»Party? Welche Party?«
»Du bist sauer, du bist immer noch stinkig deshalb.«
»Du bist einfach abgehauen und hast mich allein stehen lassen!«, meinte Jeffrey hitzig. »Du weißt doch, dass ich da keinen kannte!«
»Ich hab doch gesagt, dass es mir leid tut, oder? Was soll ich sonst sagen?«
»Lass mich den Leuten drohen. Ich darf ihnen nie drohen.«
»Das liegt daran, dass du das nicht richtig machst«, sagte Earnest.
»Ich könnte es aber! Ein bisschen Übung und ich wäre fantastisch darin!«
»Okay, okay! In Ordnung. Also, du drohst demnächst. Ich stehe hier und sehe zu. Vielleicht lerne ich ja noch was dabei.«
»Entschuldigung«, sagte ich.
Jeffrey drehte sich um und sah seinen Partner an. »Du wirst Bemerkungen machen, oder? Laute und sarkastische Bemerkungen.«
»Nein, werde ich nicht!«
»Doch, wirst du! Du kritisierst mich immer. Du lässt mich überhaupt keinen Spaß haben!«
»Ich überlass dir doch die Drohungen, oder? Hör zu, du darfst ihn sogar als Erster schlagen. Wie wär das?«
»Wirklich?«, fragte Jeffrey. »Ich darf ihn als Erster hauen?«
»Natürlich darfst du! Na los, viel Spaß!«
»Danke, Earnest! Das bedeutet mir wirklich viel! Du bist echt ein guter Freund …«
»Oh, Mann, mach schon, du großes Weichei. Tritt ihm den Schädel ein.«
Ich entschied, dass ich davon jetzt so viel gehört hatte, wie ich ertragen konnte. Ich nahm Merlins Spiegel aus der Tasche, schüttelte ihn zu voller Größe aus, aktivierte die Transportfunktion und klappte dann den Spiegel erst über den einen, dann den anderen Türsteher und schickte den einen so in die Arktis, den anderen in die Antarktis. Dann ließ ich den Spiegel wieder schrumpfen und lächelte in den leeren Korridor hinein. »Wenn ihr in die Vodyanoi-Brüder lauft, dann bestellt ihnen einen schönen Gruß von mir«, sagte ich.
Ich klopfte höflich an die Tür der Matriarchin und drückte die Klinke, aber es war abgeschlossen. Ich wartete eine Weile, doch niemand öffnete. Ich klopfte wieder, diesmal mit etwas mehr Nachdruck. Jetzt hörte ich auf einmal die Stimme der Matriarchin von der anderen Seite.
»Ja bitte? Wer ist da?«
»Ich bin's, Eddie, Großmutter. Ich bin zurück. Kann ich hereinkommen und mit dir reden?«
»Die Tür ist abgeschlossen. Und ich habe keinen Schlüssel.«
Ich hob eine Augenbraue. »Okay, Großmutter. Ich krieg die Tür schon auf. Du solltest zurücktreten.«
»Wag es nur nicht, meine Tür einzutreten, Edwin Drood! Sie ist eine wertvolle Antiquität!«
Ich seufzte leise in mich hinein. »In Ordnung, Großmutter. Gib mir einen Augenblick.«
Ich kniete nieder und sah mir das Schloss an. Altmodisch, plump und überhaupt kein Problem. Ich rüstete meine rechte Hand auf, konzentrierte mich und eine dünne Verlängerung der seltsamen Materie verschwand im Schloss. Sie passte sich genau den Gegebenheiten an und wurde zu einem Schlüssel. Die Aufgaben und Fähigkeiten eines Droodschen Frontagenten sind zahlreich und vielfältig. Ich schloss die Tür auf, rüstete ab, schubste die Tür auf und ging ins Wartezimmer der Matriarchin.
Sie stand genau in der Mitte des Wartezimmers, ganz allein. Ohne die übliche Anzahl von wartenden Familienmitgliedern, Freunden und Speichelleckern schien der Raum sehr groß und leer. Die Matriarchin selbst schien irgendwie kleiner und schmächtiger zu sein. Sie tat ihr Bestes, um aufrecht und stolz dazustehen, aber das erste Mal, seit ich sie kannte, sah ich, dass es sie anstrengte. Sie war formell gekleidet, aber ihre lange graue Mähne hing ungepflegt herab, anstatt dass sie sie hochgesteckt hatte. Sie nickte steif zu mir herüber, eine bleistiftdünne alte Lady, die nicht mehr viel außer ihrer Würde besaß.
