»Eddie …«
»Nichts davon spielt eine Rolle«, sagte ich kurz. »Ich habe den Inneren Zirkel einberufen, um mich zu beraten. Nichts weiter.«
»Ich verstehe«, sagte Penny kalt. »Also bist du jetzt der Patriarch, ist es das? Du führst die Familie eigenmächtig, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen?«
»Themenwechsel«, sagte ich und sie musste etwas in meiner Stimme gehört haben, denn sie tat es.
»Ich habe endlich Kontakt mit dem Vogelfreien aufnehmen können, der als der Maulwurf bekannt ist. Mit ein bisschen Fantasie unserer Kommunkationsleute, die sich für meinen Geschmack ein wenig zu sehr mit geheimem Nachrichtenwesen befasst haben. Du sagtest, du willst den Maulwurf wieder hier im Schoß der Familie haben.«
»Er könnte uns sehr nützlich sein«, sagte ich ein bisschen defensiv. »Als er vogelfrei wurde, ging er in den Untergrund, im wahrsten Sinne des Wortes. Und bastelte ein Informationsnetzwerk, das in der Welt seinesgleichen sucht. Er weiß Dinge, die sonst niemand weiß. Und er steht in Kontakt mit allen möglichen mächtigen Gruppen und Individuen, die nicht mal im Traum daran denken würden, direkt mit uns zu reden. Wir brauchen den Maulwurf und seine Quellen.«
»Nun, unglücklicherweise weigert sich der Maulwurf, seine Höhle zu verlassen«, sagte Penny. »Auch wenn wir alles getan haben, um ihn von seiner Sicherheit hier zu überzeugen. Er hat sehr deutlich gesagt, dass er sein Refugium auf keinen Fall verlassen wird. Aber du musst ihn beeindruckt haben, weil er sich einverstanden erklärt hat, mit uns Informationen darüber zu suchen, was die Abscheulichen vorhaben und über die möglichen Standorte anderer Nester. Gerade jetzt ist er in einer Telefonkonferenz mit ein paar unserer besten Technogeeks und zweifellos bringt er ihnen alle möglichen üblen Tricks bei.«
Ich nickte und ging ein wenig langsamer. Penny hatte angefangen zu keuchen. »Das ist das Beste, was wir beim Maulwurf erreichen können«, sagte ich. »Ich werde später mit ihm reden. Sind noch mehr Vogelfreie aufgetaucht?«
»Wir haben allen die Nachricht zukommen lassen. Aber es liegt an ihnen, uns zu kontaktieren. Und viele von ihnen haben einen guten Grund, vorsichtig zu sein. Also, das ist alles an Neuigkeiten, was ich auf Lager hatte. Ich bin dann mal weg. Ich habe noch einiges vor.«
»Jemand Bestimmtes?«, fragte ich. Es musste etwas in meiner Stimme gelegen haben, denn sie bedachte mich mit einem stechenden Blick.
»Nicht, dass es dich etwas anginge, aber ja. Ich treffe mich mit Mr. Stich.«
»Du willst doch nicht wirklich mit ihm reden«, sagte ich. Ich hielt an und sie mit mir. Ich sah sie nachdenklich an. Sie hatte einen grimmigen, trotzigen Gesichtsausdruck, also wählte ich meine Worte sorgfältig.
»Du weißt nicht, was er ist, Penny. Ich habe einige seiner Opfer gesehen. Oder was von ihnen übrig war; aufgeschnitten, ausgeweidet. Ich habe einmal in einem seiner Verstecke seine alten Opfer gesehen, sie saßen arrangiert um einen Tisch herum, ausgestopft und mumifiziert, damit er ihren Tod wieder erleben und sich daran weiden konnte. Er konservierte ihren Schrecken und ihre Schreie. Er ist nicht menschlich, Penny. Nicht mehr. Er hat sich damals, 1888, zu etwas ganz anderem gemacht.«
»Du kennst ihn nicht so wie ich«, sagte Penny. »Du hast dir nie die Zeit genommen, mit ihm zu reden und ihm zuzuhören, so wie ich. In ihm steckt mehr, als du denkst. Er braucht Hilfe, jemand, dem es wichtig genug ist, dass er sich ändert. Jeder kann geläutert werden, Eddie.«
Ich suchte immer noch nach etwas, was ich ihr sagen konnte, als sie sich auf dem Absatz umdrehte und davonging. Ich hätte ihr nachgehen können, doch ich tat es nicht. Es hätte nichts genutzt. Einige Leute wollten nicht belehrt werden. Sie mussten es selbst erfahren, manchmal auf die brutale Art. Und welcher Mann verstand schon, was eine Frau in einem anderen Mann sah? Vielleicht konnte Mr. Stich ja gerettet werden. Molly glaubte an ihn. Ich … nicht. Das war Mr. Stich: Ein Mörder und Killer von Frauen seit über einem Jahrhundert. Ein Jahrhundert des Metzelns, von Frauen, die vielleicht ebenso geglaubt hatten, ihn zu verstehen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er das Messer zog. Also ging ich und suchte mir eine stille Ecke, verriegelte die Tür und befahl Merlins Spiegel, mir zu zeigen, was Penny und Mr. Stich so vorhatten.
