Ich nickte Molly zu und sie trat von der Tür weg, um ihn gehen zu lassen. Sie wartete, bis sich die Tür fest hinter ihm geschlossen hatte und sah mich an.
»Bist du verrückt? Du kannst ihm nicht vertrauen! Er ist halber Elb.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Das ist ja auch der Grund, warum ich ihn in der Nähe haben will. Damit ich ihn im Auge behalten kann.«
»Ihr Menschen, mit euren Subtilitäten«, sagte Seltsam. »Ihr seid viel beängstigender als ich jemals sein könnte.«
Als Nächstes gingen Molly und ich zu den Isolierstationen in der Krankenstation im Nordflügel. Keiner von uns wollte gehen, aber wir mussten sehen, wie sich die infizierten Abscheulichen machten. Achtundzwanzig waren es jetzt, einschließlich Sebastian. Neunundzwanzig, einschließlich Molly. Ich wollte eigentlich allein gehen, aber Molly bestand darauf, mich zu begleiten und ich brachte es nicht übers Herz, Nein zu sagen. Nicht, wo sie so hart kämpfte, ihre Menschlichkeit zu bewahren.
Die Familie hat schon immer ihre eigenen Ärzte und Schwestern im eigenen Krankenhaus ausgebildet. Einerseits wollen wir nicht, dass die Welt erfährt, dass wir verletzlich sind, selbst mit unseren wunderbaren Rüstungen, und andererseits, weil wir die Einzigen sind, die für die Folgen der Probleme ausgestattet sind, die Droods draußen im Einsatz zu bewältigen haben. Unsere Ärzte müssen in der Lage sein, alle Arten von physischen, spirituellen und unnatürlichen Unfällen diagnostizieren und behandeln zu können, angefangen von Werwolfbissen über Langstreckenflüche bis hin zum Post-Besessenen-Stress-Syndrom.
Die Ausstattung unserer Krankenstation ist immer voll auf der Höhe der Zeit und geht manchmal sogar noch ein bisschen darüber hinaus, aber der Ort ist eigentlich immer derselbe, traditionell blass, pastellfarbene Wände, schnoddrige Matronen und ein sanfter, aber alles durchdringender Geruch nach gekochtem Kohl. Molly und ich gingen schnell durch die Gänge und nickten kurz dem Ärztestab zu. Ein paar sahen so aus, als hätten sie Einwände gegen unsere Anwesenheit, aber wir waren schon wieder weg, bevor sie etwaige Einwände in Worte fassen konnten. Die meisten Krankenbetten waren besetzt, wesentlich mehr als eigentlich normal war. Einige Familienangehörigen starben ganz offenbar, trotz allem, was unsere Ärzte für sie tun konnten. Ein kleiner, kalter Teil von mir war froh zu sehen, dass Harry ein genauso schlechter Anführer war wie ich, aber ich verdrängte den Gedanken.
Die Isolierstationen waren in einem eigenen Anbau untergebracht. Im Grunde bestanden sie aus einer Reihe von schwer bewaffneten Wohntanks mit eigenem Lüftungssystem und Wänden aus Stahlglas, die entworfen wurden, um auch die problematischeren Patienten unter Kontrolle halten zu können. So wie Frontagenten, die eine Krankheit aus einer anderen Dimension mitgebracht haben oder jene, die ernsthaft besessen sind. Der einzige Eingang zu jedem Tank besteht aus einer streng bewachten Luftschleuse, deren Kombinationscode vorsichtshalber täglich gewechselt wird. Es gibt nur sechs Tanks, wir haben nie mehr gebraucht. Jetzt waren sie von einer Wand zur anderen mit den kürzlich eingefangenen Drohnen vollgestopft.
Molly und ich gingen langsam auf die Isoliertanks zu und nickten den schwer bewaffneten Wachen vor jeder Luftschleuse zu. Einige der Drohnen kamen heran, um mit den Fäusten auf das schwere Stahlglas einzuschlagen. Ihre Stimmen waren durch die eingebauten Gegensprechanlagen zu hören. Sie sagten, sie seien unschuldig und nicht infiziert und dass alles ein Irrtum sei. Sie riefen mich beim Namen und baten mich um Hilfe. Andere schrien Drohungen und Flüche. Aber die meisten standen oder saßen ruhig mit ausdruckslosen Gesichtern da und warteten darauf, was als Nächstes passierte. Sie warteten darauf, dass wir nicht aufpassten, nur für einen Moment.
