»Ja, klar, aber nur, weil ich wusste, ich kann ihm auf ein Dutzend verschiedene Arten in den Hintern treten, wenn nötig. Ach, zum Teufel. Ich gehe ihr besser nach. Es wird Zeit für ein ernsthaftes Gespräch unter Frauen, und vielleicht sogar für ein Eingreifen. Bis später, Süßer.«
Sie gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, winkte mir mit den Fingern zu und ging hinter Penny her. Und sie beeilte sich. Ich hoffte, dass dieses Eingreifen funktionierte. Eine Sorge weniger hätte ich gut brauchen können.
Ich ging durch das Herrenhaus, ohne bestimmtes Ziel. Ich dachte nur nach. Wenn ich meinen Ratgebern im Inneren Zirkel nicht mehr vertrauen konnte, musste ich mich eben nach neuen Ratgebern umsehen. Vorzugsweise solchen, die mehr von den Realitäten eines tatsächlich stattfindenden Krieges verstanden. Irgendwann hatte ich eine richtig gute Idee, wo ich die finden konnte, und die Tatsache, dass der Innere Zirkel mit dieser Idee auf keinen Fall einverstanden sein würde, machte sie nur noch besser. Ich grinste immer noch vor mich hin, als es in meiner linken Jackentasche wild zu zappeln begann. Ich packte sie mit beiden Händen, rang sie nieder und zog schließlich Merlins Spiegel heraus, der wie ein brünstiger Vibrator in meiner Hand zitterte und sich schüttelte. Schließlich sprang er mir aus den Fingern, wuchs rapide an und hing dann vor mir in der Luft, ein Tor, durch das ich in die alte Bibliothek sehen konnte. Regale über Regale von Büchern, in einem warmen, goldenen Schimmer, begleitet von dem leisen Geräusch eines Selbstgesprächs. William Drood erschien auf einmal im Rahmen und nickte brüsk zu mir hin.
»Keine Panik, das bin nur ich. Ich muss privat mit dir reden, also habe ich den Spiegel von hier aus aktiviert.«
»Ich wusste gar nicht, dass du das kannst«, sagte ich.
Er schnaubte laut. »Es gibt einiges, was du über den Spiegel nicht weißt, Junge, und ich habe keine Zeit, dich vor allem zu warnen. Überflüssig zu sagen, dass es ein Ding ist, dass von dem berüchtigten Merlin Satansbrut konstruiert wurde. Der Haken liegt schon im Namen.«
»Bitte klingel das nächste Mal oder so etwas in der Art«, sagte ich. »Du hast mir echt Angst eingejagt.«
»Du hattest Glück, dass ich einen Vibratormodus improvisieren konnte. Die Bedienungsanleitung sieht einen sehr lauten Gongschlag vor. Aber jetzt pass mal auf, Edwin. Ich muss dich sprechen. Hier in der alten Bibliothek, wo niemand uns belauschen kann. Na los, komm schon durch das Tor. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Ich seufzte lautlos. Es war noch nicht allzulange her, dass ich hier die Befehle gegeben hatte. Ich trat durch die Öffnung in die alte Bibliothek. Der Spiegel schrumpfte auf der Stelle zu normaler Größe und schlüpfte in meine Tasche zurück. Ich hatte auch nicht gewusst, dass er das konnte. Sobald ich Zeit hatte, nahm ich mir vor, würde ich die Bedienungsanleitung genauer studieren.
William wuchtete einen in Leder gebundenen Folianten auf ein Lesepult aus Messing und blätterte schneller durch die Seiten, als für so ein altes Buch gut sein konnte. Er fand bald die richtige Stelle und begann, sie hastig murmelnd zu lesen. Dabei folgte er den Zeilen mit der Fingerspitze. Ich wartete darauf, dass er mich einweihte, in was auch immer so wichtig sein mochte, mich so umgehend zu sich zu zitieren. Aber er schien vergessen zu haben, warum ich hier war. Ich fand einen Stuhl und setzte mich, um abzuwarten.
Jedes Mal, wenn ich dachte, dass es William besser ginge, verfiel er wieder in diesen Seltsamer-John-Modus.
