Am Morgen danach, als Hanzo die Burschen weckte und sie zum Brunnen gingen, sahen sie, daß es während der Nacht geschneit hatte. Weiß war die Welt geworden, und wiederum überkam sie bei diesem Anblick die große Unruhe.
Krabat wußte ja nun Bescheid. Es gab auf der Mühle nur einen, der es sich nicht erklären konnte: Lobosch, der während der Zeit seines Hierseins nur wenig gewachsen und trotzdem inzwischen aus einem Jungen von vierzehn Jahren zu einem Burschen von nahezu siebzehn geworden war.
Eines Morgens, nachdem er im Spaß einen Schneeball nach Andrusch geworfen hatte und Andrusch ihm an den Kragen wollte, was Krabat durch sein Dazwischentreten verhinderte - eines Morgens erkundigte Lobosch sich, was denn um Himmels willen in seine Mitgesellen gefahren sei.
»Angst«, sagte Krabat mit einem Achselzucken.
»Angst?« fragte Lobosch. »Wovor?«
»Sei froh«, meinte Krabat ausweichend, »daß es dir noch verborgen ist. Früh genug wirst du es erfahren.«
»Und du?« wollte Lobosch wissen. »Du, Krabat, hast keine Angst?«
»Mehr als du ahnst«, sagte Krabat. »Und nicht nur um mich allein.«
In der Woche vor Weihnachten fuhr noch einmal der Herr Gevatter im Koselbruch vor. Die Mühlknappen stürzten hinaus, um die Säcke abzuladen. Der Fremde blieb nicht wie sonst auf dem Kutschbock sitzen: in dieser Neumondnacht stieg er vom Wagen, und hinkend begab er sich mit dem Meister ins Haus. Sie sahen die Hahnenfeder hinter den Scheiben flackern, als loderte in der Stube Feuer. Hanzo ließ Fackeln holen. Schweigend luden die Burschen das Mahlgut vom Wagen und schleppten es in die Mahlstube. Sie beschickten den Toten Gang damit, ließen das Mehl in die leeren Säcke laufen und packten sie wieder aufs Fuhrwerk.
Im Morgengrauen kehrte der Fremde zum Wagen zurück, allein, und bestieg den Bock. Bevor er davonfuhr, wandte er sich den Burschen zu.
»Wer ist Krabat?«
Glühende Kohlen und klirrender Frost in einem.
»Ich«, sagte Krabat mit einem Würgen im Hals und trat vor.
Der Fuhrmann betrachtete ihn und nickte. »Ist gut.« Dann schwang er die Peitsche und rumpelte mit dem Wagen davon.
Der Müller verbarg sich drei Tage und Nächte lang in der Schwarzen Kammer.
Am Abend des vierten Tages, das war einen Tag vor dem Weihnachtsfest, ließ er Krabat rufen. »Ich habe«, begann er, »mit dir zu reden. Es dürfte dir, wie ich meine, kaum überraschend kommen. Noch steht es dir frei, wie du dich entscheidest - ob für oder gegen mich.«
Krabat versuchte, den Ahnungslosen zu spielen.
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
Der Meister schenkte ihm keinen Glauben. »Vergiß nicht, daß ich dich besser kenne, als es dir lieb sein mag. Mancher hat sich im Lauf der Jahre schon gegen mich aufgelehnt: Tonda zum Beispiel und Michal, um nur die beiden zu nennen. Dummköpfe, Schwarmgeister! Dir aber, Krabat, hätte ich zugetraut, daß du klüger bist. Willst du mein Nachfolger werden, hier auf der Mühle? Du hättest das Zeug dazu!«
»Gehst du weg?« fragte Krabat.
»Ich habe es satt hier.« Der Meister lockerte sich den Kragen. »Es lockt mich, ein freier Mann zu werden. In zwei, drei Jahren könntest du meine Nachfolge antreten und die Schule fortführen. Wenn du zusagst, gehört dir alles, was ich zurücklasse, auch der Koraktor.«
»Und du?« fragte Krabat.
