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Ich musste irgendein Geräusch verursacht haben, weil sie beide mit einem Mal innehielten und scharf in meine Richtung sahen. Sie schrien nicht auf oder schienen besonders erschrocken oder verwirrt, immerhin waren sie Droods. Ich konnte die goldenen Reifen um ihren Hals sehen.

Trotzdem stellte Jacob sich schnell zwischen die junge Frau und den Mann, der sie durch ein Loch in der Luft hindurch anstarrte. Ich hielt meine Hände hoch, um zu zeigen, dass sie leer waren, und schenkte ihnen mein beruhigendstes Lächeln.

»Ist schon in Ordnung, Jacob«, sagte ich schnell. »Es ist in Ordnung, ich bin von der Familie. Ich bin Edwin Drood und spreche aus der Zukunft mit dir. Dem einundzwanzigsten Jahrhundert, um genau zu sein. Die Familie braucht dich, Jacob.«

»Wenn Ihr von der Familie seid, so zeigt mir Euren Torques!«, meinte er.

Ich zog mein Hemd auf, um ihm meinen Reifen um den Hals zu zeigen. Jacob hob eine Augenbraue.

»Ein silberner Torques, kein goldener. Hat der Familieneifer so nachgelassen, in Eurer zukünftigen Zeit?«

»Es gab einige Änderungen«, sagte ich. »Aber die Familie besteht immer noch. Du würdest immer noch erkennen, wer wir sind und was wir tun. Die Welt muss immer noch vor vielen Gefahren beschützt werden.«

Jacob nickte langsam, dann drehte er sich zu der jungen Frau um, klatschte ihr fest aufs Hinterteil und bugsierte sie zur Kapellentür hinaus. »Fort mit dir, Jungfer. Das ist eine Sache für Männer.«

Sie kicherte, gab ihm ein letztes keckes Winken und eilte einigermaßen glücklich aus der Kapelle. Ich machte mir eine gedankliche Notiz darüber, Jacob zu sagen, dass er das in meiner Zeit besser nicht versuchte.

»Das hübscheste Hinterteil im ganzen Herrenhaus«, sagte Jacob fröhlich.

»Kann sein«, sagte ich. »Aber warum die Kapelle?«

»Weil die Familie mich aller anderen Gemächer verwiesen hat«, sagte Jacob. »Mir scheint, als sei die Moral deiner Zeit doch sehr geändert und Vergnügen nicht mehr in Mode.« Jacob sah mich augenzwinkernd an. »Aus der Zukunft, sagt Ihr. Darf meine Wenigkeit fragen, wie es kömmt, dass Ihr hier seid und vermögt, mit mir zu sprechen?«

»Merlins Spiegel«, sagte ich und Jacob nickte sofort.

»Ich hatte gedacht, dass dieses tückische und gefährliche Objekt bereits lange verloren sei und dies zu Recht. Die Euren müssen in der Tat verzweifelt sein, auf ein solches Ding zu vertrauen.« Jacob sah mich nachdenklich an. »Wie kommt es, dass ein Mann aus solch zukünftigen Zeiten mein Gesicht kennt und mich beim Namen ruft? Bin ich wohl berühmt und eine Legende in unserer Familie?«

»So in der Art«, sagte ich. »Du musst mit mir in die Zukunft kommen, Jacob, um der Familie zu helfen. Wirst du mitkommen?«

»Zeitreisen sind verboten, nur die Matriarchin kann es ausdrücklich erlauben«, sagte Jacob langsam. »Aber sagt mir, junger Herr, wie geht es in der Welt Eurer Zeit zu? Was gibt es Neues an Wundern und Mirakeln?«

»Komm und find's raus.«

»Ein Verführer!«, meinte Jacob lächelnd. »Ich sollte gestehen, dass die Familie in dieser Zeit nicht recht glücklich ist mit mir. Ich fühle mich in meiner Zeit nicht wohl platziert. Vielleicht kann etwas Abstand meiner Familie ermöglichen, mich mit freundlicheren Augen zu betrachten. Nun! Alles für die Familie, junger Edwin!«

Ich streckte die Hand aus; durch das Portal und durch die Jahre und Jacob nahm sie. Es war ein echter Schock, seine Hand in Fleisch und Blut in meiner zu fühlen. Ich zog ihn durch Merlins Spiegel, aus seiner Zeit in meine hinüber und das Tor schloss sich sofort. Jacob ließ meine Hand los und sah sich um. Er war ganz offensichtlich geschockt vom Zustand der Kapelle, die (für ihn) von einem Moment auf den anderen von dem ordentlichen Heiligtum zu dem schmutzigen, verlassenen und hab verfallenen Ort wurde, der sie in meiner Gegenwart war. Er wollte etwas sagen - aber in diesem Moment erschien Jacobs Geist aus dem Nichts und schwebte über uns. Er wies mit einer zitternden, geschrumpften Hand auf mich. Seine Stimme hallte heulend in meinen Kopf wider wie die einer verdammten Seele.

