»Dann eben jemand in der Familie«, meinte ich. »Wir müssen die Änderungen nur bis nach dem Krieg stoppen oder zumindest verlangsamen. Bis wir wirklich daran arbeiten können.«
»Wen könnten wir fragen? Wem könnten wir ein solches Geheimnis anvertrauen?«
»Dem Waffenmeister. Onkel Jack würde das verstehen. Wir mussten seinen Bruder James töten und er hat es verstanden.«
»Das war, um die Familie zu retten«, entgegnete Molly. »Und ich werde zu einer wirklichen und realen Gefahr für die Familie. Wen gibt es noch?«
»Ich weiß es nicht! Der Blaue Elf? Er schuldet mir was. Vielleicht könnte er nach einer Heilung fischen. Er hat eine für sich selbst gefunden.«
»Wir können ihm nicht vertrauen. Alle Elben haben eigene Pläne.«
»Naja … vielleicht könnte Giles dich mitnehmen, zurück in seine Zukunft«, sagte ich verzweifelt. »Wer weiß schon, welche Arten von Heilungen oder medizinische Technologien sie dort haben?«
»Du hast den Mann doch gehört«, sagte Molly traurig. »Seine ist eine rein technische Zukunft. Seine Leute wären wahrscheinlich nicht mal in der Lage zu erkennen, was mit mir nicht in Ordnung ist. Und überhaupt, wir können doch die Abscheulichen und die Hungrigen Götter nicht auf die Zukunft loslassen. Sie müssen hier und jetzt gestoppt werden.«
Ich musste lächeln. »Höre ich richtig? Die berüchtigte Molly Metcalf entwickelt tatsächlich Skrupel und Moral auf ihre letzten Tage?«
Sie wandte sich um und brachte ein kleines Lächeln für mich zustande. »Jeder muss irgendwann einmal erwachsen werden. Mich hat es nur die Infektion durch einen andersdimensionalen Parasiten gekostet, der meinen Körper übernommen hat und meine Seele frisst.«
Ich setzte mich auf und sah sie nachdenklich an. »Jetzt bist du doch eine von ihnen. Bist du eigentlich schon Teil ihres Kollektivbewusstseins? Kannst du sie hören? Kannst du die Kommunikation der Abscheulichen abhören?«
Molly runzelte die Stirn und konzentrierte sich. »Da ist etwas. Am Rand meiner Gedanken. Weit weg, ein Hintergrundgeräusch. Aber es ist nur Gemurmel, ein bedeutungsloser Mischmasch von Geräuschen. Nicht menschlich. Fremd. Vielleicht verstehe ich es, wenn ich mehr … wie sie werde. Werden meine Gedanken dann so klingen? So fremd, so profund anders - jenseits allen menschlichen Verständnisses?« Sie sah mich eindringlich an. »Wir müssen sie aufhalten, Eddie. Während ich noch ich selbst bin. Vielleicht - wenn wir sie alle aus unserer Realität verdrängen, dann wird die Infektion mit ihnen verschwinden.«
»Ja«, sagte ich sanft. »Vielleicht.«
»Ich habe Angst, Eddie. Ich habe Angst davor, immer weniger ich zu sein und zu etwas zu werden, dem es egal ist, was es verloren hat. Mir wird sogar egal sein, dass ich dich nicht mehr liebe. Wenn es keine Heilung gibt, wenn es keine Hoffnung mehr gibt, Eddie, dann bring mich um, solange ich noch weiß, wer du bist. Wenn du mich liebst, dann töte mich.«
»Ja«, sagte ich. »Das kann ich tun.«
Kapitel Vierzehn
Krieg und Frieden
Alle Droods sind Kämpfer. Es liegt ihnen im Blut, und sie werden darauf trainiert. Wir werden alle mit einem Torques geboren und von kleinauf dazu erzogen, den guten Kampf zu kämpfen, auch wenn die meisten von uns nie das Herrenhaus verlassen oder eine wütend erhobene Hand erleben. Weil die Familie immer gewusst hat, dass einmal der Tag kommen würde, an dem alle Droods zusammen in den Krieg ziehen und die Menschheit und die Welt retten müssten.
Mögen die Krieger der Droods entfesselt werden!
Janitscharen Jane hatte uns schon eine Menge beigebracht, aber Giles Todesjäger lehrte uns etwas anderes. Unter seiner brutalen Ägide lernten wir nicht nur, wie man Krieger war, sondern Soldaten in einer Armee. Als Jane noch das Kommando gehabt hatte, hatte sie mit uns Krieg gespielt. Giles organisierte seine Manöver wie etwas Reales, mit der einen Hälfte der Familie gegen die andere, sodass wir lernen konnten, wie man als Teil einer Gruppe zu kämpfen hatte. Es reichte uns nicht mehr, dass wir Krieger waren, wir mussten eine Armee werden. Giles brachte uns Strategie bei und taktisches Denken, anstatt sich darauf zu verlassen, dass wir unsere Mann-gegen-Mann-Philosophie weiter verfolgten. Er lehrte uns, an die Operation als Ganzes zu denken und nicht nur an unseren individuellen Teil darin. Wir lernten schnell, denn wir sind Training gewöhnt.
