzugehen.«

»Mal sehn«, meinte Krabat. »Du weißt ja, ich mache mir nichts daraus, unter Leute zu kommen, wenn keiner von uns dabei ist.«

Hinterher fragte er Juro um Rat, was er tun solle.

»Hingehen«, sagte Juro. »Was sonst?«

»Das ist viel verlangt«, meinte Krabat.

»Es steht ja auch allerhand auf dem Spiel«, sagte Juro. »Außerdem wäre das eine gute Gelegenheit, mit dem Mädchen zu sprechen.«

Krabat war überrascht.

»Du weißt, daß sie aus Schwarzkollm ist?«

»Seit wir am Osterfeuer gesessen haben. Es war ja nicht schwer zu erraten.«

»Dann kennst du sie?«

»Nein«, sagte Juro. »Ich will sie auch gar nicht kennen. Was ich nicht weiß, kann niemand aus mir herausbringen.«

»Wie aber«, fragte Krabat, »soll es dem Meister verborgen bleiben, wenn wir uns treffen?«

»Du weißt ja«, erwiderte Juro, »wie man den Kreis zieht.« Er griff in die Tasche, er drückte ihm das Stück Holz in die Hand. »Nimm es - und triff dich mit deinem Mädchen und sprich mit ihr!«

Am Samstag ging Krabat früh zu Bett. Er wollte allein sein, er wollte noch einmal in Ruhe abwägen, ob er sich mit der Kantorka treffen sollte. Konnte er wagen, sie jetzt schon in alles einzuweihen?

Bei den nächtlichen Übungen war es Krabat in letzter Zeit immer öfter gelungen, sich Juros Befehlen zu widersetzen. Manchmal war sogar Juro es, der als erster ins Schwitzen kam. Das habe nicht viel zu sagen, meinte er zwar, und Krabat dürfe nur ja nicht den Fehler machen, den Meister zu unterschätzen - aber aufs ganze gesehen stand es nicht schlecht für sie.

Krabats Zuversicht war von Mal zu Mal größer geworden. Pumphutt hatte den Müller ja auch besiegt: warum sollte es ihm verwehrt sein? Er zählte auf Juros Hilfe - und auf die Kantorka.

Aber das war es ja eben, worüber sich Krabat noch immer im Zweifel war: Ob er die Kantorka denn hineinziehen durfte in die Geschichte. Wer gab ihm das Recht dazu? War sein Leben es wert, das ihre aufs Spiel zu setzen?

Krabat war unschlüssig. Einerseits mußte er Juro beipflichten: die Gelegenheit, sich zu treffen, war günstig - wer weiß, wann sie wiederkehrte. Wenn nur das andere nicht gewesen wäre, die Ungewißheit, ob er der Kantorka morgen schon alles erzählen sollte - wo er doch mit sich selber noch nicht im reinen war.

»Und wenn ich ihr«, ging es ihm durch den Kopf, »nur so viel erzähle, daß sie im ganzen Bescheid weiß, worum es geht - doch den Tag und die Stunde der Prüfung verschweige ich ...?«

Krabat empfand ein Gefühl der Erleichterung.

»Das bedeutet für sie, daß sie ihre Entscheidung nicht Hals über Kopf zu treffen braucht - und für mich, daß ich Aufschub gewinne, den Fortgang der Dinge abzuwarten: notfalls bis ganz zuletzt.«

Die Mitgesellen beneideten Krabat, als er am Sonntag nach Tisch erklärte, der Müller habe ihm für den Rest des Tages Urlaub gegeben, weil in Schwarzkollm heut Kirmes sei.

»Kirmes!« rief Lobosch. »Wenn ich das Wort bloß höre! Dann sehe ich Riesenbleche voll Streuselkuchen vor mir und Berge von süßen Kolatschen! Bringst du mir wenigstens was zum Kosten mit?«

»Aber ja«, wollte Krabat sagen; doch Lyschko kam ihm mit der Bemerkung zuvor, was Lobosch sich da wohl einbilde: Ob er denn glaube, daß Krabat nichts Besseres vorhabe in Schwarzkollm, als an Kuchen zu denken.

»Nein!« widersprach ihm Lobosch. »Was Besseres gibt es auf keiner Kirmes!« Das sagte er so bestimmt, daß alle darüber lachen mußten.

Krabat ließ sich von Juro eines der Brottücher geben, worin sie die Vesper mitnahmen, wenn sie zur Waldarbeit gingen oder zum Torfplatz; das faltete er zusammen und schob es sich unter die Mütze, dann meinte er:

»Abwarten, Lobosch, was für dich übrigbleibt ...«

Krabat schlenderte aus dem Haus, er durchquerte den vorderen Koselbruch und schlug jenseits des Waldes den Feldweg ein, der um Schwarzkollm herumführte. An der Stelle, wo er am Ostermorgen der Kantorka gegenübergetreten war, zog er den Zauberkreis, darin ließ er sich nieder.

Die Sonne schien, es war angenehm warm für die Jahreszeit. Kirmeswetter, mit einem Wort. Krabat blickte zum Dorf hinüber.

Die Obstbäume in den Gärten waren schon abgeerntet, ein Dutzend vergessener Äpfel leuchtete gelb und rot aus dem welken Laub hervor.

Halblaut sprach er die Formel, dann wandte er alle Gedanken dem Mädchen zu.

»Es sitzt jemand hier im Grase«, ließ er die Kantorka wissen, »der mit dir sprechen muß. Mach dich auf eine Weile frei für ihn, er verspricht dir auch, daß es nicht lange dauern soll. Niemand darf merken, wohin du gehst und mit wem du dich triffst: darum bittet er dich - und er hofft, daß du kommen kannst.«

Eine Weile, das wußte er, würde er warten müssen. Er legte sich auf den Rücken, die Arme im Nacken verschränkt, um nochmals zu überdenken, was er der Kantorka sagen wollte. Der Himmel war hoch und von klarem Blau, wie er's nur im Herbst ist - und während er so hinaufblickte, wurden Krabat die Lider schwer.

Als er aufwachte, saß die Kantorka neben ihm auf dem Rasen. Er konnte sich nicht erklären, weshalb sie auf einmal hier war. Da saß sie, geduldig wartend, in ihrem gefältelten Sonntagsrock, ein buntes, mit Blumen bedrucktes Seidentuch um die Schultern, das Haar unter einem spitzenbesetzten Häubchen aus weißem Leinen.

»Kantorka«, fragte er, »bist du schon lange da? Warum hast du mich nicht geweckt?«

»Weil ich Zeit habe«, sagte sie. »Und ich dachte mir, daß es besser ist, wenn du von selber aufwachst.«

Er stützte sich auf den rechten Ellbogen.

»Lang ist es her«, begann er, »daß wir uns nicht gesehen haben.«

»Ja, das ist lang her.« Die Kantorka zupfte an ihrem Tuch. »Nur im Traum bist du manchmal bei mir gewesen. Wir sind unter Bäumen dahingegangen, entsinnst du dich?«

Krabat lachte ein wenig.

»Ja, unter Bäumen«, sagte er. »Es war Sommer - und warm war es - und du hast einen hellen Kittel getragen ... Das weiß ich, als wäre es gestern gewesen.«

»Und ich weiß es auch.«