»Ich halte immer einen bestimmten Druck aufrecht«, sagte er stolz. »Teilweise, weil es gut für den Kessel ist, teilweise, um auch wirklich bereit zu sein, falls uns der Ruf ereilt … Erlaubt mir, ein paar Minuten lang ein wenig Kohle nachzuschaufeln und dann können wir losfahren! Oh ja!«
»Wo sind die Schienen?«, fragte Molly und lehnte sich gefährlich weit aus dem Fenster des Führerhauses, bevor ich sie zurückziehen konnte.
»So wie ich es verstehe, gibt es keine«, sagte ich. »Ivor reist in der Zeit, nicht im Raum.« Ich sah zu Tony hinüber. »Du kannst die Waggons hier lassen. Wir werden sie nicht brauchen.«
Sein Gesicht wurde lang. »Aber … sie sind sehr bequem! Eigentlich geradezu kuschelig. Ich poliere den Stahl jeden Tag!«
»Trotzdem«, sagte ich fest.
Tony schmollte und ging dann nach hinten, um die Waggons abzuhängen. Ich sah die verschiedenen Messgeräte an, aber sie sagten mir nichts. Und trotzdem konnte ich etwas fühlen. Mir war, als baue sich ein bestimmter Druck auf, als sammle sich eine kontrollierte Macht. In Ivors Führerhaus zu stehen, war, als stünde man im Maul eines großen Monsters, das langsam erwachte. Tony kam ins Führerhaus zurückgesprungen, öffnete die Klappe zum Schlepptender und begann, etwas, das ganz so aussah wie Kohle, in die offene Heizkammer zu schaufeln. Molly und ich sahen ihm eine Weile dabei zu.
»Entschuldige«, sagte Molly. »Aber … wie genau hilft uns das Druckaufbauen in einem Dampfkessel dabei, in der Zeit zu reisen?«
»Oh, das ist keine Kohle, Miss Molly«, sagte Tony und schaufelte noch kräftiger. »Das sind kristallisierte Tachyonen.«
Mollys skeptischer Gesichtsausdruck verstärkte sich. »Aber … Tachyonen sind doch Partikel, die nicht langsamer als Lichtgeschwindigkeit sind, also …«
»Frag nicht«, sagte ich freundlich. »Ich finde es immer besser, nicht zu fragen, wenn man mit so etwas zu tun hat. Die Antworten regen einen nur auf. Allein schon, mir die Probleme vorzustellen, die mit Zeitreisen einhergehen, macht mir Kopfschmerzen. Ich will ganz bestimmt keine Vorlesung über Quantendampfmechanik hören und du bestimmt auch nicht.«
Es dauerte nicht lang, bis das, was man für Dampf halten konnte, sich zu vollem Druck aufgebaut hatte. Tony legte schließlich seine Schaufel weg, schlug die Klappe zum Ofen zu und wischte sich den Schweiß mit einem rot gepunkteten Taschentuch von der Stirn.
»Alles klar, Miss Molly und Herr Edwin. Aber jetzt brauchen wir ein genaues Ziel, Ivor und ich, wenn wir in zukünftige Zeitlinien reisen. Wir brauchen korrekte räumliche und temporale Koordinaten.«
Ich nahm Merlins Spiegel heraus und instruierte ihn, Ivor zu zeigen, wo und wann er Giles Todesjäger finden konnte. Der Spiegel wand sich sofort aus meiner Tasche, dehnte sich gleichzeitig aus und schoss durch die Luft, bis er schließlich über dem anderen Ende des Hangars hing und den ganzen Eingang ausfüllte.
»Ich denke, er will uns zeigen, wo es langgeht«, sagte ich.
»Das Ding jagt mir langsam richtig Angst ein«, sagte Molly. »Nichts sollte all das können, was dieser Handspiegel da kann. Nicht einmal, wenn Merlin Satansbrut ihn gemacht hat.«
»Pscht«, sagte ich. »Er könnte dich hören.« Ich wandte mich zu Tony um. »Fahr mit Ivor auf das Portal zu, das der Spiegel da geöffnet hat. Dann wird der ihm alle Koordinaten geben, die er braucht.«
»Ich weiß nicht«, sagte Tony zweifelnd.
