»Hallo, Seb«, sagte er schließlich. »Bist du noch Seb? Erinnerst du dich an mich? Erinnerst du dich daran, mein Freund zu sein?«
»Natürlich erinnere ich mich an dich, Freddie. Ich habe mich nicht geändert, nicht wirklich. Ich bin nur ehrlicher zu mir über das, was ich bin. Ich erinnere mich an unsere Freundschaft, an all unsere guten Zeiten; sie interessieren mich nur nicht mehr. Das haben sie eigentlich nie getan. Das war alles Teil der Aufgabe. Du warst nur ein Mittel zum Zweck, fürchte ich, ein einfacher Weg, um ins Herrenhaus zu kommen. Ich wusste, es würde einfacher sein, wenn ich dich dabei hätte, um für mich zu sprechen. Eddie hatte vielleicht die Vogelfreien wieder heimgeholt, aber er hatte guten Grund, mir nicht zu trauen.«
»Warst du damals schon infiziert?«, fragte ich.
»Das werde ich dir nicht sagen. Und jetzt sei still, ich rede mit Freddie. Ich konnte nicht glauben, dass du gleich wieder abhaust, Freddie, gleich, nachdem ich dich hierhergebracht habe. Ich brauchte dich und deine extreme Persönlichkeit, um die Leute von mir abzulenken. Deshalb habe ich so einen Aufstand gemacht, um dich wieder zurückzuholen und dich zu einem Berater Harrys zu machen. Du hattest in deinem ganzen Leben nie einen nützlicheren Gedanken als diesen in deinem hübschen Kopf. Aber ich habe dich verführt um sicherzugehen, dass du diesmal bleibst. Du bist derart schillernd, dass mich nie jemand ansah, wenn du in der Nähe warst.«
»Hast du jemals etwas für mich empfunden?«, fragte Freddie beinahe flüsternd.
»Ach, ich weiß nicht«, sagte Sebastian. »Vielleicht. Manchmal. Ab und zu … Ich bin mal mehr, mal weniger menschlich. Aber es macht keinen Unterschied. Das ist jetzt alles vorbei. In der Welt, die kommt, werden menschliche Gefühle keinen Platz mehr haben. Ihr werdet uns lieben, weil wir euch dazu zwingen werden, um den Übergang zu erleichtern. Aber wir werden uns nichts daraus machen. Wir sind die Hungrigen Götter, die Vielwinkligen. Und ihr seid nur Nahrung.«
Freddie wandte sich ab, als hätte Sebastian ihn geschlagen und ging dann langsam wieder weg. Er blickte nicht zurück.
»Das war grausam«, sagte ich zu Sebastian.
»Man muss grausam sein, um freundlich sein zu können«, sagte Sebastian kurz. »Und jetzt geht. Ich habe euch nichts mehr zu sagen. Wenn ihr noch mehr darüber wissen wollt, wie es ist, eine Drohne zu sein, dann fragt Molly. Natürlich werdet ihr kaum sicher sein können, dass sie die Wahrheit sagt - je länger es dauert.«
Er lachte uns aus. Ich nahm Molly am Arm, zog sie von der Kabine weg und wir gingen durch die Isolierstation fort. Alle Drohnen kamen diesmal nach vorn und starrten uns durch das Stahlglas eindringlich an. Ihre Mienen waren jetzt alle gleich und sie sahen Molly an, nicht mich. Sie blickte starr geradeaus, gedankenverloren und ich denke, sie bemerkte das veränderte Verhalten gar nicht. Ich hoffte es jedenfalls.
»Ich wusste gar nicht, dass Sebastian und Freddie schwul sind«, sagte sie endlich.
»Ich denke nicht, dass Freddie je so wählerisch war«, erwiderte ich, froh über ein anderes Thema reden zu können. »Er würde sein Ding auch in Schlamm stecken, wenn der sich nur genügend bewegte. Und Sebastian würde wahrscheinlich tun, was er für nötig hält. Freddie war schon immer ein notorischer Romantiker und hat es nie ausgehalten, keine Beziehung zu haben. Egal mit wem. Sebastian hat das nur benutzt, damit er Freddie als Tarnung verwenden konnte. Armer Idiot.«
»Sebastian weiß von meinem Zustand«, sagte Molly. »Früher oder später wird er es jemandem sagen. Wenn er glaubt, es ist für ihn von Vorteil. Und früher oder später wird jemand darauf hören und es glauben. Das weißt du.«
»Bis dahin dauert es noch etwas«, sagte ich. »Und wir haben nur drei, vier Tage, bis die Eindringlinge kommen. Die Familie wird zu beschäftigt sein, um sich um Sebastians Tiraden zu kümmern.«
Wir hielten inne, als eine der bewaffneten Wachen auf uns zukam. Molly spannte sich und griff nach meinem Arm und ich tat mein Bestes, um unbesorgt und wie immer auszusehen.
