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Zu diesem Zeitpunkt hatte ich allerdings schon andere Probleme. Der Elbenlord kam auf mich zu und lächelte sein widerliches, überlegenes Lächeln. Er wedelte mit seinem langen, schimmernden Dolch vor meiner Nase herum und ich wusste, was das war; was das sein musste. Die Klinge war aus seltsamer Materie, wahrscheinlich aus den Schmiederesten der Silberpfeile gemacht, die mich nach dem Autobahn-Hinterhalt beinahe umgebracht hatten. Aber konnte eine Klinge aus seltsamer Materie durch eine Rüstung aus demselben Material schneiden? Ich entschied mich dafür, es nicht drauf ankommen zu lassen. Ich konzentrierte mich und die Rüstung um mich herum erweiterte sich an meinen Händen zu zwei tödlichen langen Klingen. Wie es mein Onkel James mir beigebracht hatte, als er versucht hatte, mich zu töten.

Der Elbenlord und ich umkreisten einander langsam, nahmen uns Zeit und hielten nach Schwächen in Stil und Haltung Ausschau, nach Zögerlichkeiten und Eröffnungen. Endlich schossen wir vor und zurück, stachen nacheinander mit glänzenden Klingen; hin und wieder weg in einem Moment. Die Rüstung machte mich übernatürlich stark und schnell, aber er war ein Elb, also waren wir ebenbürtig. Und während ich mein familiäres Training hatte, hatte er jahrhundertelange Erfahrung, also traf er zuerst. Sein Dolch kam aus dem Nichts, durchbrach elegant meine Verteidigung und rammte sich mir in die Rippen. Unwillkürlich schrie ich auf, aber als die Klinge meine Rüstung traf, nahm diese den Dolch einfach in sich auf. Der Elbenlord stand auf einmal nur mit einem Heft in der Hand da.

Ich rannte ihn um. Wenn Sie eine Chance bei einem Elb haben, dann nutzen Sie die, Sie kriegen vielleicht keine zweite. Meine Hand schlug gegen seine Brust und meine erweiterte Klinge schnitt sein Herz entzwei. Er packte meinen Arm mit beiden Händen, als würde ihn das aufhalten. Ich drehte die Klinge und er fiel hin und starb.

Ich ließ die Klingen wieder zu Händen schrumpfen, bog probeweise die Finger und sah mich nach Molly um. Sie starrte angewidert auf das Hungrige Herz, das sich über die aufgelösten Frankenstein-Kreaturen und ihr vergammeltes Fleisch hergemacht hatte. Er sah auf und lächelte entschuldigend.

»Das schmeckt wie Staub, aber Fleisch ist Fleisch und in der Not frisst der Teufel bekanntlich Fliegen. Wenn ihr wirklich Mr. Stich finden müsst, und ich kann mir nicht denken, warum ihr das müsstet, dann solltet ihr es mal auf dem Woolwich-Friedhof versuchen.«

»Was sollte er denn dort tun?«

»Fragt ihn selbst«, erwiderte das Hungrige Herz. »Ich würde mich das nicht trauen.«

Merlins Spiegel transportierte uns umgehend zu einem trüben, verwilderten und verlassenen Friedhof im Woolwich Arsenal, tief im Herzen des East Ends, am anderen Ufer der Themse. Der Friedhof bestand hauptsächlich aus viktorianischen Gräbern, mit überdimensionalen Grüften, Mausoleen und noblen Gräbern. Dieses ganze Zeitalter war vom Tod und seinen Allegorien fasziniert gewesen und der gesamte Friedhof war förmlich übersät mit Statuen von weinenden Engeln, klagenden Putten und genug morbiden Statuen und Gravierungen, um selbst einen Totengräber ›Mein Gott, besorgt euch ein Leben, verdammt!‹ ausrufen zu lassen. Die Zeit hatte die Engelsgesichter verwittern lassen, was den Statuen einen bitteren, surrealistischen Ausdruck verliehen hatte. Die Putten sahen allerdings immer noch wie tote Babys aus. Eigentlich erinnerten sie mich sogar an eine Zeichentrickserie, die ich als Kind immer gesehen hatte: Casper, das tote Baby.

Molly und ich folgten dem einzigen Kiesweg und gingen immer tiefer in den weitläufigen Friedhof hinein. Der Ort sah verlassen aus. Das Gras hatte man wachsen lassen und es gab überall Unkraut, selbst auf dem Kiesweg wuchs es in dichten Büscheln. Es gab keine Blumen auf den Gräbern und die Grabsteine waren so verwittert, dass es schwerfiel, die Inschriften zu lesen. Ein kalter Wind blies, das Licht wurde dämmrig, weil es Abend wurde, und die Schatten kamen von überall auf uns zugekrochen.

