Abends sank er erschöpft auf den Strohsack. Er konnte nicht einschlafen, viele Stunden nicht. Wer zaubern kann, braucht nur die Augen zu schließen, er spricht eine Formel, dann schläft er schon, tief und fest, und so lang, wie er sich das vornimmt.
»Mag sein«, dachte Krabat, »daß ich die Fähigkeit, mich in Schlaf zu versetzen, am meisten von allem vermissen werde.«
Wenn er nach langem Wachliegen endlich einschlief, quälten ihn böse Träume: die kamen gewiß nicht von ungefähr. Er konnte sich an zwei Fingern ausrechnen, wer sie ihn träumen ließ.
Krabat, in abgerissenen Kleidern, plagt sich mit einem Karren voll Steine ab, den er mühsam bei glühender Sommerhitze an einem Strick über Land zieht. Es dürstet ihn, seine Kehle ist ausgedörrt. Nirgends ein Brunnen, und nirgends ein Baum, der ihm Schatten spendet.
Verdammter Karren!
Er muß ihn zu Ochsenblaschke nach Kamenz bringen, für einen Hungerlohn. Doch der Mensch muß von etwas leben, und seit er den Unfall hatte - in Gerbisdorf war das, da ist er ins Mahlwerk geraten, das hat ihm den rechten Arm bis zum Ellbogen abgequetscht: seither muß Krabat froh sein um jede Arbeit, die jemand wie Ochsenblaschke ihm zukommen läßt.
Und so schleppt er sich mit dem Karren voll Steine dahin, und er hört, wie er denkt - mit der heiseren Stimme des Meisters hört er sich denken: »Wie behagt dir das Leben als Krüppel, Krabat? Du hättest es einfacher haben können und besser, wenn du auf mich gehört hättest, als ich dich fragte, ob du mein Nachfolger werden wolltest im Koselbruch! Würdest du, wenn du heute die Wahl hättest, wieder nein sagen?«
Nacht für Nacht träumte Krabat, daß ihn ein ähnliches Schicksal ereilt habe. Er war alt oder krank, er saß unschuldig hinter Kerkermauern, man hatte ihn zur Armee gepreßt, er lag auf den Tod verwundet in einem Kornfeld und mußte zusehen, wie sich die niedergebrochenen Halme röteten von dem Blut, das aus seinen Wunden rann. Und am Schluß dieser Träume hörte er jedesmal, wie er sich mit der Stimme des Meisters fragte: »Würdest du wieder nein sagen, Krabat, wenn ich dich vor die Wahl stellte, ob du mein Nachfolger werden willst auf der Mühle im Koselbruch?«
Der Meister erschien ihm nur einmal leibhaftig im Traum, das geschah in der letzten Nacht vor Ablauf der Frist, die er ihm gesetzt hatte.
Juro zuliebe hat Krabat sich in ein Pferd verwandelt. Der Meister, gekleidet als polnischer Edelmann, hat ihn für hundert Gulden in Wittichenau auf dem Markt erstanden samt Sattel und Halfter: nun ist ihm der Rappe ausgeliefert.
Erbarmungslos jagt der Meister ihn kreuz und quer durch die Heide, es geht über Stock und Stein, über Hecken und Wassergräben, durch Dornengestrüpp und Morast.
»Gedenke, daß ich der Meister bin!«
Blindlings zieht ihm der Müller die Peitsche über, er stößt ihm die Sporen ins Fleisch. Blut fließt aus Krabats Flanken, er spürt, wie es warm an der Innenseite der Schenkel hinabrinnt.
»Dir werd ich's zeigen!«
Linksgalopp, Rechtsgalopp - und dann stracks auf das nächste Dorf zu. Ein Ruck an den Zügeln, sie halten vor einer Schmiede.
»He, Grobschmied - wo steckt Er, zum Teufel!«
Der Schmied kommt herbeigerannt, wischt sich am Schurzfell die Hände ab, fragt, was der Herr befehle. Der Meister springt aus dem Sattel. »Beschlag Er mir«, sagt er, »den Rappen mit glühenden Eisen.«
Der Schmied glaubt nicht recht zu hören.
»Mit - glühenden Eisen, Herr?«
»Muß man Ihm alles zweimal sagen? Ich soll Ihm wohl Beine machen!«
»Barto!« Der Schmied ruft nach seinem Lehrjungen. »Nimm die Zügel und halte dem gnädigen Herrn das Pferd!«
Der Schmiedejunge, ein sommersprossiger Knirps, könnte Loboschs Bruder sein.
