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»Attendez, ich habe heute bestimmte Absichten mit Ihnen.«

Sie warf einen Blick auf Helene und lächelte ihr zu. »Ma bonne Hélène, haben Sie Mitleid mit meiner armen Tante, die so sehr für Sie schwärmt. Gehen Sie zu ihr und leisten Sie ihr zehn Minuten Gesellschaft. Und damit es Ihnen nicht zu langweilig wird, nehmen Sie hier unseren lieben Grafen mit, der Ihnen seine Begleitung gewiß nicht versagen wird.«

Die schöne Helene begab sich zu der Tante, aber Anna Pawlowna hielt Pierre noch einen Augenblick zurück und gab sich den Anschein, als müsse sie noch einige letzte, unumgängliche Anordnungen treffen.

»Ist sie nicht wirklich bezaubernd?« sagte sie zu Pierre und deutete auf die leicht dahingleitende, majestätisch schöne Gestalt. »Et quelle tenue! Dieses Taktgefühl bei einem solch jungen Mädchen, und wie meisterhaft sie sich zu benehmen versteht! Aber das kommt nur von ihrem ausgezeichneten Herzen. Glücklich der Mann, der sie einmal sein eigen nennen darf! An ihrer Seite wird auch der gesellschaftlich unbedeutendste Mann die glänzendste Rolle in der großen Welt spielen. Habe ich nicht recht? Ich wollte nur Ihre Meinung darüber hören«, und Anna Pawlowna gab Pierre frei.

Dieser beantwortete Anna Pawlownas Frage über Helenes vollendete Haltung in seiner Aufrichtigkeit nur zustimmend. Wenn sich seine Gedanken manchmal mit Helene beschäftigten, so dachte er vor allem an ihre Schönheit und ihr ungewöhnliches Verständnis, in Gesellschaft eine ruhige, schweigendwürdige Haltung anzunehmen.

Die Tante empfing die beiden jungen Leute in ihrer Ecke, bemühte sich aber anscheinend, ihre Vergötterung für Helene zu verbergen und dafür mehr ihre Furcht vor Anna Pawlowna zum Ausdruck zu bringen. Sie warf ihrer Nichte einen Blick zu, als wolle sie sie fragen, was sie mit diesen jungen Leuten anfangen solle. Als Anna Pawlowna von ihnen fortging, berührte sie Pierre noch einmal mit dem Finger und flüsterte ihm zu: »Ich hoffe, Sie werden nicht mehr sagen, daß man sich bei mir langweilt.« Dabei warf sie einen Blick auf Helene.

Helene lächelte mit einem Ausdruck, als wolle sie sagen: sie ließe überhaupt die Möglichkeit gar nicht zu, daß jemand sie sähe und nicht von ihr entzückt wäre. Die Tante hustete, schluckte den Speichel hinunter und sagte auf französisch, daß sie sich außerordentlich freue, Helene zu sehen. Dann wandte sie sich an Pierre mit eben den selben Begrüßungsworten und eben der selben Miene. Mitten in der langweiligen, träge dahinfließenden Unterhaltung sah Helene Pierre an und lächelte ihm mit jenem klaren, schönen Lächeln zu, mit dem sie alle anzulächeln pflegte. Pierre war an dieses Lächeln so sehr gewöhnt, es drückte so wenig Persönliches für ihn aus, daß er ihm überhaupt keine Beachtung mehr schenkte. In diesem Augenblick erzählte die Tante von einer Tabaksdosensammlung, die Pierres verstorbener Vater, der Graf Besuchow, gehabt habe, und zeigte dabei ihre eigne Tabaksdose. Prinzessin Helene bat, das Porträt ihres Mannes, das auf dem Deckel der Dose gemalt war, betrachten zu dürfen.

»Das ist sicher von Vien gemalt«, bemerkte Pierre. »Von Vien gemalt.« Er beugte sich hinüber, um die Dose in die Hand zu nehmen, horchte dabei aber auf das Gespräch am anderen Tisch. Er erhob sich und wollte zur Tante hingehen, diese aber reichte ihm die Tabaksdose gerade über Helene, die vor ihr stand, hinweg. Helene neigte sich ein wenig nach vorn, um Platz zu machen, lächelte und sah sich um. Sie trug, wie immer zu solchen Abendgesellschaften, ein Kleid, das nach der damaligen Mode vorn und hinten tief ausgeschnitten war. Ihre Brust, die auf Pierre immer den Eindruck einer Marmorbüste gemacht hatte, befand sich jetzt in so geringer Entfernung von ihm, daß er mit seinen kurzsichtigen Augen unwillkürlich den lebendigen Reiz ihrer Schultern und ihres Nackens erkennen mußte, und zwar so nahe an seinen Lippen, daß er sich nur ein wenig hätte herabzuneigen brauchen, um sie zu berühren. Er empfand die Wärme ihres Körpers, den Duft ihres Parfüms und hörte das Knirschen des Korsetts bei ihren Bewegungen. Er sah nicht mehr ihre marmorne Schönheit, die mit ihrem Gewande zu einem vollendeten Ganzen zusammenfloß, sondern sah und fühlte nur noch den ganzen Reiz ihres von dem Gewand verhüllten Körpers. Und nachdem er dies einmal empfunden hatte, konnte er sie gar nicht mehr anders sehen, so wie man nicht mehr an eine Täuschung glauben kann, die einem einmal offenbar geworden ist. Es war, als ob Helene zu ihm sage: Hast du denn bis zu diesem Augenblick gar nicht gesehen, wie schön ich bin? Hast du gar nicht bemerkt, daß ich ein Weib bin? Ja, ich bin ein Weib, das jedem angehören kann, auch dir! sprachen ihre Blicke. Und in diesem Augenblick fühlte Pierre, daß Helene nicht nur seine Frau werden könne, sondern es werden müsse, daß es gar nicht mehr anders kommen könne.

