Die Kantorka nickte, sie wandte ihm das Gesicht zu.
»Was ist es, weshalb du mich sprechen wolltest?«
»Ach«, meinte Krabat, »ich hätte es fast vergessen. - Du könntest mir, wenn du wolltest, das Leben retten ...«
»Das Leben?« fragte sie.
»Ja«, sagte Krabat.
»Und wie?«
»Das ist rasch erzählt.«
Er berichtete ihr, in welche Gefahr er gekommen sei und wie sie ihm helfen könnte: vorausgesetzt, daß sie ihn unter den Raben herausfand.
»Das sollte nicht schwer sein - mit deiner Hilfe«, meinte sie.
»Schwer oder nicht«, hielt ihr Krabat entgegen. »Wenn du dir nur im klaren bist, daß auch dein eigenes Leben verwirkt ist, falls du die Probe nicht bestehst.«
Die Kantorka zögerte keinen Augenblick.
»Dein Leben«, sagte sie, »ist mir das meine wert. Wann soll ich zum Müller gehen, dich freizubitten?«
»Dies«, meinte Krabat, »vermag ich dir heute noch nicht zu sagen. Ich werde dir Botschaft senden, wenn es soweit ist, notfalls durch einen Freund.«
Dann bat er sie, ihm das Haus zu beschreiben, in dem sie wohnte. Sie tat es und fragte ihn, ob er ein Messer zur Hand habe.
»Da«, sagte Krabat.
Er reichte ihr Tondas Messer. Die Klinge war schwarz, wie in letzter Zeit immer - doch jetzt, als die Kantorka es in Händen hielt, wurde das Messer blank.
Sie löste das Häubchen, sie schnitt eine Locke aus ihrem Haar: daraus drehte sie einen schmalen Ring, den sie Krabat gab.
»Er soll unser Zeichen sein«, sagte sie. »Wenn dein Freund ihn mir bringt, bin ich sicher, daß alles, was er mir sagt, von dir kommt.«
»Ich danke dir.«
Krabat steckte den Ring von Haar in die Brusttasche seines Kittels.
»Du mußt nun zurückgehen nach Schwarzkollm, und ich werde nachkommen«, sagte er. »Und wir dürfen uns auf der Kirmes nicht kennen - vergiß das nicht!«
»Heißt >sich nicht kennen<: >nicht miteinander tanzen<?« fragte die Kantorka.
»Eigentlich nicht«, meinte Krabat. »Es darf aber nicht zu oft sein, das wirst du verstehen.«
»Ja, das verstehe ich.«
Damit erhob sich die Kantorka, streifte die Falten an ihrem Rock glatt und ging nach Schwarzkollm zurück, wo inzwischen die Musikanten bereits mit der Kirmesmusik begonnen hatten.
Vor der Scholtisei waren Tische und Bänke aufgestellt, im Geviert um den Tanzplatz, wo sich die jungen Leute schon fleißig drehten, als Krabat hinzukam. Die Alten saßen behäbig an ihren Plätzen und schauten den Burschen und Mädchen zu: pfeiferauchend die Männer hinter dem Bierkrug, fast schmächtig wirkend im braunen und blauen Sonntagszeug neben den Weibern, die sich in ihrer Festtracht wie bunte Glucken ausnahmen und sich bei Kirmeskuchen und Honigmilch über das junge Volk auf der Tanzfläche unterhielten: Wer da zu welcher paßte, und welche zu welchem weniger oder gar nicht, und ob man denn schon gehört habe, dieser und jene würden bald heiraten, wohingegen es zwischen der Jüngsten vom Grobschmied und Bartoschs Franto so gut wie aus sei.
Die Musikanten auf ihrem Podest an der Hauswand - vier aufrecht stehende leere Fässer dienten als Unterbau für die Plattform, die aus den waagrecht übereinandergelegten Flügeln des Scheunentores bestand, das der Scholta zu diesem Zweck hatte herschaffen lassen -, die Musikanten spielten auf Fideln und Klarinetten zum Tanz auf, die Baßgeige nicht zu vergessen mit ihrem Schrumm-Schrumm. Und setzten sie einmal die Instrumente ab, um sich mit Bier zu laben, was ja ihr gutes Recht war - gleich rief es von allen Seiten:,
»He, ihr dort oben! Seid ihr zum Spielen oder zum Saufen da?«
Krabat mischte sich unter die jungen Leute. Er tanzte mit allen Mädchen, wahllos und ausgelassen, wie es gerade kam, bald mit dieser und bald mit jener.
Auch mit der Kantorka tanzte er dann und wann. Er tanzte mit ihr wie mit allen, wenngleich es ihm schwerfiel, sie andern Burschen zu überlassen.
