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»Marie braucht gar nicht ausgeführt zu werden, die Freier kommen ganz von selber ins Haus«, sagte die kleine Fürstin vorwitzig, als sie es gehört hatte. Fürst Nikolaj Andrejewitsch runzelte die Brauen, sagte aber kein Wort darauf.

Vierzehn Tage nach Ankunft dieses Briefes langte gegen Abend die Dienerschaft des Fürsten Wassilij an. Am anderen Tag kam er dann selber mit seinem Sohn.

Der alte Bolkonskij hatte vom Charakter des Fürsten Wassilij niemals eine allzu hohe Meinung gehabt, um so weniger, als dieser es in letzter Zeit unter der neuen Regierung Kaiser Pauls und Kaiser Alexanders zu hohen Ehren und Würden gebracht hatte. Jetzt, als ihm aus den Anspielungen des Briefes und der kleinen Fürstin klar geworden war, worum es sich handelte, steigerte sich diese an und für sich schon nicht allzu hohe Meinung vom Fürsten Wassilij in seiner Seele bis zu einem Gefühl feindseliger Verachtung, so daß er immer anfing zu fauchen, wenn er von ihm sprach.

An jenem Tag nun, als Fürst Wassilij kommen sollte, war Fürst Nikolaj Andrejewitsch besonders brummig und schlechter Laune. War er nun schlechter Laune, weil Fürst Wassilij kommen sollte, oder ärgerte er sich nur besonders über Fürst Wassilijs Ankunft, weil er sowieso verstimmt war – das eine stand fest: er war eben schlechter Laune, und Tichon hatte bereits am Morgen dem Architekten abgeraten, dem Fürsten heute mit einem Bericht zu kommen.

»Hören Sie nur, wie er geht«, sagte Tichon und machte den Baumeister auf den Klang der Schritte des Fürsten aufmerksam. »Mit der ganzen Ferse stampft er auf …, da wissen wir schon …«

Gegen neun Uhr kam der Fürst in seinem Samtpelz mit dem Zobelkragen und einer ebensolchen Mütze heraus, um wie gewöhnlich spazierenzugehen. Es hatte die ganze Nacht geschneit.

Der schmale Weg, auf dem Fürst Nikolaj Andrejewitsch nach seiner Orangerie zu gehen pflegte, war sauber gefegt, man sah noch die Spuren des Besens auf dem beiseitegekehrten Schnee, und eine Schaufel steckte in dem Schneewall, der den Fußpfad auf beiden Seiten einfaßte. Der Fürst ging durch die Orangerie, durch das Gesindehaus, durch den Neubau, immer in finsteres Schweigen gehüllt.

»Kann man schon Schlitten fahren?« fragte er den Verwalter Alpatytsch, der ihn ehrerbietig bis zum Hause geleitete und seinem Herrn im Äußeren und seiner ganzen Art ziemlich ähnlich war.

»Der Schnee liegt schon hoch, Durchlaucht. Ich habe bereits die Allee fegen lassen.«

Der Fürst senkte den Kopf und trat auf die Freitreppe. Gott sei Dank, dachte der Verwalter. Nun ist das Gewitter vorübergezogen.

»Sonst hätte man schwer einfahren können, Durchlaucht«, setzte der Verwalter hinzu. »Wie ich gehört habe, soll doch heute der Herr Minister geruhen, zu Euer Durchlaucht …«

Der Fürst wandte sich jäh nach dem Verwalter um und heftete seinen finsteren Blick fest auf ihn.

