»Aber gerne doch«, sagte ich. Ich hob meine Hände und lange, silberne und scharfe Klingen wuchsen aus meinen Fäusten.
»Hört auf damit!«, sagte der Waffenmeister und bahnte sich seinen Weg zu uns durch die Menge. »Hört sofort damit auf, ihr beiden! Seneschall, tu deine Pflicht, verdammt!«
Da - und erst dann - kam der Seneschall nach vorn, um uns zu trennen. Der Waffenmeister war ebenfalls da und schlug mit einer Hand voller Leberflecken gegen meine silberne Brust und starrte mich böse durch meine konturenlose Maske an. Der Seneschall sah auf Harry und natürlich rüstete Harry sofort ab. Wie ein braver kleiner Junge, ein respektvolles Familienmitglied. Er hatte mich von Anfang an ausgespielt. Er hatte nie damit gerechnet, kämpfen zu müssen. Er wusste, irgendjemand würde sich einmischen, um uns aufzuhalten. Ihm war wichtig gewesen, mich vor der Familie schlecht dastehen zu lassen. Er warf mir einen triumphierenden Blick zu und schlenderte ins Herrenhaus, zusammen mit dem Seneschall. Wahrscheinlich, um der Matriarchin zu berichten. Keiner applaudierte ihm offen, aber es gab viel unterstützendes Gemurmel in der Menge.
Ich rüstete ab und nickte dem Waffenmeister beschämt zu. Er grummelte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und schüttelte den Kopf. »Rein mit dir, Junge. Hier kannst du nichts mehr tun.«
Ich blickte auf die Familie, die mich nach wie vor beobachtete. Es war noch nicht lange her, da hatten sie sich versammelt, um laut meinen Namen zu rufen und mich den Familienretter zu nennen. Und jetzt sahen sie mich an, als sei ich eine Art Kriegsverbrecher. Es war nicht nur, dass ich eine Schlacht verloren hatte. Ich hatte sie enttäuscht, weil ich doch nicht der perfekte Held gewesen war. Ich nahm Merlins Spiegel aus der Tasche, schüttelte ihn auf volle Größe und ging durch ihn hindurch in die Waffenmeisterei. Molly und der Waffenmeister folgten mir rasch und ich schloss den Spiegel wieder. Das Gewicht der vorwurfsvollen Familienaugen verschwand und wir waren allein.
»Weißt du, Eddie, es scheint mir, als wärst du langsam ein wenig abhängig von diesem Spiegel«, meinte Molly.
»Quatsch«, antwortete der Waffenmeister brüsk. »Darum hab ich ihm den Spiegel ja gegeben, damit er sich gefahrlos dünne machen kann. Solche Geräte sind dafür gemacht, dass man sie benutzt. Wie wär's, wenn ich uns eine schöne Tasse Tee mache? Ich bin sicher, dass es hier irgendwo auch noch eine Schachtel gefüllte Kekse gibt.« Er unterbrach sich kurz und sah mich an. »Weißt du, Junge, du siehst scheiße aus. Bist du verletzt? Tut dir was weh?«
»Nein«, sagte ich. »All dieses Schlachten und Metzeln und ich bin ganz ohne Kratzer da rausgekommen. Die anderen nicht, die Abscheulichen haben sie zerfetzt.«
»Sieh nicht zurück, Junge«, sagte der Waffenmeister grimmig. »Konzentrier dich darauf, was du als Nächstes tun kannst. Es ist nicht schlimm, eine Schlacht zu verlieren, solange du den Krieg gewinnst. Sieh dir die Familienchronik an, wir hatten eine Menge Niederlagen. Natürlich müsste man weit zurückgehen, um eine solche Niederlage zu finden - aber das liegt daran, dass die Familie mit den Jahren weich geworden ist, selbstgefällig und vorsichtig. Sie hat die Drecksarbeit den Frontagenten überlassen. Sich nur die kleinen Schlachten ausgesucht, die kleinen Siege, die wir gewinnen konnten. Deshalb haben die Abscheulichen so lange hierbleiben und immer zahlreicher werden können. Vor noch nicht einmal einem Jahrhundert wäre das nicht möglich gewesen. Also hör auf, dir selbst leid zu tun, Eddie und denk mal nach! Hast du irgendetwas Nützliches aus dieser ersten Begegnung gelernt? Etwas, das du brauchen kannst, wenn du das nächste Mal gegen diese Bastarde vorgehst?«
»Vielleicht«, sagte ich. Ich fühlte mich auf einmal müde und setzte mich auf den nächsten Stuhl. Molly sah besorgt aus und ich lächelte sie aufmunternd an. Auch wenn es nicht sonderlich aufmunternd gewirkt haben konnte, denn auf einmal sah sie noch besorgter aus. Ich kramte in meiner Jackentasche herum und holte das kandarianische Steinamulett hervor, das Molly aus den Trümmern des Turms gefischt hatte. Ich reichte das hässliche Ding dem Waffenmeister, der es für eine Weile genau betrachtete und sich dann neben mich setzte, um es sich unter einem riesigen Vergrößerungsglas noch genauer anzusehen. Molly zog sich ebenfalls einen Stuhl heran und setzte sich neben mich. Ich bemerkte es kaum. Ich konzentrierte mich auf das Amulett. Es musste etwas sein; etwas Wichtiges, etwas, das alles rechtfertigte, was wir durchgemacht hatten, um es zu kriegen. Der Waffenmeister rieb an dem grauen Steinamulett herum und piekte es mit seinen breiten und schweren Ingenieursfingern und murmelte dabei vor sich hin.