»Ich mag diesen Ort«, sagte Molly.

»Das denke ich mir«, erwiderte ich.

»Nein wirklich, er ist friedlich. Moderne Friedhöfe sind für meinen Geschmack viel zu hektisch. Wenn ich mal gestorben bin, dann möchte ich keine Besucher und keine Blumen. Begrab mich nur tief, setz ein paar Minen, um Leichendiebe abzuschrecken, und lass mich friedlich bis zum Jüngsten Tag schlafen. Ich werde die Ruhe und die Stille brauchen, um mir ein paar gute Ausreden auszudenken.«

»Alle Droods werden verbrannt«, sagte ich. »Nur um sicherzugehen, dass keiner unserer Feinde mit unseren Überresten irgendwas anstellen kann.«

»Vielleicht könntest du deine Asche ins Weltall schicken wie Timothy Leary«, schlug Molly vor.

Ich musste lächeln. »Alles, um von meiner Familie wegzukommen.«

»Ich sehe Mr. Stich nirgendwo«, meinte Molly. »Und ich verstehe sowieso nicht, was er an so einem Ort wollen könnte.«

»Wir sind nicht weit von seinen ursprünglichen Tatorten entfernt. Damals, als er sich zuerst einen Namen gemacht hat, in 1888.«

»Vielleicht sind ein paar seiner Opfer hier begraben.«

»Irgendwie denke ich nicht, dass Mr. Stich da sehr sentimental ist«, sagte ich. »Und überhaupt, nach allem, was man auf diesen Grabsteinen so lesen kann, sind sie beinahe alle älter als Jack the Ripper.«

Wir gingen auf dem Friedhof auf und ab und her und hin und fanden kein Anzeichen dafür, dass Mr. Stich hier gewesen wäre. Zog man die Größe des Areals in Betracht, hätte es Stunden gedauert, alles abzusuchen und außerdem wurde ich ungeduldig. Und mir wurde kalt. Ich hatte meine Rüstung heruntergefahren, als wir das Café Nacht verlassen hatten, aber jetzt murmelte ich die Worte und rief gerade genug der Rüstung herbei, um mein Gesicht zu bedecken. Mit ein wenig Konzentration konnte ich Infrarot durch die Maske sehen und es dauerte nicht lange, bis ich die einzige andere menschliche Wärmequelle außer uns auf dem dunkler werdenden Friedhof gefunden hatte. Ich fuhr die Rüstung wieder herunter, um Mr. Stich nicht in die Defensive zu jagen, und ging zu der Stelle voran, an der er sich befand. Ich tat mein Bestes, um ruhig und nicht bedrohlich, aber auch nicht im Geringsten besorgt zu wirken. Er mag es nicht, wenn die Leute, mit denen er sich unterhalten will, sich die Scheiße aus dem Leib fürchten. Tatsächlich war Mr. Stich für einen unsterblichen Serienkiller bemerkenswert empfindlich.

Er war formal in die Kleider seiner Epoche gekleidet, alles rein schwarz oder weiß, mit einem Zylinder und sogar einem Opernmantel. Wenn er seine Opfer verfolgte, dann konnte er in der Menge verschwinden wie jeder andere, aber wenn er sozusagen außerdienstlich war, zog er die Kleider vor, in denen er sich am wohlsten fühlte. Er war ein großer und kraftvoller Mann, mit breiten Schultern und langen Armen. Er hatte ein breites, väterliches Gesicht, wie ein freundlicher alter Familienarzt - bis man ihm in die Augen sah. Und alle Schrecken der Hölle einen anstarrten.

Er wandte uns langsam sein Gesicht zu, während wir näher kamen. »Molly,«, sagte er, »wie nett. Und Edwin Drood - mal wieder. Es ist mir eine Ehre.«

»Was machst du ausgerechnet hier?«, fragte Molly so direkt wie immer.

»Ich bin … nur zu Besuch«, erwiderte Mr. Stich. Er lächelte und zeigte große, quadratische Zähne, die von der Zeit ganz braun waren. Er deutete auf die Gräber um ihn herum. »Das hier war einmal ein bekannter Ort, die Leute sind buchstäblich dafür gestorben, hierher zu kommen. Es gab Sonderzüge, die die glücklichen Verstorbenen aus dem ganzen Land hierhergebracht haben. Das ist jetzt lange her und niemand erinnert sich mehr daran. Außer mir. Ich habe Freunde und Familie hier. Leute, die mich kannten, als ich noch nichts weiter als ein Mensch war. Die Letzten, die mich noch so kannten, wie ich war, bevor ich zu einem Namen wurde, mit dem man Leute erschreckt.«