»Ich werde mich an den Hof begeben. Als Staatsminister, als Feldherr, als Kanzler der Krone von Polen vielleicht - je nachdem, was mir Spaß macht. Die Herren werden mich fürchten, die Damen mir um den Bart gehen, weil ich reich und von Einfluß bin. Jede Tür steht mir offen, man sucht meinen Rat, meine Fürsprache. Wer es wagt, sich mir nicht zu fügen, den schaffe ich mir vom Hals, denn ich kann ja zaubern und werde mich meiner Macht zu bedienen wissen, das darfst du mir glauben, Krabat!«
Er war in die Hitze gekommen, sein Auge glühte, das Blut war ihm zu Gesicht gestiegen. »Auch du«, fuhr er ruhiger werdend fort, »kannst es ähnlich halten. Nach zwölf oder fünfzehn Jahren, in denen du auf der Mühle im Koselbruch Meister gewesen bist, suchst du dir unter den Mühlknappen einen Nachfolger aus, übergibst ihm den ganzen Kram - und bist frei für ein Leben in Pracht und Herrlichkeit.«
Krabat bemühte sich, seinen klaren Kopf zu behalten. Er zwang sich, an Tonda und Michal zu denken. Hatte er nicht gelobt, sie zu rächen - sie und die anderen auf dem Wüsten Plan, Worschula nicht zu vergessen, und Merten auch nicht, der zwar noch lebte mit seinem schiefen Hals: aber was für ein Leben war das?
»Tonda«, hielt er dem Meister entgegen, »ist tot, und Michal ist auch tot. Wer sagt mir denn, daß ich nicht der nächste bin?«
»Das verspreche ich dir.« Der Müller hielt ihm die linke Hand hin.
»Mein Wort darauf - und zugleich das des Herrn Gevatters, der mich zu diesem Versprechen ermächtigt hat, eigens und ausdrücklich.«
Krabat schlug in die dargebotene Hand nicht ein.
»Wenn es mich nicht trifft«, fragte er - »trifft es dann einen andern?«
Der Meister bewegte die Hand, als gelte es, etwas vom Tisch zu wischen. »Einen«, erklärte er, »trifft es immer. Wir könnten von nun an gemeinsam darüber befinden, wer an die Reihe kommt. Nehmen wir einen, um den es nicht schade ist - Lyschko zum Beispiel.«
»Ich kann ihn nicht ausstehen«, sagte Krabat. »Aber auch er ist mein Mitgeselle, und daß ich mich schuldig mache an seinem Tod - oder mitschuldig, aber da sehe ich wenig Unterschied: dazu wirst du mich niemals bringen, Müller im Koselbruch!«
Krabat war aufgesprungen, voll Abscheu schrie er den Meister an: »Mach du zu deinem Nachfolger, wen du magst! Ich will nichts zu schaffen haben damit, ich will gehen!«
Der Meister blieb ruhig. »Du gehst, wenn ich dir's erlaube. Setz dich auf deinen Stuhl und hör zu, bis ich fertig bin.«
Es fiel Krabat nicht leicht, der Versuchung zu widerstehen, sich jetzt schon auf eine Kraftprobe mit dem Meister einzulassen - trotzdem gehorchte er.
»Daß dich mein Vorschlag verwirrt hat«, sagte der Müller, »kann ich dir nachfühlen. Darum will ich dir Zeit geben, alles in Ruhe zu überdenken.«
»Wozu?« fragte Krabat. »Es bleibt dabei, daß ich nein sage.«
»Schade.« Der Meister betrachtete Krabat kopfschüttelnd. »Wenn du auf meinen Vorschlag nicht eingehst, wirst du wohl sterben müssen. Du weißt, daß im Schuppen ein Sarg bereitsteht.«
»Für wen?« sagte Krabat. »Das wird sich noch zeigen müssen.«
Der Meister verzog keine Miene. »Ist dir bekannt, was die Folge wäre, wenn eintreten würde, worauf du zu hoffen scheinst?«
»Ja«, sagte Krabat. »Ich könnte dann nicht mehr zaubern.«
»Und?« gab der Meister ihm zu bedenken. »Du wärest bereit, das in Kauf zu nehmen?«
Er schien einen Augenblick nachzudenken, dann lehnte er sich im Sessel zurück und sagte: »Nun gut - ich gewähre dir eine Frist von acht Tagen. In dieser Zeit, dafür sorge ich, wirst du Gelegenheit haben zu lernen, wie es sich lebt, wenn man nicht mehr zaubern kann. Alles und jedes, was du im Lauf der Jahre bei mir gelernt hast - von dieser Stunde an soll es aus und vergessen sein! Heute in einer Woche, am Vorabend des Silvestertages, werde ich dich ein letztes Mal fragen, ob du mein Nachfolger werden magst: dann wird es sich ja herausstellen, ob du auf deiner Antwort beharren willst.«
Zwischen den Jahren
Das war eine harte Woche für Krabat, er fühlte sich in die Zeit seines Anfanges auf der Mühle zurückversetzt. Jeder Maltersack, der fünf Metzen wog, wog fünf Metzen, die wollten geschleppt sein: vom Speicher zur Mahlstube, von der Mahlstube auf den Speicher. Krabat blieb nichts erspart, seit er nicht mehr zaubern konnte: kein Schweißtropfen, keine Schwiele.