»Also, das nenn' ich ja mal einen Kämpfer«, sagte der Seneschall. Ich hatte vorher noch nie erlebt, dass er beeindruckt war. »Das hast du gut gemacht, Edwin. Das ist genau, was wir brauchen.«
»Danke, dass du sie nicht abgemurkst hast«, sagte ich zu Giles. »Sie gehören zur Familie.«
Er nickte kurz. »Ich weiß. Ich habe die Reifen um ihren Hals gesehen. Ich töte nur, wenn es nötig ist. Und diese traurigen Exemplare da waren es definitiv nicht wert.
»Das ist teilweise ein Grund, warum du hier bist«, sagte ich. »Ich brauche dich, um meine Familie zu trainieren und sie in Krieger zu verwandeln. Und um einen Krieg zu führen, der unmöglich zu gewinnen ist und gegen den mächtigsten Feind geht, den du jemals gesehen hast.«
»Ich habe schon Armeen aus schlechterem Material gemacht«, sagte Giles. »Ich kann aus dem unbeschriebensten Blatt noch einen Kämpfer machen. Ich bin ein Todesjäger. Wir gewinnen Kriege. Dafür sind wir gemacht. Wie viel Zeit habe ich?«
»Gute Frage«, erwiderte ich. Ich sah den Seneschall an. »Klartext, Cyril. Ich muss genau wissen, was in meiner Abwesenheit passiert ist. Fürs Erste nur die Höhepunkte, den Rest schnapp ich dann schon im Laufe der Dinge auf.«
Der Seneschall nickte langsam. »Willkommen zurück, Edwin. Der Familie fehlte deine … Entschlossenheit. Du musst verstehen, dass Harry die Unterstützung der Matriarchin hatte. Ich hatte keine Wahl.«
»Sag mir einfach, was passiert ist«, sagte ich. »Wir können die Schuld später verteilen. Du kannst damit anfangen, wie alles so schrecklich schiefgehen konnte. Als ich hier wegging, waren wir am Gewinnen. Irgendwie.«
»Das Manifeste Schicksal hatte ein paar Leute auf der Nazca-Ebene«, sagte der Seneschall. »Lange bevor du mit deinem Team da ankamst. Truman wollte seine neuen Verbündeten im Auge behalten. Aber jeder, den er dorthin schickte, endete entweder als Besessener oder Infizierter der Abscheulichen. Sie kamen zu Truman zurück, um das Gift, dass sie infiziert hatte, zu verbreiten. Sie haben seine Organisation infiltriert und sind in seine neue Basis eingedrungen. Dort haben Sie weitere angesteckt. Sie sind seine engsten Tutoren geworden und haben ihm Gift in die Ohren geträufelt. Sie haben Truman überzeugt, neue Nester zu errichten und das Bauen neuer Türme zu unterstützen.
Von den Ressourcen des Manifesten Schicksals gespeist und unter dem Schutz von Truman selbst haben die Abscheulichen ihren Einfluss über die ganze Welt ausgebreitet, haben ihre infizierten Agenten in Organisationen und Regierungen in aller Welt eingeschleust. Angeblich haben sie für das Manifeste Schicksal gesprochen und es als eine Alternative zur Drood-Familie angepriesen. Natürlich sind sie schnell zugelassen worden, haben sich schnell in führende Positionen hinaufgearbeitet, sofort überall Chaos und Unentschlossenheit verbreitet und die Menschheit von innen gespalten. Es gibt jetzt überall Nester, in jedem Land. Oft errichten sie sie im Inneren von Ghoulstädten, um zu verstecken, was sie bauen. Sobald sie eine bestimmte Gesamtzahl erreicht haben, die aber nur sie kennen, wird die große Beschwörung beginnen und die Eindringlinge werden durchkommen.«
»Moment mal«, sagte ich. »Sie haben nicht Truman selbst infiziert? Warum nicht? Dann hätten sie doch seine ganze Organisation kontrollieren können.«
»Sieht so aus, als könnten sie das nicht«, meinte der Seneschall. »Nach all den Operationen, die er seinem Gehirn zugemutet hat, scheint es, als sei er immun gegen ihren Keim.«
»Vielleicht können wir das benutzen. Wenn wir ihn erreichen könnten, sodass er die Wahrheit erkennt - vielleicht könnten wir von ihm sogar lernen, wie man jeden anderen immun macht.«
»Vielleicht«, sagte der Seneschall freundlich. »Wenn ich dann fortfahren dürfte …«
»Oh ja, sprich einfach weiter, Cyril. Lass dich nicht von mir unterbrechen.«