Die Kantorka hatte begriffen, daß sie sich nicht verraten durften. Sie redeten miteinander, was man beim Tanz so redet, Unsinn und Albernheiten. Nur ihre Augen meinten es ernst mit Krabat; aber das merkte nur er allein - und weil er es merkte, vermied er es, wenn es ging, ihrem Blick zu begegnen.
So kam es, daß selbst die Bauernweiber an ihren Tischen keinen Verdacht schöpften; auch die Alte, die auf dem linken Auge erblindet war (Krabat entdeckte sie jetzt erst), machte da keine Ausnahme.
Dennoch zog Krabat es vor, von jetzt an die Kantorka nicht mehr zum Tanz zu holen.
Es dauerte ohnehin nicht mehr lang, bis der Abend hereinbrach. Die Bauern und ihre Frauen gingen nach Hause, die Burschen und Mädchen begaben sich mit den Spielleuten in die Scheune: dort tanzten sie auf der Tenne weiter.
Krabat blieb draußen. Er hielt es für klüger, jetzt heimzugehen, zurück in den Koselbruch. Die Kantorka würde es schon verstehen, wenn er sie nun allein ließ.
Er lüpfte zum Abschied die Mütze: da spürte er etwas Warmes auf seinem Kopf, etwas Weiches.
»Lobosch!« entsann er sich.
Krabat knüpfte die Zipfel des Brottuches kreuzweise übereinander. Dann stopfte er an den verlassenen Tischen Streuselkuchen hinein und Kolatschen, bis es prall und voll war.
Das Angebot
Je näher der Winter kam, desto langsamer, so erschien es Krabat, verstrich die Zeit. Von Mitte November an hatte er manchen Tag das Gefühl, als ginge es überhaupt nicht weiter.
Zuweilen, wenn niemand sonst in der Nähe war, überzeugte er sich davon, daß der Ring von Haar, den die Kantorka ihm gegeben hatte, noch da war. Sobald er ihn in der Brusttasche seines Kittels berührte, erfüllte ihn eine große Zuversicht. »Alles wird gutgehen«, glaubte er dann zu wissen. »Alles wird gutgehen.«
In letzter Zeit kam es selten vor, daß der Meister sich über Nacht außer Haus begab. Ahnte er, daß Gefahr im Verzug war - daß hinter seinem Rücken sich etwas anspann, wovor er sich hüten mußte?
Krabat und Juro nützten die wenigen Nächte, um unermüdlich in ihren Übungen fortzufahren. Krabat schaffte es immer öfter, sich Juro zu widersetzen.
Als sie sich wieder einmal am Küchentisch gegenübersaßen, geschah es, daß er den Ring von Haar aus der Tasche zog. Ohne sich etwas dabei zu denken, steckte er ihn an den kleinen Finger der linken Hand. Beim nächsten Befehl, den ihm Juro erteilte, tat Krabat sofort das Gegenteiclass="underline" das gelang ihm so rasch und mühelos, daß es zum Staunen war.
»He!« meinte Juro. »Das war ja, als ob deine Kraft sich auf einmal verdoppelt hätte - wie reimst du dir das zusammen?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Krabat. »Ob es ein Zufall war?«
»Laß uns nachdenken!« Juro blickte ihn prüfend an. »Es muß etwas geben, was dir zu dieser unerwarteten Stärke verhelfen hat.«
»Aber was?« überlegte Krabat. »Der Ring wird es kaum gewesen sein...«
»Welcher Ring?« fragte Juro.
»Der Ring von Haar da. Das Mädchen hat ihn mir mitgegeben, am Kirmessonntag. Ich hab ihn mir vorhin angesteckt - doch was sollte der Ring wohl mit meinen Kräften zu tun haben?«
»Sag das nicht!« widersprach ihm Juro. »Wir werden es ausprobieren, dann wissen wir's.«
Sie erprobten den Ring, und es zeigte sich bald, daß es keinen Zweifel gab: Wenn Krabat ihn an den Finger steckte, wurde er spielend mit Juro fertig - und wenn er ihn abzog, war alles wie sonst.
»Die Sache ist klar«, meinte Juro. »Mit Hilfe des Ringes wirst du dem Meister auf jeden Fall überlegen sein.«
»Aber wie geht das zu?« fragte Krabat. »Glaubst du denn, daß das Mädchen zaubern kann?«
»Anders als wir«, sagte Juro. »Es gibt eine Art von Zauberei, die man mühsam erlernen muß: das ist die, wie sie im Koraktor steht, Zeichen für Zeichen und Formel um Formel. Und dann gibt es eine, die wächst einem aus der Tiefe des Herzens zu: aus der Sorge um jemanden, den man lieb hat. Ich weiß, daß das schwer zu begreifen ist - aber du solltest darauf vertrauen, Krabat.«