Der jüngere Bibliothekar, Rafe, erschien hinter den sich auftürmenden Buchbergen mit einer Tasse dampfendem Tee, die ich dankbar annahm. Rafe sah liebevoll auf William und beugte sich vor, um mir etwas ins Ohr zu flüstern. »Du musst dem alten Kauz ein paar Zugeständnisse machen. Wir sind beide die ganze Nacht wach gewesen, um nach den Informationen zu suchen, die du haben wolltest. Die alte Bibliothek hat Kopien von Büchern, von denen ich nicht mal im Traum erwartet habe, dass es sie gibt und einige davon sind so gefährlich, dass wir ein paar niedere Exorzismen durchführen mussten, bevor wir uns ihnen überhaupt nähern konnten. William ist allerdings wirklich ein Juwel. Er sprang von einem Hinweis zum nächsten, folgte der Spur von Band zu Band, von Pergamentrollen zu Manuskripten und antiken Traktaten, die tatsächlich in dünne Platten von gehämmertem Gold eingraviert sind. Ich habe versucht, ihn zu einer Pause zu überreden, aber er ist schon so, seit du ihm dieses kandarianische Artefakt gezeigt hast.«
»Verdammt«, sagte ich. »So wichtig war das nun auch wieder nicht. Ist er wirklich die ganze Nacht und diesen Morgen schon wach?«
»Ja, das ist er«, sagte William und sah nicht einmal von seiner Lektüre auf. »Und es ist in der Tat so wichtig. Ich bin nicht taub, wisst ihr. Ich kann jedes Wort von dem hören, was ihr sagt. Also, Eddie, ich habe eine Menge Referenzen zu Kandar und den Eindringlingen gefunden. Die meisten von ihnen sind ziemlich besorgniserregend und von jedem einzelnen solltest du sofort erfahren. Deshalb habe ich dich hergeholt. Rafe, wo ist die Tasse Tee, um die ich dich gebeten hatte?«
Rafe sah mich an, aber ich hatte schon das meiste davon getrunken.
»Ich gehe noch eine Tasse holen«, sagte Rafe.
»Macht nichts, macht nichts, bleib hier, Rafe. Ich will, dass du das genauso hörst wie Edwin. Sorg dafür, dass du nichts verpasst, ich bin nicht mehr so genau wie früher einmal. Also aufgepasst, Edwin! Das ist wichtig! Die ganze Familie muss davon erfahren.«
Seine Stimme wurde quengelig. Rafe zog einen Stuhl heran und William sank dankbar hinein. Er rieb sich müde die Stirn und sah plötzlich älter aus, verstört und sein Blick wurde beunruhigend vage. Als er seine Hand sinken ließ, zitterte sie sichtbar.
»Ich wollte zu der Beerdigung gehen«, sagte er auf einmal. »Rafe?«
»Wir haben sie verpasst«, sagte Rafe. »Ich hab es dir gesagt, aber du sagtest, die Arbeit sei wichtiger.«
»Und das ist sie auch! Ich wollte wirklich gehen, aber … was wollte ich sagen?«
»Vielleicht solltest du in dein Zimmer gehen und dich ein wenig hinlegen«, sagte ich. »Damit du wieder zu Kräften kommst.«
»Nein!«, antwortete William prompt. »Mit mir ist alles in Ordnung! Und wir haben keine Zeit, keine Zeit! Außerdem gefällt es mir hier. Ich bin noch nicht so weit, mich mit Leuten zu treffen.«
»Aber du bist hier zu Hause«, sagte ich. »In der Familie.«
»Besonders Familie will ich nicht treffen«, meinte William entschieden. »Ich will nicht, dass mich irgendeiner von ihnen so sieht. Ich bin noch nicht ganz wieder da. Ich habe die Identität des Seltsamen John zu lange vorgeschützt, und es ist schwer, sie wieder abzulegen. Manchmal frage ich mich, ob er vielleicht mein wirkliches Ich ist und William ist nur eine Erinnerung an jemanden, der ich einmal vor langer Zeit war. Ich will nicht in mein Zimmer gehen. Mir gefällt es hier. Ich finde die Bücher beruhigend. Und Rafe. Du bist ein guter Junge, Rafe. Eines Tages wirst du ein hervorragender Bibliothekar werden.«
»Alles wird gut, William«, versicherte ich ihm. »Du brauchst nur etwas Zeit, um dich einzugewöhnen.«
Er schien mich nicht zu hören und sah sich unkonzentriert und besorgt um. »Ich höre Dinge. Sehe Dinge. Immer von der Seite, wo ich sie nicht festnageln kann. Ich dachte, das würde aufhören, wenn ich Fröhliches Delirium verlasse. Vielleicht sind sie mir hierhin gefolgt.« Er legte die Hände im Schoß zusammen, damit sie nicht zitterten und sah mich an. »Ich denke, dass das Herz mir, meinem Verstand, etwas angetan hat. Um mich davon abzuhalten, zu erzählen, was ich wusste. Und ich denke, was auch immer es getan hat, es passiert immer noch.«
»Das Herz ist nicht mehr da«, sagte ich fest. »Weg und zerstört. Es kann dir nichts mehr tun.«
Er schüttelte langsam den Kopf, rang die Hände und murmelte etwas in sich hinein. Ich stand langsam auf. Was für eine Information William auch gefunden hatte oder geglaubt hatte, zu finden - man konnte sich ganz klar nicht darauf verlassen. Vielleicht konnte Rafe später etwas Sinnvolles herausfinden. Und dann blieb ich urplötzlich stehen, als William abrupt aufstand und mir böse in die Augen starrte.