Also machten wir uns alle auf in den Lageraum und gaben uns dabei Mühe, nicht allzu hastig zu sein, damit wir keine Aufmerksamkeit auf uns zogen. Die Familie überwachte alles, was der Innere Zirkel tat, mit großem Interesse und sie liebten den Klatsch über alles. Wenn wir unseren ersten Angriff planten, dann wollte ich die Information nicht im Voraus preisgeben.
Der Mitarbeiterstab im Lageraum war mehr als nur ein wenig überrascht, uns zu sehen, weil der Bericht über die Abscheulichen von unserem Frontagenten, einem Callan Drood, immer noch übertragen wurde. Wir hatten derzeit kaum Agenten draußen und es war schwer, irgendjemanden dazu zu bekommen, sich ohne Torques freiwillig zu melden. Die Droods hatten eine Menge Feinde. Glücklicherweise waren die jüngeren Mitglieder scharf darauf, sich zu beweisen und hoffentlich auf der Überholspur, um eine der neuen Rüstungen zu bekommen.
Ich kannte Callan. Ich war von seiner Einstellung und seiner Gründlichkeit beeindruckt gewesen, als ich erfuhr, dass er das Team anführte, das Trumans alte Wirkungsstätte unter London durchsucht hatte. Ich hatte vorgeschlagen, dass er sich ja als Frontagent freiwillig melden könnte und er hatte begeistert zugestimmt. Auch wenn er natürlich sarkastisch und voreingenommen hatte tun müssen, konnte er so doch auch vorgeben, ich hätte ihn wider besseres Wissen überredet. Er wollte nicht, dass irgendjemand dachte, das sei ein Kinderspiel gewesen. Ich hatte gelächelt und ihn nach Südamerika geschickt. Und jetzt war er derjenige, der die Abscheulichen für uns gefunden hatte.
Ausgerechnet Südamerika. Was zum Teufel wollten sie bloß in Südamerika?
Callans Gesicht füllte einen der Hauptbildschirme. Er sah nicht sonderlich glücklich über die Lage aus, aber das tat er nie. Sein jugendliches, breites Gesicht war sonnengebräunt, sein dünnes blondes Haar klebte am Kopf und der Schweiß lief in Strömen an ihm herunter. Alles, was ich im Hintergrund sehen konnte, war ein großes plumpes Gesicht aus dunklem Sandstein und ein Himmel, der so blau war, dass es beinahe in den Augen wehtat.
»Wird auch Zeit, dass ihr euch meldet«, sagte er. »Es sind 55 Grad im Schatten und es gibt keinen Schatten hier. Verdammt unnatürliche Hitze. Sobald diese Einsatzbesprechung beendet ist, werde ich nach einem Swimmingpool suchen und ihn austrinken. Ich seh' hier grade über die Nazca-Ebene. Die Abscheulichen kommen seit ungefähr sechs Monaten hier hin. Sie bauen da draußen in der Ebene irgendetwas. Ich weiß nicht, was, aber den Anblick mag ich trotzdem nicht. Die lokalen Behörden wurden bestochen, sich rauszuhalten und die ganze Region ist für Touristen gesperrt. Überall auf den hinführenden Wegen stehen Straßensperren und sorgen dafür, dass niemand zu viele Fragen stellt.«
»Kannst du das Ding beschreiben, dass sie da bauen?«, fragte der Waffenmeister.
»Nicht so richtig. Es ist groß, vielleicht dreißig, fünfunddreißig Meter hoch und halb so breit. Einiges scheint maschinell zu sein und einiges nicht und es bereitet mir Kopfschmerzen, wenn ich nur hinsehe. Es gibt Hunderte von Abscheulichen hier, die das ganze verdammte Ding umschwärmen und immer wieder etwas hinzufügen.«
»Könnte irgendeine Waffe sein«; sagte der Waffenmeister.
»Nein, tatsächlich?«, fragte Callan. »Und ich dachte schon, dass das möglicherweise das Herzstück des neuen Themenparks der Abscheulichen wäre! Hört mal, schwingt die Hufe und kommt her, ja? Die ganze Sache macht mir echt riesige Angst. Bringt Verstärkung mit. Und kalte Drinks.«
»Könnte diese neue Konstruktion irgendetwas mit den alten Linien auf der Ebene zu tun haben?«, fragte Penny. »Und der ungewöhnlich hohen Temperatur?«
»Ich habe verdammt noch mal keine Ahnung«; sagte Callan. »Jedenfalls nicht erkennbar.«
»Diese Linien sind Tausende von Jahren alt«, meinte Penny und runzelte die Stirn. »Es gibt sie schon so lange in dieser Form, dass sich keiner mehr erinnert, wer sie gezogen hat und warum. Sie sind sogar älter als die Familie.«
»Vielleicht finden wir etwas in der Bibliothek darüber«, schlug der Waffenmeister vor.
