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»Hallo!«, sagte er. »Achtet gar nicht auf mich. Ich bin nur hier, um mir was Einfaches zu lesen zu holen.«

»Das ist die alte Bibliothek«, sagte ich. »Die ist für jeden gesperrtes Terrain, aber besonders für dich.«

»Wie ausgesprochen unfreundlich«, erwiderte der Blaue Elf. »Man könnte glatt glauben, du misstraust mir.«

»Das sind verbotene Texte«, grollte William. »Selten und wichtig und überaus wertvoll. Leg sie dorthin. Vorsichtig.«

»Natürlich, natürlich«, sagte der Blaue Elf. Er lächelte immer noch sein strahlendes und ungetrübtes Lächeln. Er ließ den Bücherstapel langsam und vorsichtig auf den Boden sinken und hielt dann beide Hände hoch, um uns zu zeigen, dass sie leer waren, bevor er von dem Haufen zurücktrat. »Können wir uns jetzt wieder ein bisschen beruhigen, bitte? Ich meine, wir sind doch alle gute Freunde, oder? Wir sind alle auf derselben Seite?«

Ich schenkte ihm meinen besten mörderischen Blick. Ich hatte immer angenommen, dass der Blaue Elf hauptsächlich deshalb mit ins Herrenhaus gekommen war, weil er glaubte, er müsse sich vor seinen zahlreichen Feinden schützen. Wie den Vodyanoi-Brüdern. Und nur in zweiter Linie, um gute Werke für die Erlösung seiner befleckten Seele zu tun. Immerhin, selbst wenn man alles bedachte, war der Blaue Elf doch immer noch halb Elb und einem Elben kann man niemals trauen.

»Wonach genau suchst du?«, fragte ich.

»Ich war interessiert an allem, was deine Familie mit den Elben zu schaffen hatte«, erwiderte der Blaue Elf sofort. »Ich weiß wirklich nicht viel über Papas Familienseite. Vollblutelben sprechen nicht mit Halbblütern. Unsere pure Existenz ist ein Tabu für sie. Aber als ich dich hier gesehen habe, Eddie, zwischen all den Deinen, hat mich das neugierig auf meine eigene Familie gemacht. Du kennst deine Wurzeln, weißt, wer du bist und woher du kommst. Das wusste ich nie.«

Jedem anderen hätte ich geglaubt, aber das hier war der Blaue Elf - also …

»Das nächste Mal fragst du erst um Erlaubnis«, sagte ich. »Wie bist du überhaupt hier hereingekommen? Die Schutzschilde, die ich rund um das Porträt installiert habe, hätten dich bei lebendigem Leib fressen sollen.«

»Oh, ich bitte dich«, sagte der Blaue Elf mit einem leichten Wedeln seiner eleganten Hand. »Ich bin immerhin ein Profi. Ich bin schon von besser bewachte Orte wieder weggekommen, als du noch nicht geboren warst.« Und dann zögerte er und sah mich seltsam an. »Ich habe unfreiwillig einiges von dem faszinierenden Diskurs des Bibliothekars über die Kandarianer gehört. Mir ist, als hätte ich etwas über sie gelesen und ihre Beziehung zu den Elben. Der Elbenhof war schon alt, als die Kandarianer mit dem Aufbau ihres sehr unerfreulichen Imperiums begannen und es wird gesagt, dass es die Elben waren, die die Kandarianer den Abscheulichen vorgestellt haben, um sie damit zu vernichten. Hüte dich vor den Elben, Eddie, sie haben immer eigene Pläne.«

Er drehte sich um und ging davon. Ich sah ihm hinterher und fragte mich, ob er vielleicht, in seiner sehr seltsamen Art, etwas sehr Wichtiges über sich selbst hatte sagen wollen.

Ich verließ die alte Bibliothek mit einer Menge Gedanken im Kopf. Ich hatte eine Menge wichtiger Sachen gelernt, die mich beinahe alle erschreckt hatten. Doch das alles überzeugte mich nur noch mehr davon, dass ich mit meinem geheimen Plan fortfahren musste. Wenn ich einen Krieg gegen Hungrige Götter, bei dem die gesamte Realität auf dem Spiel stand, zu führen hatte, dann wollte ich wirklich ernst zu nehmende Unterstützung haben. Zuerst brauchte ich einen Ort, an dem mich niemand stören würde. Denn ich wollte Merlins Spiegel in einer Art benutzen, mit dem absolut jeder in der Familie ganz und gar nicht einverstanden sein würde. Also verließ ich das Herrenhaus und ging in die alte Kapelle, die vom Haus aus gesehen in einem toten Winkel lag. Jacob hatte hier herumgespukt, bis ich ihn wieder in die Familie gebracht hatte. Die Kapelle war für Familienmitglieder jahrhundertelang verboten gewesen, weil Jacob hier wohnte, und während er möglicherweise die Kapelle verlassen hatte, hatte sich niemand die Mühe gemacht, den Bann zu lösen.