Was hast du getan? Was hast du getan!

Er verschwand. Jacob packte mich fest am Arm. »Was im Namen unseres Herrgotts war das?«

»Ich glaube nicht, dass ich dir das sagen kann«, sagte ich nach einem Moment. »Das muss ich selbst noch herausfinden.«

Ich löste seine Finger von meinem Arm und benutzte dann Merlins Spiegel, um ein Portal zwischen der Kapelle und der alten Bibliothek zu öffnen. Ich rief nach Rafe und er kam sofort angetrabt.

»Das hier ist Jacob Drood«, sagte ich munter. »Ja, genau, der Jacob. Ich habe ihn aus der Vergangenheit geholt, um uns zu helfen. Du musst für mich nach ihm sehen, ihn auf den neuesten Stand bringen und ihm alles erzählen, was er wissen muss; und nein, ich werde zu diesem Zeitpunkt keine Fragen beantworten. Mach es einfach, okay?«

»Du machst dir richtig gerne Arger, stimmt's?«, meinte Rafe. »Warum erschießt du nicht einen der Albatrosse hier und bringst es hinter dich? Komm mit mir Jacob, und ich tue mein Bestes, um das unglaubliche Chaos zu erklären, in das du hier hereingeraten bist.«

»Ah, schöne, neue Welt, die solche Geheimnisse birgt«, sagte Jacob trocken. »Es scheint mir, als sei die Familie dieser Zeiten nicht gar so anders als die Familie, die ich kenne.«

Ich schob ihn durch das Portal und schloss den Spiegel, bevor einer von ihnen irgendwelche seltsamen Fragen stellen konnte. Ich hatte den Spiegel gebeten, mir den passendsten Kandidaten zu zeigen und er hatte Jacob gewählt. Also war er wohl der richtige Mann für den Job. Er musste es einfach sein. Ich seufzte schwer, sah mich in der leeren Kapelle um und hob meine Stimme in der staubigen Stille.

»Okay, Jacob, du kannst jetzt rauskommen.«

Und plötzlich war er da, saß zusammengesunken in seinem Fernsehsessel, eine magere spektrale Präsenz in einem schmutzigen T-Shirt und ausgebeulten Shorts. Sein abstehendes Haar floss um seinen knochigen Kopf, als wäre er unter Wasser und seine Augen waren dunkel und brütend. Er warf mir einen bösen Blick zu, aber der kam nicht von Herzen. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, sah er alt, müde und geschlagen aus.

»Warum hast du das getan, Edwin? Was hast du geglaubt, dass du tust? Warum hast du mir nicht gesagt, dass du planst, mein lebendes Selbst aus dem Spiegel zu reißen?«

»Der Spiegel Merlins hat behauptet, dass du der bist, den die Familie braucht, um diesen Krieg zu gewinnen«, erwiderte ich. »Aber … du musst gewusst haben, dass ich das vorhabe. Warum hast du mir nichts gesagt?«

»Weil ich mich nicht daran erinnere!« Der Geist des alten Jacob sah traurig auf den leeren Fernseher und kurze Bilder des lebenden Jacob in seiner eigenen Zeit flackerten über den staubigen Bildschirm, und er tat all die alltäglichen Dinge, die die Lebenden taten … doch es war nur ein Potpourri von Erinnerungen, nach einem kurzen Moment wieder verschwunden.

»So viel meiner Vergangenheit ist für mich verloren«, sagte Jacob sanft. »Mein Leben ist heute so lange her. Nachdem ich starb, habe ich Jahrhunderte hier verbracht, nur mit Sitzen und Warten. Ich habe auf die wichtigen Dinge gewartet, die ich zu tun hatte - und habe so lange gewartet, dass ich schließlich vergessen habe, worauf ich eigentlich wartete. Ich wusste, dass du wichtig bist, von dem Moment an, als ich dich als Kind zum ersten Mal gesehen habe. Ich habe mich tatsächlich daran erinnert, dass ich dir helfen musste, die Kontrolle über die Familie von der Matriarchin zu erringen, aber ich weiß immer noch nicht, warum. Da ist noch etwas anderes, weshalb ich hier bin, Eddie, als nur die Zerstörung des Herzens. Da ist etwas, das ich tun muss, etwas Wichtiges … Aber ich weiß nicht, was!« Er sah auf und fixierte mich mit stählernem Blick. »Aber ich erinnere mich jetzt an etwas, Eddie. Du hast mich hierhergebracht, in diese Zeit, um zu sterben. Du bist derjenige, der mich zu dem macht oder machen wird, was ich bin.«