»Wir haben eine Meldung von dem Mann, der Sebastian bewacht«, sagte die Wache. »Anscheinend hat er euch doch noch etwas zu sagen. Etwas Wichtiges. Aber er will es nur euch beiden sagen.«
»Vielleicht ist das nur ein Trick«, sagte Molly. »Er will uns mit falschen Informationen in die Irre führen.«
Ich konnte mir denken, wie gerne sie aus der Isolierstation herauswollte, aber ich konnte nicht einfach gehen. Sebastian wusste etwas; es gab immer die Chance, dass er mehr verriet, als er eigentlich wollte, wenn man ihn nur reden ließ. Also gingen wir zu seiner Zelle zurück. Molly ging steif neben mir her. Als wir ankamen, lächelte er uns süßlich zu und lehnte lässig an der schweren Stahlglaswand.
»Ich bin schon vor langer Zeit infiziert worden«, sagte er, diesmal ohne sich mit Höflichkeiten aufzuhalten. »Ihr habt keine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn der Wechsel wirklich anfängt, sich auszuwirken. Es ist, als wäre man Teil von etwas Größerem, etwas wesentlich Wichtigerem und Bedeutenderem. Ich fühlte, dass auf einmal alles einen realen Sinn, ein Ziel hat, das erste Mal in meinem Leben. Menschlich zu sein ist so begrenzt. Warum sollte ich bedauern, das hinter mir zu lassen, wenn ich so viel mehr sein kann? Wenn die Hungrigen Götter durchkommen, werde ich ein Teil von ihnen sein und über eure Vernichtung jubeln.«
»Aber du verlierst dich selbst«, sagte ich. »Du gibst alles auf, was du aus dir selbst gemacht hast. Das hat dir doch immer so viel bedeutet, Sebastian.«
»Ich wusste nie, wie klein ich eigentlich bin, bis ich von den Göttern berührt wurde«, antwortete er. »Warum soll ich eine Raupe bleiben, wenn ich ein Schmetterling sein kann?«
»Schmetterlinge töten normalerweise niemanden sonst in der Wiese«, wandte Molly ein.
Sebastian lächelte ihr zu. »Sie würden, wenn sie könnten. Und du wirst das auch tun, Molly.«
»Du sagtest, du hast uns noch etwas Wichtiges mitzuteilen«, unterbrach ich ihn. »Raus damit oder wir sind weg.«
»Ach ja. Du warst sehr clever, Eddie, dass du die Drohnen bei Nazca entdeckt und eingekesselt hast. Aber von jetzt an werdet ihr jedes Mal, wenn ihr uns nahe kommt, mehr Leute verlieren. Egal, wie viele Schlachten ihr gewinnt, wir werden immer mehr von euch nehmen, bis niemand mehr da ist. Ihr werdet nicht wagen, uns zu bekämpfen, weil es euch zu unseren Ebenbildern macht.«
Ich lächelte zurück. »Naja, das musst du ja sagen, nicht wahr?«
Ich ging mit Molly in unserem Raum zurück. Wir brauchten beide eine Auszeit. Zeit zum Nachdenken. Ich streckte mich auf dem Bett aus, aber anstatt sich neben mich zu legen, stand Molly am Fenster und sah auf den Park hinaus. Die Stille im Zimmer schien immer intensiver und eindringlicher zu werden, je länger sie dauerte, aber keiner von uns wusste, wie man sie brechen könnte. Ich hatte gesagt, dass ich ihr helfen, sie retten würde, aber ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte gesagt, dass ich sie sogar vor meiner eigenen Familie beschützen würde, aber wir wussten beide, dass das Schicksal der Menschheit Vorrang haben musste. Wir wussten beide eine Menge, aber keiner von uns wollte der Erste sein, der diese Dinge aussprach.
»Wie fühlst du dich?«, fragte ich schließlich, nur um etwas zu sagen, das diese schreckliche Stille durchbrach.
»Ich kann die Änderungen fühlen«, sagte sie und sah weiterhin aus dem Fenster. »Körperliche Änderungen. Mein Körper fühlt sich anders an. Unsicher. Und ich habe seltsame Gedanken im Kopf, die aus dem Nichts zu kommen scheinen. Meine Magie hält diese Dinge unter Kontrolle. Noch. Ich kenne so viele Zaubersprüche, so viele verbotene Geheimnisse und Magien, aber ich hätte nie gedacht, dass ich einmal eine dieser Waffen gegen mich selbst gebrauchen müsste.«
»Es muss jemanden geben, der dir helfen kann«, sagte ich. »All diese Orte, an denen du warst, all deine Kontakte …«
»Der Preis, den sie verlangen würden, wäre schlimmer als das Leiden«, meinte sie.