»Nimm Er die schwersten Eisen«, verlangt der Müller, »die Er auf Vorrat hat! Zeig Er mir Seine Auswahl!«
Der Schmied führt ihn in die Werkstatt, während der Junge den Rappen festhält und ihm auf wendisch zuspricht: »Ruhig, mein Pferdchen, ruhig - du zitterst ja.«
Krabat reibt seinen Kopf an der Schulter des Jungen. »Wenn ich den Halfter los wäre«, denkt er, »dann könnte ich den Versuch machen, mich zu retten ...«
Der Junge merkt, daß der Rappe wund ist, am linken Ohr hat der Riemen ihn aufgescheuert.
»Warte mal«, sagt er, »da muß ich die Schnalle ein wenig lockern, das haben wir gleich.«
Er lockert die Schnalle, dann nimmt er dem Rappen den Halfter ab.
Krabat, sobald er des Halfters ledig ist, wird zum Raben. Krächzend erhebt er sich in die Lüfte und hält auf Schwarzkollm zu.
Im Dorf scheint die Sonne. Zu seinen Füßen sieht er die Kantorka, wie sie unweit des Brunnens steht, eine Strohschüssel in der Hand, und die Hühner füttert - da streift ihn ein Schatten, der Schrei eines Habichts gellt ihm ins Ohr. »Der Meister!« durchzuckt es Krabat.
Pfeilschnell, die Flügel angelegt, stürzt er sich in den Brunnen und nimmt die Gestalt eines Fisches an. Ist er gerettet? Zu spät wird ihm klar, daß er sich gefangen hat, daß es keinen Ausweg gibt.
»Kantorka!« denkt er mit aller Inbrunst, deren er fähig ist. »Hilf mir heraus da!«
Das Mädchen taucht ihre Hand in den Brunnen hinab, da wird Krabat zu einem schmalen Goldreif an ihrem Finger: so kehrt er zurück an die Oberwelt.
Am Brunnen steht, wie vom Himmel gefallen, ein polnisch gekleideter Edelmann, einäugig ist er, er trägt einen roten, silberverschnürten Reitrock mit schwarzen Tressen.
»Kann Sie mir sagen, Jungfer, woher Sie den feinen Ring hat? Laß Sie ihn mich mal sehen ...«
Schon streckt er die Hand nach dem Ring aus, schon greift er danach.
Krabat verwandelt sich in ein Gerstenkorn. Er entgleitet der Kantorka, fällt in die Strohschüssel.
Mit dem nächsten Wurf streut das Mädchen ihn unter das Hühnervolk.
Der Rotrock ist plötzlich verschwunden. Ein pechschwarzer fremder Gockel, einäugig, pickt nach den Körnern - doch Krabat ist schneller als er: seinen Vorteil wahrnehmend, wird er zu einem Fuchs. Blitzschnell stürzt er sich auf den Schwarzen und beißt ihm den Hals durch.
Es knirscht wie von Häcksel und Stroh zwischen seinen Zähnen. Wie Stroh knirscht es zwischen Krabats Zähnen, wie Häckerling.
Als Krabat erwachte, war er in Schweiß gebadet. Er hatte sich in den Strohsack verbissen, er keuchte, es dauerte eine Weile, bis er zur Ruhe kam.
Daß er den Meister im Traum überwunden hatte, nahm er als gutes Omen. Von jetzt an war er sich seiner Sache vollkommen sicher. Die Tage des Meisters, das glaubte er nun zu wissen, waren gezählt. Er, Krabat, würde dem Treiben des Müllers ein Ende setzen: ihm war es bestimmt, seine Macht zu brechen.
Am Abend begab er sich in die Meisterstube. »Es bleibt dabei!« rief er. »Mach du zu deinem Nachfolger, wen du magst. Ich, Krabat, weigere mich,
auf dein Angebot einzugehen.«
Der Meister nahm seine Worte gelassen hin. »Geh in den Holzschuppen«, sagte er, »und versieh dich mit Hacke und Spaten. Im Koselbruch gibt es ein Grab zu schaufeln - das soll deine letzte Arbeit sein.«
Krabat erwiderte nichts darauf, machte kehrt und verließ die Stube. Als er zum Schuppen kam, löste sich eine Gestalt aus dem Schatten.
»Ich habe auf dich gewartet, Krabat. Soll ich dem Mädchen Bescheid sagen?«
Krabat zog aus der Brusttasche seines Kittels den Ring von Haar hervor. »Sage ihr«, bat er Juro, »daß ich ihr Botschaft sende durch dich. Und sie möge sich morgen, am letzten Abend des Jahres, beim Müller einfinden und mich freibitten, wie es besprochen ist.«
Er beschrieb ihm das Haus, wo sie wohnte.
»Wenn du ihr«, fuhr er fort, »den Ring zeigst, wird sie daraus ersehen, daß du in meinem Auftrag kommst. Und vergiß nicht, sie wissen zu lassen, daß es ihr freisteht, ob sie den Gang in den Koselbruch antreten will.