Ich ließ uns in unser Zimmer, und sofort lief Molly zum Bett hin und warf sich darauf. Sie versank so tief in der weichen Gänsefedermatratze, dass sie halb außer Sicht war, und seufzte selig.
»Das Zimmer mag ich immer noch nicht besonders, aber dieses Bett hier liebe ich! Ich fühle mich, als könnte ich bis runter nach China sinken!«
»Was ist denn nicht in Ordnung mit dem Zimmer?«, erkundigte ich mich geduldig.
»Ist viel zu sehr wie ein Hotelzimmer«, antwortete Molly bestimmt. »Alles sehr luxuriös, da bin ich sicher, aber es hat keinen Charakter. Es ist kalt und unpersönlich.«
Ich lächelte sie an. »Wann hast du dich denn jemals in einem Hotel aufgehalten, o böse Hexe der Wälder?«
Sie rekelte sich wohlig im Bett. »Oh, ich komme herum! Du wärst überrascht, wo ich schon überall gewesen bin! Und es ist ja nicht so, als ob ich meinen Wald überallhin mitnehmen könnte … Trotzdem, eins muss ich Hotels lassen - ich liebe Zimmerservice! Du nimmst einfach den Hörer ab, und sie bringen dir was zu essen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. In Hotels schlage ich mir immer den Bauch voll. Besonders weil ich nie lange genug bleibe, um die Rechnung zu bezahlen.«
»Hier gibt's keinen Zimmerservice«, erklärte ich streng. »Und es wird von einem erwartet, dass man sein Zimmer selbst in Ordnung hält. Es gibt kein Dienstpersonal unter den Droods, oder wenigstens nicht als solches. Wir werden von klein auf darin bestärkt, selbst für uns zu sorgen. Ist dem Charakter und dem Selbstvertrauen förderlich.«
»Wie außerordentlich ehrenwert!«, meinte Molly. »Lass uns mal eins klarstellen zwischen uns beiden: Ehrenwert ist bei mir nicht! War das echt das beste Zimmer, dass du dir aussuchen konntest, von allen, die du kriegen konntest?«
»Ich habe mich für dieses Zimmer entschieden, weil es früher das meiner Eltern war«, sagte ich. »Damals, als ich ein Kind war. Ich kann mich vage erinnern, wie ich sie hier besucht habe. Aber es ist schwierig, sicher zu sein; Erinnerungen aus diesem Alter sind nie verlässlich. Meine Mutter und mein Vater waren nicht oft hier, musst du wissen: Als Frontagenten wohnten sie außerhalb des Herrenhauses.«
»Und du durftest nicht bei ihnen leben?«, fragte Molly, während sie sich aufsetzte und ihr Haupt gegen das Kopfbrett des Bettes lehnte.
»Nein. Alle Drood-Kinder werden hier großgezogen, in den Schlafsälen. Damit sie ordentlich ausgebildet und indoktriniert werden können. Die Loyalität gilt der Familie, nicht unseren Eltern.«
»Harry wurde nicht hier großgezogen«, meinte Molly nachdenklich.
»Nein. Wodurch du eine Vorstellung davon bekommst, wie sehr die Matriarchin Onkel James' unerlaubte Heirat, und dann noch mit einer unpassenden Frau, missbilligte. Jeder andere wäre für vogelfrei erklärt worden.«
»Ich mag die Möbel und die Einrichtung«, wechselte Molly taktvoll das Thema. »Alles hier drin ist antik, aber in hervorragendem Zustand. Hey, wenn es hier kein Dienstpersonal gibt, wer poliert dann das ganze Holz und Messing?«
»Wir wechseln uns ab, wenn wir jung sind«, sagte ich. »Charakterförderlich, weißt du noch? Ich habe es gehasst. Ich kann mich noch daran erinnern, wie meine Hände starr vor Kälte wurden, wenn ich im tiefsten Winter draußen Fenster geputzt habe, weil das Wasser im Eimer immer kalt wurde, ehe man fertig war. Und wie es war, mit völlig tauben Fingern zu versuchen, das Messing mit Duraglit zu schrubben, davon will ich gar nicht erst anfangen! Scheiß auf die Charakterförderung. Alles, was es mich gelehrt hat, war, nie etwas aus Messing zu besitzen und immer daran zu denken, meinen Fensterputzern ein äußerst großzügiges Trinkgeld zu geben.«
»Lass nur alles raus, Eddie!«, ermunterte Molly mich. »Halt nichts zurück!«
»Wenigstens spreche ich über meine Vergangenheit!«, erwiderte ich spitz.
