»Edwin Drood, süßer Prinz einer ruinierten Familie, da treffen wir uns wieder. Erinnerst du dich an mich? Wir haben schon einmal miteinander gesprochen, unter Dr. Dee's Exorzistenhaus. Ich versprach dir die Welt und alles darin, doch du hast mich im Stich gelassen. Warst dir zu gut, um meinesgleichen zu lauschen. Aber nun bist du hier, um nach der Weisheit am seltsamsten aller Orte zu suchen. Soll ich dir sagen, was du wissen musst, süßer Drood?«
»Du weißt nichts, was ich wissen müsste«, erwiderte ich.
»Aber das tue ich, das tue ich! Nichts ist versteckt, sei es vor dem Himmel oder der Hölle. Du suchst den unsterblichen Killer, den Heiligen Schlächter, Mr. Stich. Und ich weiß, wo er ist.«
»Und für welchen Preis würdest du uns das sagen?«, fragte Molly, die dicht neben mir stand, als wolle sie mich beschützen. »Was sollen wir tun, dich hier rausholen? Das glaube ich kaum.«
»Kein Preis, gar kein Preis, kleine Hexe«, krächzte das ekelhafte Wesen hinter den starren Augen des fetten Mannes. »Weil das, was ihr wollt, euch nicht glücklich machen wird, oder frei, oder weise. Ihr Menschen bringt euch mit jedem Schritt, den ihr tut, selbst in die Hölle. Und deshalb gebe ich euch Mr. Stich. Mein höchsteigener vergifteter Kelch, ein Geschenk aus der Hölle, um es an den Busen eurer Familie zu legen.«
»Ihr Dämonen seid derart selbstüberzeugt«, sagte Molly. »Wenn du was zu sagen hast, dann sag's.«
»Wie du willst, liebe kleine beschränkte Seele. Gehe nun zum Café Nacht, und dort wird dir jemand sagen, wo du Mr. Stich finden kannst.«
Er lachte immer noch, als wir wieder gingen, ein schreckliches, schmutziges und beunruhigendes Geräusch, selbst als die Aufseher ihn wieder und wieder wie Vieh mit Elektroschockern traktierten, um ihn zum Schweigen zu bringen.
Mit Hilfe von Merlins Spiegel gingen wir direkt ins Café Nacht, eine ausgesprochen dunkle und düstere Spelunke, die sich in einer Ecke von Kensington befand, die man nicht ohne große Mühen auftreiben konnte. Von außen sah das Café aus wie jedes andere Kaffeehaus: ein Platz, wo Vorstadt-Mamis sich nach einem harten Tag voller Einkaufstouren niederlassen und klatschen können. Aber das war nur ein einfacher Illusionszauber, kombiniert mit einem ›Hier gibt es nichts zu sehen, bitte gehen Sie weiter‹-Spruch, um die Uneingeweihten von den Besuchern zu trennen. Das Café Nacht hat strikte Eintrittsregeln und Nichtmitglieder versuchen es auf absolut eigene Gefahr. Ursprünglich war dieser Ort mal ein Treffpunkt für Vampire und diese idiotischen Romantiker gewesen, die sich danach sehnen, ihre Opfer zu sein. Damals hieß es noch das Renfield. Heutzutage bediente das Café Nacht die Unsterblichen, die man nirgendwo sonst haben wollte.
Ich trat die Tür auf und schlenderte hinein, als wollte ich den Platz auf seine moralische Gesundheit hin überprüfen. Das Café war angemessen düster, kaum beleuchtet von kunstvoll arrangiertem Licht, das dafür sorgte, dass es dunkel blieb, während man doch immer noch erkennen konnte, mit wem oder was man gerade sprach. Die Hintergrundmusik schwankte zwischen The Cure oder The Mission bis hin zu Gregorianischen Gesängen und die Luft war geschwängert mit dem Übelkeit erregenenden Duft von verfaulenden Lilien. Das Café Nacht hatte eine großartige Atmosphäre.