Das war für ihn in diesem Augenblick so sicher, als stünde er schon mit ihr vor dem Traualtar. Wie es geschehen werde und wann, das wußte er freilich nicht, nicht einmal, ob es zu seinem Besten wäre, er hatte sogar das Gefühl, daß es nicht gut ablaufen würde, aber er war sicher, daß es so kommen mußte.

Pierre schlug die Augen nieder, hob sie wieder auf und wollte in ihr wieder die ferne, ihm fremde Schönheit sehen, die er bisher alle Tage erblickt hatte, aber dazu war er nicht mehr imstande. Er konnte das ebenso wenig, wie ein Mensch, der im Nebel einen Grashalm für einen Baum gehalten und dann seinen Irrtum erkannt hat, nun in diesem Grashalm wieder einen Baum sehen kann. Sie war ihm entsetzlich nah und hatte bereits Gewalt über ihn erlangt. Und zwischen ihnen gab es sonst keine anderen Schranken mehr als die, die sein eigner Wille ihm setzte.

»Bon, je vous laisse dans votre petit coin. Je vois, que vous y êtes très bien«, hörte er plötzlich Anna Pawlownas Stimme.

Pierre besann sich ängstlich, ob er nicht vielleicht etwas Unpassendes getan hatte, wurde rot und sah sich um. Ihm war, als müßten alle anderen, ebenso wie er selber, jetzt wissen, was mit ihm geschehen war.

Als er nach einiger Zeit an den großen Kreis herantrat, sagte Anna Pawlowna zu ihm: »On dit que vous embellissez votre maison de Pétersbourg?« Und das war wahr: ein Architekt hatte zu Pierre gesagt, daß dies nötig sei, und so ließ er denn, ohne selber zu wissen warum, sein riesiges Haus in Petersburg neu herrichten.

»C’est bien, aber ziehen Sie nicht vom Fürsten Wassilij weg. Es ist angenehm, einen solchen Freund zu haben wie ihn«, fügte sie hinzu und sah den Fürsten Wassilij lächelnd an. »J’en sais quelque chose. N’est-ce pas? Und Sie sind noch so jung. Sie brauchen einen Ratgeber. Nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich von den Rechten alter Frauen Ihnen gegenüber Gebrauch mache!« Sie schwieg, wie Frauen immer schweigen und auf irgend etwas warten, wenn sie über ihr Alter gesprochen haben. »Wenn Sie sich einmal verheiraten, dann ist das etwas anderes.« Sie umfaßte beide mit einem Blick. Pierre sah Helene nicht an, und sie ihn ebenfalls nicht. Immer noch war sie ihm beängstigend nah. Er murmelte etwas vor sich hin und wurde rot.

Nach Hause zurückgekehrt, konnte er lange nicht einschlafen und mußte immer nur daran denken, was mit ihm geschehen war. Aber was war eigentlich geschehen? Nichts. Er war sich nur bewußt geworden, daß ein Weib, das er als Kind gekannt und von dem er, wenn jemand ihm die Schönheit Helenes anpries, zerstreut gesagt hatte: »Ja, sie ist schön« – er war sich nur bewußt geworden, daß dieses Weib ihm angehören könne.

Aber sie ist dumm, und ich habe selber gesagt, daß sie dumm ist, dachte er. Es liegt etwas Garstiges in dem Gefühl, das sie in mir erweckt, etwas Verbotenes. Man hat mir erzählt, daß ihr Bruder Anatol in sie verliebt gewesen sei und sie in ihn, das ist eine ganze Geschichte gewesen, und deshalb hat man Anatol dann fortgeschickt. Hippolyt ist ihr Bruder … Und ihr Vater – der Fürst Wassilij … Das ist nicht schön, dachte er, aber im selben Augenblick, als er sich das überlegte – und er war mit diesen Überlegungen noch nicht einmal bis zu Ende gekommen –, ertappte er sich bei einem Lächeln und merkte, daß eine andere Reihe von Erwägungen sich durch die erste hindurchdrängte, und daß er im selben Augenblick, wo er an ihre Minderwertigkeit gedacht hatte, doch auch bereits davon träumte, wie sie seine Frau sein und ihn lieben werde, vielleicht dann eine ganz andere würde, und daß das alles, was er über sie gedacht und gehört habe, doch noch lange nicht wahr zu sein brauchte. Und er sah sie wieder vor sich, nicht als die Tochter des Fürsten Wassilij, sondern nur ihren Körper, von einem grauen Kleide verhüllt.