»Hmmm. Also. Das ist wirklich kandarianisch. In besonders gutem Zustand, wenn man bedenkt, dass es sicher über dreitausend Jahre alt ist, wenn man den Stil der Gravierungen bedenkt. Aber auf der anderen Seite sind kandarianische Artefakte sehr … haltbar. Sie wurden gemacht, um die Zeiten zu überdauern und wurden für Prozesse benutzt, die wir heute nur raten können. Kandar - ein übler Ort, was man auch hört. Dämonenanbeter. Haben sich freiwillig zur Verfügung gestellt, um von außerdimensionalen Wesen übernommen zu werden. Haben alle anderen Kulturen, auf die sie trafen, unterjocht und ihnen Schreckliches angetan. Nur weil sie konnten. Sklaverei, Folter, rituelle Opfer; Schlachtfeste und Leiden waren Speis und Trank für die alten Kandarianer. Schließlich haben sie sich gegen sich selbst gewandt und ihre ganze Zivilisation wurde in einer einzigen, furchtbaren, blutdurchtränkten Nacht ausgelöscht. Keine ihrer Städte existiert heute noch. Ihre Kultur und ihre Leute sind vollkommen ausgerottet, höchstwahrscheinlich zumindest. Alles, was wir je von ihnen gesehen haben, ist das eine oder andere seltsame Amulett oder Waffe, die die Zeiten überdauert haben, obwohl sie schon längst von ihren inneren Energien hätten zerfressen und zu Staub zerfallen sollen. Wir verstehen die Sprache nur, weil so viele Sprüche und Beschwörungen ursprünglich darin verfasst wurden.«
»Was ist mit dieser besonderen Glyphe?«, fragte ich und wies auf das Amulett. »Ich habe das als ›Eindringlinge‹ übersetzt.«
»Hmm? Oh ja, Eddie, du hast ganz recht. Schön zu sehen, dass du wenigstens in ein paar deiner Schulstunden aufgepasst hast. Ja, ›Eindringlinge‹. Definitiv Plural. Und die umgebenden Glyphen lassen den Schluss zu, dass es sich hierbei um eine Beschwörung handelte, um diese Eindringlinge in unsere Welt zu bringen. Ich denke, wir müssen annehmen, dass die Präsenz, die du auf der anderen Seite von dem Nazca-Portal gespürt hast, nur eine von vielen war. Was umgekehrt den Schluss zulässt …«
»… dass es andere Nester geben muss«, sagte ich. »Mehr Portale, die von den Abscheulichen gebaut werden, um eine ganze Invasionsarmee dieser Wesen herüberzuholen.«
»Oh, Scheiße«, sagte Molly. »Es war schwer genug, eines von ihnen zu Fall zu bringen. Wie viele könnte es geben?«
»Das weiß wohl keiner«, meinte der Waffenmeister. »Hunderte, Tausende, Hunderttausende? Nester, die in aller Herren Länder, in der ganzen Welt gebaut werden, und die ganze Menschheit bedrohen? Eine Bedrohung, von der wir nichts gewusst hätten - wenn du diese Attacke auf die Abscheulichen nicht losgetreten hättest, Eddie.«
»Das ist wirklich eine völlig neue Liga«, sagte Molly. »Die ganze Welt bedroht? Was sollen wir tun?«
»Wir halten sie auf«, meinte ich. »Das ist es schließlich, was die Familie so tut. Onkel Jack, müssen wir wieder den Armageddon-Kodex aufmachen?«
»Sicher nicht«, sagte der Waffenmeister entschieden. »Ich habe den Kodex einmal für dich geöffnet. Und das war einmal mehr, als ich in meinem Leben jemals habe sehen wollen. Nein, diese Art Superwaffen sollten nur als letzter Ausweg benutzt werden, wenn die Realität selbst bedroht wird. Und die Dinge sehen nicht so schlecht aus. Noch nicht.«
»Aber wenn die Welt kurz vor einer Invasion von andersdimensionalen Wesen steht …?«