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Die Familienärzte und -schwestern hatten bald keine Bahren und Tragen mehr, obwohl sie die Leichen in der Leichenhalle einfach nur hinlegten und dann so schnell wie möglich wiederkamen. Also improvisierten sie und brachten Tische und Teewagen und andere flache Oberflächen an. Was die Körperteile und -stücke und die abgetrennten Köpfe anging, luden die Ärzte sie einfach in schwarze Abfallsäcke, um sie später zu sortieren. Die Menge schien das nicht zu mögen, aber die Entscheidung musste getroffen werden, um die Leichen so schnell wie möglich aus den Flugzeugen und aus der Sicht der anderen zu bringen. Meine Entscheidung war es allerdings nicht. Ich konnte an nichts anderes denken als daran, wie sehr ich die ganze Sache vermasselt hatte. Nein, ein einziger des Inneren Zirkels hatte weiter gedacht und die Entscheidung für mich getroffen. Sehr vorausschauend von ihnen. Auch wenn es hier natürlich nicht darum ging, wie ich mich fühlte, sondern ob das alles gut für die Familie war.

Ich stand im Schatten meines Flugzeugs und zwang mich selbst, schweigend zuzusehen, bis auch die letzte Leiche ins Herrenhaus getragen worden und endlich zu Hause angekommen war. Das waren meine Pflicht und meine Strafe. Molly stand die ganze Zeit neben mir und hielt meine Hand. Ich hielt mich an ihr fest wie ein Ertrinkender und hatte ihre Hand so fest umklammert, dass es ihr wehgetan haben muss, aber sie ließ keinen Klagelaut hören. Ich sagte gar nichts, nicht einmal, als die Familie mich ansah, mit feuchten, heißen Augen und kalten vorwurfsvollen Gesichtern. Was hätte ich auch sagen können, außer: »Es tut mir leid. Es tut mir so leid.«

Nachdem die letzten Bahren und die letzten paar Plastiksäcke drinnen verschwunden waren, rührte Molly sich endlich und lehnte sich zu mir. »Habt ihr keine Leichensäcke?«, fragte sie still. »Für Katastrophen und Notfälle wie diese?«

»Es hat noch nie so eine Katastrophe wie diese gegeben«, sagte ich. »Wir haben nie Leichensäcke gebraucht, weil wir noch nie so viele Leute verloren haben.«

»Wir haben die Schlacht nicht verloren«, sagte Molly. »Wir haben das Nest und den Turm der Abscheulichen zerstört. Wir haben verhindert, dass das Böse durch das Portal kommt. Verdammt, wir haben die Welt gerettet, Eddie.«

»Wenn das ein Sieg ist, dann will ich nicht wissen, wie eine Niederlage aussieht«, erwiderte ich. »Welchen vorläufigen Sieg wir auch errungen haben, wir haben mit unserem Blut dafür gezahlt. Diese Leute sind mir in eine Schlacht gefolgt, weil sie an mich geglaubt haben. Sie waren die Auserwählten, die ihren Platz durch ihre Leistung und harte Arbeit verdient hatten. Ich habe ihnen einen Sieg und Ruhm versprochen und eine Chance, Helden zu sein. Das hier … das hier sollte eine Demonstration der Macht der Droods werden. Es sollte keiner verletzt werden. Jetzt sind die meisten dieser mutigen Seelen tot und die Familie wird verwundbarer denn je erscheinen.«

»Also … was wirst du tun?«, fragte Molly.

»Ich habe keine Wahl mehr. Jeder Drood muss einen Torques bekommen, und die Rüstung, die dazu gehört. Ob ich nun glaube, dass sie sie verdienen oder nicht. Die Familie muss beschützt werden. Wenn es sein muss, sogar vor mir und meinen verrückten Ideen.«

»Tu das nicht!«, erwiderte Molly scharf. »Fang nicht damit an, dein Urteil infrage zu stellen, nur weil eine Schlacht schiefgelaufen ist. Du hast alles richtig gemacht. Es gab keine Möglichkeit, alles über diese anderen Dämonen zu wissen, die im Turm versteckt waren.«

Sie brach ab, als Harry auf uns zukam. Er hielt seinen Kopf hoch und schritt wie ein Soldat daher, jede seiner Bewegungen strotzte nur so von der Arroganz eines ganz und gar Selbstüberzeugten. Er wusste, dass die ganze Familie zusah. Er blieb mit einem Ruck vor mir stehen, nahm eine verurteilende Pose ein und hob seine Stimme, sodass jeder ihn hören konnte.