»Ach, weißt du …«, sagte Molly. »Neues Thema. Mir gefällt der Fernseher. Das ist ein echt verdammt großer Breitbildfernseher! Widescreen und fünf Lautsprecher für Raumklang! Cool!«
»Für die Familie nur das Beste«, antwortete ich. »Aber ich hätte nicht gedacht, dass du viel fernsiehst, in den Wäldern.«
»Ich bin eine Hexe, keine Barbarin! Ich mag die Kochsendungen. Ich liebe das Perfekte Dinner. Ich nehme an, du schaust den SciFi-Kanal?«
»Nein«, sagte ich. »Ich lasse gern die Arbeit hinter mir, wenn ich mich entspannen will. Ich bevorzuge die Comedy-Kanäle.«
Molly zog die Knie an die Brust und blickte mich nachdenklich an. »Was machen wir hier, Eddie? Warum verstecken wir uns in deinem Zimmer?«
»Tun wir gar nicht«, sagte ich. »Es ist nur … manchmal wird mir alles ein bisschen zu viel, und dann muss ich weg von allem. Ich habe es übernommen, diese Familie zu führen, weil ich es musste. Aber ich weiß ja kaum, was ich da tue. Ich habe zehn Jahre lang allein gelebt und musste mir nie um jemand Gedanken machen außer um mich selbst. Und jetzt habe ich all diese Menschen, die sich auf mich verlassen, die Antworten und Entscheidungen von mir erwarten, die den Rest ihres Lebens gestalten werden. Ich will sie nicht enttäuschen.«
»Sie haben dich enttäuscht«, hielt Molly mir vor Augen.
»Sie haben immer noch Geheimnisse vor mir«, sagte ich. »Harry ist nur das Neueste. Und er ist genau das, was mir noch gefehlt hat: ein rivalisierender Thronanwärter.«
»Er hasst dich, weil er glaubt, du hättest seinen Vater umgebracht«, sagte Molly. »Er weiß nicht, dass ich James Drood getötet habe.«
»Niemand darf das je erfahren! Wenn ich ihn in einem Duell töte, dann ist das eine Sache; ich gehöre zur Familie. Aber du bist eine Außenstehende; sie würden dich auf der Stelle umbringen, wenn sie es auch nur vermuteten. Und mich ebenso, weil ich die Wahrheit vor ihnen verborgen und mich erdreistet habe, dich mehr zu mögen als die Familie.«
Molly lächelte mich an. »Von Zeit zu Zeit erinnerst du mich daran, wieso ich mich so heftig in dich verknallt habe. Komm her und setz dich zu mir!«
Ich setzte mich aufs Bett neben sie, und wir legten die Arme umeinander und kuschelten uns dicht zusammen. Für lange Zeit wollten wir nichts sagen.
»Du darfst mich ruhig festhalten, wenn du niedergeschlagen bist«, sagte Molly. »Das ist erlaubt, wenn man in einer Beziehung ist.«
»Dann stecken wir also definitiv in einer dieser Beziehungskisten, stimmt's?«, fragte ich.
»Jau. Hat sich an mich rangeschlichen, als ich mal kurz nicht hingeschaut habe. Du kannst meine Titten drücken, wenn du möchtest.«
»Gut zu wissen.«
»Roger und ich standen uns nie nahe«, sagte sie, ohne mich dabei anzusehen. »Und wir waren nicht lange zusammen. Es war einfach die Zeit im Leben eines Mädchens, wo es wirklich das Gefühl hat, von jemand Großem und Grobem schlecht behandelt werden zu wollen. Auch wenn man weiß, dass es zwangsläufig in Tränen enden wird.«
»Und tat es das?«
»Oh, ja! Ich erwischte ihn mit meiner besten Freundin im Bett. Und mit ihrem Bruder. Das hat mir die Augen geöffnet. Ich steckte das Bett in Brand, während sie alle noch drin waren, und verließ ihn. Ich bin ziemlich sicher, dass ich ihn nie wirklich geliebt habe. Es war bloß eine dieser Geschichten, weißt du?«
»Ich hatte einmal ein kurzes Verhältnis mit einer Sexdroidin aus dem dreiundzwanzigsten Jahrhundert«, erzählte ich. »Verdammt, wir haben schon ein paar interessante Zeiten erlebt, was?«
Wir lachten leise gemeinsam. Unsere Körper bewegten sich leicht gegeneinander. Ich fühlte mich nirgendwo so daheim, wie ich es in Mollys Armen tat. Als ob ich endlich herausgefunden hätte, wo ich hingehörte.
»Verlass mich nie!«, sagte ich plötzlich.
»Wo kam das denn her?«, wunderte sich Molly.
»Weiß ich nicht. Ich muss einfach hören, dass du es sagst. Sag es für mich, Molly!«