»Tu's einfach«, sagte ich. »Das ist nicht verrückter als alles andere hier.«
»Ein Mann nach meinem Herzen!«, sagte Tony. »Volldampf voraus, Ivor! Warp Sechs und spar nicht mit Tachyonen!«
Der Zeitzug setzte sich in Bewegung und ließ uns für einen Moment kurz taumeln. Ivor tuckerte laut und mit Mühe und blies so etwas wie Dampf aus seinem Schornstein aus. Tony schoss vor und zurück, warf hier und dort einen Hebel um und beobachtete gleichzeitig aufmerksam all die Messgeräte und Anzeigen. Man hatte nicht unbedingt das Gefühl, vorwärts zu fahren, aber der Hangar verschwand langsam hinter uns, je weiter wir in der Zeit vorrückten. Molly und ich hielten uns an den Seiten des Führerhauses fest und sahen über Ivors spitzen Bug, dass wir unaufhaltsam auf Merlins Spiegel zufuhren, der immer noch vor uns in der Luft schwebte und größer und größer zu werden schien, größer als der Hangar eigentlich sein konnte. Es gab kein Anzeichen für eine Oberfläche des Spiegels, keine Reflexion, kein Anzeichen der Zukunft, in die wir wollten, … nur endlose Nacht, unberührt von Mond oder Sternen. Und dann ruckte der Zeitzug nach vorn, Tony jubelte laut vor Begeisterung und wir tauchten in Merlins Spiegel ein, der uns im nächsten Moment verschluckt hatte.
Zuerst war es wie in einem Tunnel. Dunkelheit um uns herum, während eine kleine, altmodische Petroleumlampe das Führerhaus in goldenes Licht tauchte. Das einzige Geräusch war Ivors kraftvolle Maschine, als wir in die Dunkelheit eintauchten. Und dann kamen einer nach dem anderen die Sterne heraus, einzeln oder zu zweit, dann zu Dutzenden, bis wir von großen, wogenden Ozeanen von Licht umgeben waren. Jetzt war es, als führen wir durchs Weltall, aber nicht durch eines, das ein Astronaut gesehen hätte. Statt der bekannten Sternbilder gab es große Meere von Sternen, die in einem Licht strahlten, das beinahe zu rein und schön war, als dass man es ausgehalten hätte. Kometen segelten an Ivor vorbei, in bunten Farben, wie die Süßigkeiten, die wir als Kinder gemocht hatten. Sie segelten in eleganten Bögen vorbei, die zu Ivors gerader und stetiger Fahrt in scharfem Gegensatz standen.
Seltsame Planeten, die zu keinem normalen Sonnensystem gehörten, drifteten vorbei; merkwürdig und unheimlich.
»Wenn das das Weltall ist«, brachte Molly schließlich hervor, »und ich bin fast der Ansicht, dass es das nicht ist, … wie kommt es, dass wir atmen können?«
»Ivor hat eine Menge Talente und viele Geheimnisse«, sagte Tony großspurig. »Sie sind ganz sicher, Miss Molly, solange Sie im Führerhaus bleiben.«
»Aber wo genau sind wir?«, fragte ich.
Tony zuckte mit den Achseln. »Ich habe alle Bücher gelesen, aber ich muss sagen, dass keiner so recht sicher ist, wodurch Ivor genau hindurchreist. Mein Großvater, der Letzte, der Ivor wirklich gefahren hat, sagte, dass es Zeit und Raum sind, wie man sie von der anderen Seite sieht. Was auch immer das heißen mag. Es gibt andere Theorien, die vermuten, dass Ivor durch das Universum unter uns fährt. Oder möglicherweise das darüber. Glaubt das, was euch am sichersten vorkommt, das ist es, was ich meine.«
Ich sah Molly an. »Gespräche wie diese haben die Familie überzeugt, von Zeitreisen lieber die Finger zu lassen.«
»Pah!«, sagte Tony. »Die haben einfach keinen Sinn fürs Abenteuer.«
»Moment«, sagte Molly. »Was ist das da?«
Wir alle sahen in die Richtung ihres ausgestreckten Zeigefingers. Eine große, gelbe Form wischte schnell durch den sternenübersäten Himmel direkt auf uns zu. Als es näher kam, entpuppte es sich als ein riesiger gelber Drache. Beunruhigend groß, hundertmal so groß wie Ivor, sah er aus wie eine grellgelbe Banane, am ganzen langen Körper mit neonpinkfarbenen Fleckzeichnungen übersät. Der Kopf war flach und knochig, mit einer Reihe von glühenden roten Augen über einem klaffenden Maul, das mit spitzen, haiähnlichen Zähnen vollgepackt war. Große, hautähnliche Flügel breiteten sich auf jeder Seite des bulligen Rumpfes aus. Er hatte kurze Greifarme, die am Hals unter dem Maul begannen und mit bösartigen, gebogenen Krallen bewehrt waren. Der Drache schoss in einer langen Ellipse an uns vorbei und aus der Nähe gesehen war allein sein Kopf größer als Ivor.
»Ich warte immer noch auf eine Antwort«, sagte Molly. »Irgendeine. Was zur Hölle ist das für ein Ding?«
»Woher soll ich das wissen?«, erwiderte ich ein wenig unwirsch. »Ich habe nicht daran gedacht, das Buch zur Beobachtung von Raumdrachen mitzunehmen. Er lebt offenbar hier und es sieht nicht gerade aus, als freue er sich über Besuch. Lasst uns fest daran glauben, dass er erst kürzlich gefressen hat.«