Du benutzt den Spiegel zu oft, hatte Molly gesagt. Du wirst davon abhängig. Aber ich tat nur, was ich tun musste. Für die Familie.
Penny und Mr. Stich spazierten durch den Park hinunter zum See. Der Himmel war sehr blau, die Bäume wiegten sich in einer starken Sommerbrise hin und her und schneeweiße Schwäne segelten majestätisch über das Wasser des Sees. Penny schnalzte mit der Zunge, um sie anzulocken, aber keiner von ihnen kam näher, solange sie Mr. Stich bei sich hatte. Die beiden gingen nebeneinander her, lächelten und sprachen miteinander wie alte Freunde.
»Also«, meinte Penny. »Gefiel es Ihnen, all die Abscheulichen zu töten?«
»Nicht wirklich«, erwiderte Mr. Stich. »Sie sind nicht gestorben wie normale Leute. Es gab kein wirkliches Leiden, keinen Schrecken in ihren Augen und das ist nun einmal das A und O für mich.«
»War das Ganze so ein Desaster, wie Harry die ganze Zeit behauptet?«
»Nein«, sagte Mr. Stich nach einer nachdenklichen Pause. »Wir haben die Abscheulichen davor zurückgehalten, ihren unheiligen Meister von der Anderen Seite herzuholen. Ihren Turm zerstört, die meisten von ihnen getötet und die anderen zerschlagen. Edwin hat den Plan entwickelt, der das möglich gemacht hat. Wenn er das nicht getan hätte, wenn dieses Wesen durchgekommen wäre, dann wäre das eine Katastrophe gewesen, und die ganze Welt hätte dafür gezahlt. Die Menschheit selbst wäre vielleicht ausgelöscht worden … Vielleicht sogar ich. Es war ein interessantes Ereignis, mich von Angesicht zu Angesicht einer Kreatur gegenüber zu finden, die noch bösartiger ist als ich.«
»Fühlen Sie immer noch den Drang zu töten?«, fragte Penny plötzlich. »Oder sind Sie nun befriedigt?«
»Ich fühle den Drang immer noch«, meinte Mr. Stich. »Ich fühle ihn immer.« Er sah sie offen an. »Warum suchen Sie mich auf, Penny? Sie wissen, was ich bin. Was ich Frauen antue. Wollen Sie, dass ich es Ihnen antue?«
»Natürlich nicht!«
»Also warum, Penny?«
»Niemand ist je so schlimm, wie von ihm gesagt wird«, antwortete sie nach einer Weile.
»Ich bin es.«
»Vielleicht. Ich habe alle Geschichten gehört. Aber ich wollte den Mann hinter den Geschichten kennenlernen. Etwas zieht mich zu Ihnen hin.« Penny sah in sein Gesicht und hielt seinem kalten Blick unbeirrt stand. »Jeder kann gerettet werden. Jeder kann wieder ins Licht gebracht werden. Ich habe immer daran geglaubt.«
»Was, wenn man nicht gerettet werden will?«
»Wenn das wahr wäre«, sagte Penny, »dann hätten Sie Ihr Wort Molly gegenüber bereits gebrochen. Sie leben hier mit uns, umgeben von Versuchung, aber Sie tun nichts. Molly sagte, Sie seien ein guter Freund von ihr.«
»Molly glaubt, was sie glauben will.«
»Das tue ich auch«, sagte Penny. »Und jetzt genug geredet über dunkle und unerfreuliche Dinge! Ich werde Sie für eine Weile davon ablenken.«
Mr. Stich nickte langsam. »Ja. Sie wären vielleicht dazu in der Lage.«
»Ich dachte, ein Picknick wäre nett«, sagte Penny fröhlich. »Ich habe einen Korb mit allem gepackt, was man dazu braucht, in dem kleinen Wäldchen da drüben. Sollen wir?«
»Warum nicht?«, sagte Mr. Stich. »Es ist lange her, dass ich etwas so … Zivilisiertes getan habe.«
»Wir müssen uns einfach besser kennenlernen«, sagte Penny. »Wie lange ist es her, dass Sie mit jemandem völlig frei haben reden können? Wie lange ist es her, dass einfach jemand dasaß und Ihnen zugehört hat?«
»Lange«, meinte Mr. Stich. »Ich bin seit einer sehr langen Zeit allein.«
»Ich kann Sie nicht immer Mr. Stich nennen. Haben Sie keinen Vornamen?«