»Der Ort kann kein Zufall sein«, überlegte der Seneschall. »Callan, bist du sicher, dass es da keine Verbindung gibt?«
»Hört mal, ich erzähle euch nur, was ich sehe. Und ich komme nicht näher heran, um einen genaueren Blick drauf zu werfen. Die Abscheulichen haben alles und jeden angegriffen, was sich auf der Ebene zeigt und ich mag meine Seele genau da haben, wo sie ist, vielen Dank. Wenn ihr mehr über die Linien wissen wollt, lest euren Däniken selber.«
»Sag nur nicht, du hast ihn auch gelesen«, fragte Molly.
»Natürlich. Er hat eine Menge guter Erkenntnisse. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich schwören, er ist einer von uns.«
»Danke, Callan«, schaltete ich mich ein. »Behalte die Sache im Auge, bis wir ankommen und berichte über alles, das sich bewegt.«
»Vergesst die kalten Drinks nicht.«
Ich machte eine Geste hinüber zu den Jungs an der Bildübertragung und sah den Rest meines Inneren Zirkels an. »Das ist es. Die Gelegenheit, auf die wir gewartet haben. Die Abscheulichen tauchen in ungeahnter Menge auf und bauen … Was? Vielleicht eine neue Superwaffe? Wir können ihnen nicht erlauben weiterzumachen.«
»Ich weiß nicht, ob ›ungeahnt‹ der richtige Ausdruck ist«, sagte der Waffenmeister nachdenklich. »Ich erinnere mich an etwas Ähnliches, damals, zu meines Großvaters Zeiten … Ich muss es in den Familienchroniken nachsehen.«
»Normalerweise übernehmen sie nichts Größeres als eine kleine Stadt«, sagte Penny. »Und selbst dann kostet es sie große Mühen, das vor dem Rest der Welt zu verbergen. Diese Art, etwas vor den Augen der Öffentlichkeit abzuwickeln, passt nicht zu ihnen.«
»Meinst du, es ist eine Falle?«, sagte Molly.
»Ich sehe nicht, wie«, meinte ich. »Sie sind draußen, ganz offen. Und das Ding, das sie da bauen, macht mir Sorgen. Nein, wir haben unser erstes Angriffsziel. Eine größere Versammlung der Abscheulichen auszuradieren ist der beste Weg, der Welt mitzuteilen, dass man immer noch mit uns rechnen muss.«
»Aber wir wissen nicht genug über die Lage«, wandte Penny dickköpfig ein. »Wir haben keine Ahnung, was sie da bauen, oder was für Gefahren drohen, wenn wir es zerstören. Wir wissen nicht mal sicher, was die Abscheulichen für Schutzmechanismen angewandt haben. Wir brauchen mehr Informationen, bevor wir einen größeren Angriff planen.«
»Wir kommen nur an mehr Informationen, wenn wir da runterfahren und die Abscheulichen treten, bis sie uns sagen, was sie vorhaben«, meinte der Seneschall.
»Ganz genau«, erwiderte ich. »Wir sind jetzt am Zug, solange sie das, was sie da machen, noch nicht beendet haben und bevor sie merken, dass wir davon wissen. Wir bringen unsere Armee hin, angeführt von den neuen Torques, zerstören so viele Eklige wie möglich und reißen alles nieder, was wir dort finden. Ich habe gesagt, dass wir einen Krieg gegen die Abscheulichen führen werden und das wird ein hervorragender Beginn sein. Penny, sag' der Familie, dass wir bereit sind, die ersten fünfzig Rüstungen auszugeben. Wir werden eine zünftige Zeremonie daraus machen. Die neuen Ritter in den Rüstungen der Drood-Familie.«
»Willst du nicht erstmal die Namen prüfen?«, fragte Penny.
»Nein«, antwortete ich. »Ich vertraue deinem Urteil. Ist denn einer dabei, bei dem ich Einwände haben könnte?«
»Nur einer«, erwiderte Molly. »Harry.«
»Ich wäre überrascht gewesen, wenn er nicht auf der Liste gewesen wäre. Er ist ein erfahrener Frontagent. Und James' Sohn.«
»Aber du vertraust ihm nicht«, meinte Penny.
»Natürlich nicht. Er ist James' Sohn.«
Wir hielten die große Torques-Übergabezeremonie im Sanktum ab, um die Verleihung von fünfzig neuen Rüstungen an verdiente Familienmitglieder zu feiern. Das Sanktum war von einer Wand zur anderen mit aufgeregten Familienangehörigen vollgepackt, die Schulter an Schulter standen. Noch mehr waren draußen im Gang. Wir mussten im ganzen Herrenhaus Videoschirme aufstellen, damit jedes Familienmitglied das Ereignis sehen konnte. Das war der Beginn einer neuen Ära für die Droods und ich wollte, dass jeder sich als Teil davon fühlte. Selbst die Matriarchin und ihr Fußvolk sahen von ihrer Suite aus zu. Ich sah nach. Seltsam sandte sein wohltuendes Licht über uns alle, und übertrug sogar passende Musik, komplett mit Trompeten und Fanfaren an den richtigen Stellen.