»Das ist alles deine Schuld, Edwin. Alles. Ich habe dir gesagt, dass deine Angriffstruppe nicht groß genug war. Ich habe dir gesagt, dass wir alle Rüstungen brauchen, wenn wir die Abscheulichen besiegen wollen. Aber nein, du wolltest nicht hören, du wusstest es besser. Du musstest dich selbst als Führer beweisen. Und jetzt sind wegen dir, wegen deinem Stolz und deiner Arroganz, all diese guten Männer und Frauen tot. Geopfert auf dem Altar deines Ehrgeizes!«

»Gute Rede, Harry«, sagte ich. »Dafür hast du wohl den ganzen Weg nach Hause geübt, nicht wahr? Ich musste mit den Informationen arbeiten, die ich hatte. Keiner von uns hätte das vorhersehen können. Wir haben es noch nie mit so etwas zu tun gehabt.«

»Ich habe nichts anderes von dir erwartet«, sagte Harry. »Entschuldigungen! Sieh den Tatsachen ins Auge, Eddie, du hast es einfach nicht drauf. Das hattest du nie. Selbst als Frontagent wurdest du so zweitklassig eingeschätzt, dass dir niemals Einsätze außerhalb Londons gestattet wurden! Wenn du wirklichen Stolz hättest, wenn du wirklich das Beste der Familie wolltest, dann würdest du zurücktreten und jemand Qualifizierten den Job machen lassen.«

»Und du hast da schon jemanden im Sinn, stimmt's, Harry? Vielleicht dich selbst?«

»Das ist typisch für dich, Eddie, zu versuchen, das ins Persönliche zu ziehen«, sagte Harry überlegen. »Ich will die Familie gar nicht führen, ich will dich nur weghaben. Die Matriarchin wusste alles über dich. Sie wusste, dass man dir nichts wirklich Wichtiges anvertrauen kann. Deshalb hat sie dich von zu Hause weggehen lassen, weil dich sowieso niemand vermissen würde. Wir hätten dich wie jeden anderen Vogelfreien jagen und erledigen sollen.«

»Ich war niemals ein Vogelfreier! Ich habe immer für die Familie gearbeitet!« Ich trat einen Schritt vor und ballte meine Hände zu Fäusten.

»Nicht«, sagte Molly schnell. »Das will er doch nur.«

»Hör auf deine bessere Hälfte«, sagte Harry und sein Hohn trat offen zutage. »Du hast doch gezeigt, wes Geistes Kind du bist, als du die da angeschleppt hast. Als du die schiere Frechheit besessen hast, die berüchtigte Molly Metcalf in unser Heim zu bringen, das läufige Flittchen der wilden Wälder!«

Ich traf ihn hart, mitten in den Mund. Er stolperte zurück, aber er fiel nicht. Die Menge um uns herum ließ Laute des Schreckens hören, aber keiner bewegte sich. Sie warteten alle ab, was als Nächstes passierte. Ihre Augen leuchteten. Harry drehte sein Gesicht, sodass alle das Blut sehen konnten, dass ihm aus dem Mund über das Kinn lief und dann fuhr er seine Rüstung hoch. Das Silber schwappte in einem kurzen Augenblick über ihn und er stand stolz und groß vor der Familie, wie eine Allegorie der Rache. Ich hatte getan, was er wollte. Er hatte mich dazu gebracht, meine Geduld zu verlieren und ihn zuerst anzugreifen. Er hatte sich das den langen Weg zurück überlegt, er hatte geplant, mich vor der ganzen Familie zu blamieren. Ich wusste das alles, wusste, dass ich ihm in die Hand spielte - aber es war mir egal. Ich wollte jemanden verprügeln, und Harry kam mir gerade recht. Ich rüstete ebenfalls hoch und wir traten aufeinander zu, um uns anzusehen. Jeder von uns spiegelte sich in der Rüstung des anderen.

»Na los«, sagte Harry. »Zeig mir, was du drauf hast. Zeig mir all die dreckigen Tricks, mit denen du meinen Vater umgebracht hast.«