»Edwin, es ist schön, dich zu sehen.«
»Dich auch, Großmutter. Darf ich fragen: Wie kommt es, dass du in deinen eigenen Räumen eingesperrt bist?«
»Ich wurde gefangen gehalten!«, sagte sie wütend. Sie spie die Worte geradezu aus. »Harry hat mich für Monate unter Bewachung gehalten und mir verboten, mit dem Rest der Familie zu kommunizieren!«
»Warum sollte er das tun?«
»Weil ich herausgefunden habe, was er ist.« Martha sah mich misstrauisch an. »Wusstest du es, Eddie? Du hast immer schon Dinge gewusst, von denen du keine Ahnung hättest haben sollen. Nein, natürlich nicht. So etwas hättest du mir gesagt. Komm mit in meine privaten Räume, Edwin. Ich glaube, es ist nicht sicher, hier zu reden. Man weiß nie, wer einem dieser Tage zuhört.«
Sie führte mich in ihr Schlafzimmer. Die Vorhänge waren geschlossen, was den Raum auf eine gemütliche Weise schummrig wirken ließ. Alistair lag immer noch flach auf dem Rücken in seinem Bett, und war immer noch wie eine Mumie in Bandagen gewickelt. Eine einzige Decke lag auf ihm, die sich kaum unter seinen Atemzügen hob. Er reagierte nicht, als die Matriarchin und ich hereinkamen und die Tür hinter uns schlossen. Martha sah ihn ausdruckslos an.
»Keine Sorge, er schläft. Er weiß nicht einmal, dass wir hier sind. Er schläft jetzt die meiste Zeit. Es wird immer schwieriger, ihn zu seinen Mahlzeiten zu wecken. Er sollte eigentlich auf der Krankenstation liegen, aber ich hasse den Gedanken daran, ihn dort allein zu lassen mit all den Schläuchen. Jeder andere wartet nur darauf, dass er stirbt, aber sie kennen meinen Alistair nicht. Du wirst schon sehen, eines Tages wacht er wieder auf und ist wieder er selbst. Wie ein Schmetterling, der aus seinem Kokon schlüpft. Setz dich, Edwin.«
Wir setzten uns in die bequemen Sessel vor dem leeren Kamin, einander gegenüber. Die Matriarchin betrachtete mich einen Moment intensiv.
»Du hast dich verändert, Edwin. Du bist älter geworden. Aber auf der anderen Seite hast du ja auch viel durchgemacht, nicht wahr? Du bist erwachsen geworden. Ich wusste, dass das eines Tages passieren würde. Es steht dir gut. - Aber so viel ist passiert, während du nicht hier warst. Eineinhalb Jahre, Edwin! Wo warst du die ganze Zeit?«
»Ich bin durch die Zeit gereist, Großmutter. Ich bin in die Zukunft gereist und habe einen mächtigen Krieger gefunden, um der Familie zu helfen. Es war geplant, nur ein paar Sekunden anzukommen, nachdem wir abreisten, aber …«
Die Matriarchin schnaubte laut. »Der Zeitzug. Ich hätte es wissen müssen. Es gibt gute Gründe, warum wir dieses dumme Ding nicht benutzen. Ich hätte dir sagen können, dass man sich nicht darauf verlassen kann, aber du fragst ja nie jemanden, nicht wahr? Du warst einfach sicher, dass du es besser weißt. Ich hätte schon vor Jahren anordnen sollen, dass er auseinandergenommen wird, aber ich hatte das dringende Gefühl, dass die Familie ihn eines Tages brauchen würde.«
»Was ist los mit dir, Großmutter?«, fragte ich geduldig.
»Ich wurde praktisch seit dem Moment, in dem du verschwandest, in diesen Räumen gefangen gehalten. Harry kam, um mich zu sehen. Er sagte es sei notwendig, dass er die Leitung der Familie übernehme, solange du fort seiest und ich war bereit, ihm dafür meinen Segen zu geben. Du musst das verstehen, Edwin; er sagte das Richtige, versprach mir das Richtige. Er ließ mich glauben, dass er die traditionellen Werte der Familie verkörpere. Ganz anders als du. Aber obwohl er all die Dinge sagte, die ich hören wollte, habe ich ihm nicht vollständig vertraut. Ich habe diese Familie zu lange geführt, um alles für bare Münze zu nehmen, was man mir erzählt.
Also hatte ich ein stilles und sehr diskretes Gespräch mit dem Seneschall. Nur um sicherzugehen. Der Seneschall wollte mir nicht sagen, was er wusste, aber ich zwang ihn dazu. Und so fand ich die Wahrheit über Harry heraus. Dass er ein Abtrünniger ist und eine Abscheulichkeit! Geht mit seinem eigenen, höllengezeugten Halbbruder ins Bett! Und er wagte es, mich anzusehen und mir zu sagen, er glaube an die alten Familienwerte! Ich zitierte ihn zu mir und konfrontierte ihn mit dem, was ich wusste - und er versuchte nicht einmal, sich zu verteidigen. Er seufzte nur und zuckte mit den Achseln und sagte, es mache keinen Unterschied. Er habe die Familie unter Kontrolle und brauche mich nicht mehr. Er sperrte mich in meinen eigenen Räumen ein und stellte seine Wachen vor meine Tür. Sie sorgten für meine Bedürfnisse und achteten darauf, dass es Alistair und mir an nichts mangelte - aber nichts, was ich sagte oder versprach oder drohte, konnte ihre Meinung ändern. Sie sind Harrys Kreaturen. Ich habe seit über einem Jahr mit keiner lebenden Seele gesprochen.