»Wir wissen, dass die, die die Abscheulichen infizieren, selbst zu Abscheulichen werden«, sagte der Seneschall. »Sie verhalten sich wie Insekten; ein Bienenstock, in dem jeder weiß, was alle wissen. Die Nester kommunizieren untereinander, von einer Ghoulstadt zur anderen, in einer Art, die wir weder abfangen geschweige denn verstehen können. Wir erobern und zerstören jedes Nest, das wir lokalisieren können und brennen ihre Städte ab, aber sie sind besser im Verstecken als wir im Finden. Wir gewinnen die Schlachten, aber verlieren den Krieg.«
»Tut mir leid, euch zu unterbrechen«, sagte Seltsam. »Aber der Lageraum hat gerade eine wichtige Meldung empfangen. Callan ist in der Leitung. Er sagt, er hat endlich Trumans neue Operationsbasis lokalisiert. Soll ich ihn durchstellen?«
»Verdammt nochmal, ja!«, sagte ich. »Das ist die erste gute Nachricht, die ich kriege - Callan! Hier ist Edwin Drood, ich bin wieder da. Was hast du gefunden?«
»Na das wird ja auch verflucht noch mal Zeit«, sagte Callan, und seine unverwechselbare Stimme drang aus Seltsams dunkelrotem Leuchten. »Da hattest du dir ja mal 'ne richtig miese Zeit für einen Urlaub ausgesucht. Hast du mir wenigstens ein Geschenk mitgebracht? Niemand bringt mir je ein Geschenk mit. Schau mal, ich würde gern mit dir quatschen, aber ich weiß nicht, wie lange ich den Kontakt aufrechterhalten kann. Trumans Basis strotzt nur so von Sicherheitskräften und einige davon sind definitiv keine Menschen. Du würdest nicht glauben, was für Sicherheitsmaßnahmen er hier getroffen hat.«
»Verstanden«, sagte ich. »Wo ist er?«
»Das wirst du nicht glauben. Ich hab's im Blick und kann's nicht glauben. Um genau zu sein, befinde ich mich gerade außerhalb von Stonehenge und versuche fieberhaft, etwas zu wahren, was man einen sicheren Abstand zum äußeren Steinring nennen kann. Truman hat seine neue Basis in den Bunkern tief unter den Megalithen aufgeschlagen. Wieder einmal hat er sich eine uralte, eingemottete Regierungseinrichtung zunutze gemacht; aus dem Zweiten Weltkrieg, glaube ich. Die Bunker waren als letzte Zuflucht gedacht, in die die Regierung fliehen sollte, falls die Nazis eingefallen wären und sie aus London vertrieben hätten.«
»Moment«, sagte ich. »Ich dachte, solange die Seele Albions sicher in Stonehenge sei, könne keiner England erobern.«
»Vielleicht hat die Regierung nicht so ganz darauf vertraut«, meinte Callan. »Bist du bereit, die wirklich schlechten Nachrichten zu hören? Truman hat die Seele. Er hat sie unter dem Hauptopferstein ausgegraben und sie in seinem Privatbüro verschlossen.«
»Callan«, sagte ich vorsichtig. »Wie sicher ist diese Information?«
»Ich bin selbst hingegangen und habe nachgesehen, und ich bin hier, um dir jetzt zu sagen, dass ich das nicht wieder tun werde. Hinter all die Sicherheitslinien zu kommen und die schwer bewaffneten Wachen zu überwinden hat mich zehn Jahre meines Lebens gekostet und hat mich von dem leichten, aber doch vorhandenen Anflug von Verstopfung geheilt, den ich hatte. Wenn ich noch stärker gezittert hätte, dann hättest du Cocktails in mir mixen können. Warte nur ab, ob ich mich wirklich jemals wieder als freiwilliger Frontagent melde.«
»Wie konnte Truman nur an die Seele kommen?«, fragte ich. »Die Familie hat seit Jahrhunderten immer neue Sicherheitsvorkehrungen dafür getroffen.«
»Ich weiß«, sagte Callan. »Es gibt nur eine Antwort, und die ist echt nicht schön. Jemand in der Familie muss ihm die notwendigen Worte gegeben haben, die die Zauber außer Kraft gesetzt haben. Und dieser Jemand muss ziemlich weit oben stehen. Ein Verräter in der Familie!«
»Unmöglich!«, sagte der Seneschall. »Das ist undenkbar!«
»Nicht nach dem Null-Toleranz-Debakel«, sagte ich. »Sie waren bereit, die Familie zu zerstören, nur um ihr eigenes Image aufrechtzuerhalten.«