Im letzten Tank kam Sebastian Drood nach vorn und sah uns spöttisch an, als wir vor der Luftschleuse stehen blieben. Als der Gefährlichste hatte er eine Zelle für sich. Er sah jetzt völlig normal aus, auch wenn da etwas an seinem Gesicht nicht stimmte, als hätte er vergessen, wie man menschlich dreinschaute. Oder vielleicht glaubte er, das sei nicht mehr notwendig. Er nickte mir höflich zu und lächelte Molly an.
»Liebste Molly«, meinte er. »Wie fühlt es sich an, eine von uns zu sein?«
»Ich werde nie eine von euch sein«, sagte sie entschieden. »Egal, was passiert.«
»Ah«, meinte er und zuckte lässig mit den Achseln. »Das sagst du jetzt. Aber so geht es uns am Anfang allen. Wir verraten uns nicht, obwohl wir wissen, das wir das tun sollten, weil wir anders sind. Wir sind stark, wir können damit fertig werden. Wir geben nie auf. Aber nach einer Weile willst du es gar nicht mehr bekämpfen. Du begrüßt es sogar. Weil das Menschsein so ein kleines Ding ist, das man hinter sich lassen kann.« Er wandte sich plötzlich mir zu. »Du hast es niemandem gesagt, Eddie, nicht wahr? Darauf habe ich gezählt. Und zu dem Zeitpunkt, an dem du erkennen wirst, wie hoffnungslos es ist, wird es zu spät sein. Bist du deshalb hier, Eddie? Um mich zu töten, damit ich niemandem sagen kann, was ich der lieben Molly angetan habe? Werde ich auf der Flucht getötet?«
»Sag, was du willst, keiner wird dir glauben«, sagte ich. »Eine Drohne würde alles sagen, jede Lüge erzählen, um die Familie zu untergraben.«
»Warum bist du dann hier?«, fragte Sebastian. »Hoffst du vielleicht auf eine Heilung? Verschwende nicht deine und meine Zeit. Es gibt keine. Wenn einmal einer zu uns gehört, dann ist er für immer einer von uns.«
»Du könntest dir selbst einen Gefallen tun«, sagte ich. »Dir eine bessere Behandlung verdienen, wenn du mir ein paar Fragen beantwortest.«
»Und verschwende deine Zeit nicht mit Lügen«, warf Molly ein. »Ich würde es wissen.«
»Ja«, sagte Sebastian. »Das würdest du. Also gut, fragt.«
»Wer war der ursprüngliche Verräter?«, fragte ich. »Wer hat die Familie überzeugt, die Abscheulichen wieder herzuholen, damals 1941?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Sebastian fröhlich und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen das Stahlglas. »Und falls ihr glaubt, ihr könntet mich mit Wahrheitszaubern oder einem elektrischen Stachelstock zum Viehantreiben oder was auch immer sonst bei modernen Verhören ›in‹ ist, zum Reden bringen - ja, ich weiß, wir haben einen Verstand, aber wir sind strikt in Abteilungen geordnet. Jede Drohne weiß nur, was sie wissen muss und wann sie es wissen muss. Grundlegende Sicherheit. Ich hätte vielleicht erfahren können, wer der Verräter war, aber im Moment bin ich von diesem Bereich des Wissens abgeschnitten. Oder - um genau zu sein, von jedem Wissensbereich, der euch helfen könnte. Das gilt auch für alle anderen Drohnen hier.«
»Es gibt Wege, wie man die Wahrheit ans Licht holen kann«, sagte ich. »Alte Wege. Natürlich sind sie sehr zerstörerisch, sowohl körperlich als auch mental.«
»Du liebe Zeit«, sagte Sebastian und grinste breit. »Drohungen mit Tod und Folter einem hilflosen Gefangenen gegenüber? Sind die Droods so tief gesunken?«
»Die Sicherheit der Welt geht vor«, erwiderte ich.
»Oh, ja ja, das tut sie. Aber kannst du die Welt retten, indem du dich selbst verdammst? Könnt ihr die Monster bekämpfen, indem ihr selbst zu Monstern werdet?« Sebastians Stimme klang unverhohlen höhnisch, auch wenn sein Gesicht vollkommen ausdruckslos war. Er schien sich nicht mehr die Mühe zu geben, menschlich wirken zu wollen. »Die Hungrigen Götter kommen, Eddie, und es gibt keine verdammte Möglichkeit, uns aufzuhalten. Keiner hat uns je aufgehalten …. - Hallo, Freddie.«
Molly und ich wirbelten herum, als Freddie unsicher auf uns zukam. Er nickte Molly und mir kurz zu, aber seine Aufmerksamkeit war auf Sebastian gerichtet. Ich erkannte Freddie kaum wieder. All seine typische Extravaganz und sein Glamour waren durch die Ereignisse zerstört worden. Er sah kleiner aus, nach weniger, und er starrte Sebastian mit angewiderter Faszination an.