Und so befanden wir uns alle draußen auf den weiten Rasenflächen, hell glänzend und wild in unseren goldenen Rüstungen und taten unser Bestes, uns gegenseitig umzubringen. Jeder Drood, Mann oder Frau, außer dem absolut nötigen Rumpfpersonal für die Organisation, den Lageraum und die Krankenstation, war mit Leibeskräften dabei, unter Giles strengem Kommando hin- und herzulaufen. Wir stießen zusammen, Körper gegen Körper, und trieben unsere Muskeln und Nerven an ihre Grenzen. Der Schlachtenlärm war ohrenbetäubend - goldene Klingen suchten goldene Harnische, gerüstete Fäuste hämmerten auf gerüstete Köpfe ein und Stimmen schrien leidenschaftlich, wütend und eifrig durcheinander. Die Greifen hievten sich von ihrem angestammten Platz und verzogen sich schmollend in eine friedlichere Ecke. Die Pfauen und die anderen Tiere folgten ihnen schon bald. Selbst unsere Nixe steckte den Kopf aus dem Wasser, um zu sehen, was zur Hölle vor sich ging und verschwand schnell wieder. Die Kinder, die nicht in die Schule gehen mussten, sahen uns zu, wie wir den Krieg probten und jubelten und applaudierten aufgeregt aus sicherer Entfernung. Sie waren dabei, um ebenfalls etwas zu lernen.
Denn wir alle wussten - auch wenn es niemand aussprach -, dass verdammt viele von uns nicht wieder zurückkämen, selbst dann, wenn wir den Krieg gewannen. Und die nächste Generation Droods würde vielleicht früher in unsere Fußstapfen treten müssen, als irgendeiner von uns geahnt hatte.
Ich war dabei, mittendrin im Getümmel, und übte wie jeder andere. Ich rannte die immer zertretenere Wiese herauf und herunter, und wechselte mich mit den anderen dabei ab, den Angriff zu führen oder auch geführt zu werden. Ich war zu sehr daran gewöhnt, Einzelkämpfer zu sein, das aber war ein Luxus, den ich mir in diesem Krieg nicht länger leisten konnte. Also strengte ich mich immer wieder an, rannte wie verrückt hierhin und dorthin, bis meine Lungen wehtaten und schwarze Punkte vor meinen Augen tanzten. Dann ließ ich lange goldene Klingen aus meinen Händen wachsen und warf mich selbst wieder in ein weiteres wildes und brutales Handgemenge.
Jeder Knochen tat mir schließlich weh, und mein Herz pochte so stark, dass ich schon glaubte, es würde jeden Moment meinen Brustkorb sprengen. Und das war nur eine Übung für den wirklichen Einsatz.
Offenbar hatte Giles etwas ganz Ähnliches wie eine lebende Rüstung in seiner fernen Zukunft gekannt, weil er lauter Ideen hatte, wie man unsere Rüstung selbst zur Waffe machen konnte. Während der kurzen Pausen zwischen seinen sorgfältig choreografierten Feldzügen, hielt er uns Vorträge darüber, wie begrenzt die Familie bisher immer gewesen sei, wenn es um die Rüstung ging. Sie brauchte nicht nur eine Verteidigung zu sein, eine zweite Haut, die uns schützte und unsere Kraft und Geschwindigkeit erhöhte. James's Trick mit den Klingen zeigte, dass die Rüstung zu etwas werden konnte, was auf unsere Gedanken und Bedürfnisse reagierte. Wenn sie ein Schwert schaffen konnte, warum keine Schlachtaxt? Wenn aus meinen Knöcheln Dornen wachsen konnten, warum nicht über meinen ganzen Körper hinweg? Die Rüstung hatte ihre einfache Form zunächst einmal nur, weil wir niemals auf den Gedanken gekommen waren, dass sie viel mehr konnte.
Wenn man schon ein Wunder besitzt - warum sollte man nicht versuchen, es zu verbessern?
Es brauchte einen Außenseiter wie Giles, uns die wahren Möglichkeiten der Rüstung erkennen zu lassen und zu begreifen, dass die Möglichkeiten nur von unserer fehlenden Vorstellungskraft begrenzt waren. Nachdem die Idee sich einmal festgesetzt hatte, gab es kein Halten mehr. Es brauchte eine Menge Konzentration, aber die seltsame Materie unserer Rüstung formte sich selbst unter der Kraft unserer verschiedenen Gedanken. Goldene Hände wuchsen zu den verschiedensten Waffen heran und glänzende Gesichter wurden zu grimmigen Gargoyles, heulenden Wölfen, Monstern und Engeln. Geschmeidige Körperformen bogen und änderten sich, wurden zu mystischen Gestalten und legendären Wesen. Ein paar ließen sich sogar goldene Flügel aus ihrem Rücken wachsen und flatterten wacklig in die Luft hinauf. Wir konnten unsere Formen noch nicht lange halten; noch nicht, es kostete zu viel Konzentration. Aber wer wusste schon, was nach einer längeren Übungszeit alles möglich sein würde?