Schattige Gesichter starrten mich böse von jedem Tisch aus an, aber niemand bewegte sich oder sagte etwas, weil ich vorsichtig genug gewesen war, hochzurüsten, bevor ich hereingeplatzt war. Zu einem kleinen Licht wie Shaman Bond hätte hier niemand auch nur ein Wort gesagt, also war es an der Zeit, Eddie Drood heraushängen zu lassen und Respekt auf die brutale Art einzufordern. Meine silberne Rüstung war vielleicht noch nicht so bekannt wie die goldene, aber sie zeichnete mich immer noch als das aus, was und wer ich war. Und was ich vielleicht tun würde, wenn ich nicht die Antworten bekäme, die ich wollte. Also waren die verschiedenen unsterblichen, dunklen und gefährlichen und sonst so eigenständigen Kreaturen froh, einfach nur still mit gesenktem Kopf dazusitzen und zu hoffen, dass ich jemanden anderes suchte.
Ein paar standen in dem Moment, in dem ich hereinkam, auf, um zu gehen und wollten sich durch die Hintertür davonmachen. Aber ich hatte Molly bereits dorthin geschickt und die flüchtenden Unsterblichen hielten urplötzlich an, als sie Molly bedrohlich an der hinteren Tür herumlungern sahen. Sie kehrten widerwillig an ihre Plätze zurück und Molly kam vor ins Café, um mich anzulächeln. Von überall her richteten sich nun kalte Blicke auf mich, auf Molly und wieder zurück, aber immer noch sagte keiner ein Wort. Sie hatten nicht so lange gelebt, ohne gelernt zu haben, dass man den Mund hielt, bis man wusste, was abging.
Hinter meiner formlosen silbernen Maske sah ich gemächlich in die Runde (da ist wirklich etwas an fehlenden Augenhöhlen, dass Leute in Angst und Schrecken versetzt) und ließ meinen Blick schließlich auf den paar wirklich wichtigen Personen ruhen, die hier waren. Die einzigen, die vielleicht zugeben würden, Mr. Stich zu kennen und die möglicherweise auch wussten, wo er sich gerade aufhielt. Sie gehörten nicht gerade zur Oberliga, keiner von ihnen. Ein Elbenlord in einer ausgesprochen fein verzierten Brünne, mit eingravierten Schutzzaubern in altem Elbisch. Ein Mönch in einer zerrissenen roten Robe mit einem so faltigen Gesicht, dass es fast unmöglich war, seine Gesichtszüge zu erkennen. Dass er interessant war, konnte man nur an dem sumerischen Amulett sehen, dass er um den Hals trug. Ein Paar von Baron Frankensteins erfolgreicheren Kreationen, von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gekleidet, um ihre vielen Narben zu verstecken. Und eine geradezu schmerzhaft magere Gestalt in einem schmuddeligen T-Shirt und ausgeblichenen Jeans, die ich nur vom Namen her kannte: Das Hungrige Herz. Er hatte einen Teller mit frischem rohem Fleisch vor sich stehen und schlang es so schnell herunter, wie er nur konnte. Blut tropfte unbemerkt sein Kinn herab.
Wenn es noch Beweise gebraucht hätte, dass Unsterblichkeit nicht alles ist, hier hatte man sie vor sich.
Der Elbenlord kam mir vage bekannt vor, also fing ich bei ihm an. Er schnaubte hörbar, als ich zu seinem Tisch hinüberkam, deutliche Geringschätzung in seinem arroganten Gesicht mit den hohen Wangenknochen. Er rührte sich nicht, stand nicht auf und griff auch nicht nach seiner Waffe, aber selbst wenn er still saß, mit beiden Händen ruhig auf der Tischplatte, war er der gefährlichste Typ hier im Café und wir wussten das beide.
»Ich kenne dich«, sagte ich. »Woher kenne ich dich, Elbenlord?«
»Ich war dabei«, sagte er mit seiner süßen, Übelkeit erregenden, magischen Stimme. »Ich habe die Attacke auf dich angeführt, unseren Hinterhalt auf der Autobahn. Nachdem dich deine eigene Familie an uns verraten hat. Wir sind auf unseren Drachen gekommen, haben unsere Schlachtlieder gesungen, mit unseren schönen neuen Waffen. Wir waren in der Überzahl, wir hatten Pfeile mit seltsamer Materie und doch hast du triumphiert. Elbenlords und -ladies aus altem Geschlecht, Freunde und Familie, die ich über Jahrhunderte gekannt habe, alle sind sie unter dem Donner deiner schrecklichen Schusswaffe gefallen. Ich bin der einzige Überlebende dieses Tages, aber sei versichert, übler und verfluchter Drood - der Hof von Unseeli vergisst oder vergibt nie.«