Ich ging vorsichtig auf die Kapelle zu, aber die dicke Matte aus Efeu, die die hölzerne Tür halb bedeckte, rührte sich nicht im Geringsten. Als Jacob noch hier gehaust hatte, hatte der Efeu als eine Art Frühwarnsystem fungiert, um sicherzustellen, dass er ungestört blieb - aber jetzt war er weg und der Efeu war einfach nur Efeu. Die Tür stand wie immer halb offen und ich musste mich mit der Schulter gegen das schwere Holz stemmen, um hineinzukommen. Die Tür kratzte laut über den bloßen Steinboden und ließ beißende Staubwolken aufwirbeln. Ich hustete ein paar Mal und rief Jacobs Namen. Ich hoffte halb er sei da … doch niemand antwortete.

Jacob war weg.

Die Kirchenbänke waren immer noch an der gegenüberliegenden Wand aufgestapelt und bedeckt von staubigen Spinnweben. Der große schwarze Lederarmsessel stand immer noch vor dem altmodischen Fernseher. Es war nur zu einfach, sich an Jacob zu erinnern, wie er sich bequem in seinen Sessel gelümmelt hatte, und sich die Erinnerungen an alte Fernsehsendungen auf einem Bildschirm angesehen hatte, an dem nichts mehr funktionierte. Der alte Kühlschrank stand immer noch neben dem Sessel, aber als ich ihn öffnete, war er leer. Ich schloss die Tür wieder und setzte mich auf den Sessel. Das alte Leder krachte klagend unter meinem Gewicht.

Ich wünschte mir, dass Jacob immer noch da wäre. Vielleicht wäre er der Einzige gewesen, der dazu imstande war, mir das auszureden, was ich zu tun beabsichtigte. Ich wollte keinen Krieg führen. Mir fehlte die Erfahrung. Die Nazca-Ebene hatte das bewiesen. Ich wollte lieber verdammt sein, als noch mehr Mitglieder der Familie wegen mir sterben zu sehen. Ich brauchte die Hilfe und die Unterstützung von Experten, von wirklichen Kriegern und Taktikern, die mir helfen konnten, die Schlachten im kommenden Krieg zu planen. Und weil es nicht sehr wahrscheinlich war, dass ich solche Experten hier in der Gegenwart fand, musste ich eben in der Vergangenheit nach ihnen suchen - oder in der Zukunft.

Der Waffenmeister hatte mir verboten, das zu tun. Aber ich war ja noch nie gut darin gewesen, auf das zu hören, was mir meine Familie sagte.

Ich nahm Merlins Spiegel heraus. Ich sah ihn eine Weile einfach an und drehte und wendete ihn in meinen Händen. Ich war nicht blind gegenüber den Risiken dessen, was ich zu tun gedachte. Aber die Familie musste beschützt werden. Ich schüttelte den Spiegel zu voller Größe und er hing vor mir in der Luft. Seine Oberfläche bestand aus schimmernder Leere.

»Öffne dich selbst in die Vergangenheit«, sagte ich entschlossen. »Und finde mir den besten Krieger, den besten Strategen, um mir im kommenden Krieg zu helfen. Finde mir einen guten und loyalen Mann, jemanden, dem ich vertrauen kann. Finde mir das perfekte Individuum, um zu tun, was ich brauche.«

Der Spiegel fokussierte sich im Bruchteil einer Sekunde und zeigte mir ein klares Bild von - Jacob Drood. Zuerst dachte ich, der Spiegel hätte mich missverstanden und einfach nur den Geist von Jacob gezeigt, weil er mir im Kopf herumspukte. Aber je länger ich in das Bild sah, desto deutlicher wurde, dass das Bild, das ich sah, nicht irgendein Geist war. Das war der wirkliche Jacob, der Lebendige - vor langer, langer Zeit. Er sah so viel jünger aus, und weniger kompliziert.

Während ich das Bild anstarrte, brach es mit einem Mal in Bewegung aus und ich sah durch ein Fenster in eine Vergangenheit, in der der lebende Jacob eine kichernde junge Frau in der Kapelle herumscheuchte. Er grinste breit, jagte sie in die korrekt aufgestellten Kirchenbänke hinein und wieder hinaus und das Mädchen blieb ihm sorgfältig nur gerade so viel voraus, dass er ermutigt wurde. Ihre Kleidung suggerierte, dass es sich um das späte achtzehnte Jahrhundert handelte, auch wenn ich noch nie gut in Geschichten und Daten gewesen war.