»Was? Ein Minister? Was für ein Minister denn? Wer hat das befohlen?« schrie er mit seiner rauhen, schneidenden Stimme. »Für die Prinzessin, meine Tochter, wird nicht gefegt, aber für diesen Minister natürlich! Ich habe mit Ministern nichts zu tun!«

»Durchlaucht, ich dachte nur …«

»Du dachtest«, schrie der Fürst und stieß die Worte immer hastiger und unzusammenhängender hervor. »Du dachtest … Ihr Gauner! Ihr Halunken! Ich werde dich denken lehren!« Und er hob seinen Stock auf, schwang ihn über den Verwalter und hätte ihn sicherlich geschlagen, wenn dieser nicht unwillkürlich ausgewichen wäre. »Gedacht hat er … der Spitzbube!« schrie er wütend. Obwohl der Verwalter, selber über seine Kühnheit, dem Schlag auszuweichen, erschrocken, sich dem Fürsten wieder näherte und ergeben sein kahles Haupt vor ihm neigte, oder vielleicht eben gerade deswegen, hob der Fürst den Stock nicht noch einmal auf, sondern lief in sein Zimmer und schrie nur immer: »Halunken! … den Weg zuschütten … zuschütten!«

Vor dem Mittagessen standen die Prinzessin und Mademoiselle Bourienne, die wußten, daß der Fürst schlechte Laune hatte, zusammen im Zimmer und warteten auf ihn: Mademoiselle Bourienne mit strahlendem Gesicht, auf dem geschrieben stand: Ich weiß von nichts, ich bin so, wie ich immer bin, Prinzessin Marja bleich und erschrocken, mit niedergeschlagenen Augen. Das Bedrückendste für Prinzessin Marja war, daß sie wohl wußte: man mußte sich in solchen Fällen so benehmen wie Mademoiselle Bourienne; das aber brachte sie niemals fertig. Sie dachte: Stelle ich mich so, als ob ich es nicht bemerkte, dann denkt er, ich hätte kein Mitgefühl mit ihm; zeige ich mich aber ärgerlich und schlechter Laune, wird er wie immer sagen, ich ließe ja stets gleich den Kopf hängen.

Der Fürst blickte in das erschrockene Gesicht seiner Tochter und fauchte sie an.

»Dumme Gans!« brummte er.

Und die andere ist gar nicht da. Die haben sie auch schon aufgehetzt, dachte er in bezug auf die kleine Fürstin, die nicht im Speisezimmer anwesend war.

»Wo ist die Fürstin?« fragte er. »Versteckt sie sich?«

»Sie fühlt sich nicht ganz wohl«, erwiderte Mademoiselle Bourienne mit einem heiteren Lächeln. »Sie möchte deshalb ihr Zimmer nicht verlassen. Das ist doch sehr begreiflich in ihrer Lage.«

»Hm! Hm! Kch! Kch!« knurrte der Fürst und setzte sich an den Tisch.

Der Teller kam ihm nicht ganz sauber vor; er zeigte auf den Fleck und schleuderte den Teller beiseite. Tichon fing ihn auf und reichte ihn dem Büfettdiener.

Die kleine Fürstin fühlte sich durchaus nicht unwohl, aber sie hatte eine so unüberwindliche Furcht vor dem Fürsten, daß sie, als sie gehört hatte, er sei schlechter Laune, zu dem Entschluß gekommen war, auf ihrem Zimmer zu bleiben.

»Ich habe nur Angst um das Kind«, hatte sie zu Mademoiselle Bourienne gesagt. »Weiß der liebe Gott, was durch Schreck alles geschehen kann.«

Überhaupt lebte die Fürstin in Lysyja-Gory ständig unter dem Druck einer ängstlichen Abneigung gegen den alten Fürsten, die ihr aber nicht zum Bewußtsein kam, weil sie ganz von Furcht überwuchert wurde, so daß sie sich über dieses Gefühl nicht recht klar werden konnte. Der Fürst empfand ebenfalls eine Abneigung gegen sie, die aber gänzlich durch Verachtung erstickt wurde. Die Fürstin hatte, nachdem sie in Lysyja-Gory etwas heimisch geworden war, ganz besonders Mademoiselle Bourienne in ihr Herz geschlossen, verbrachte ganze Tage mit ihr, bat sie, in ihrem Zimmer zu schlafen, und sprach oft mit ihr über den Schwiegervater, ohne mit ihrem Urteil hinter dem Berge zu halten.

»Il vous arrive du monde, mon prince«, sagte Mademoiselle Bourienne, indem sie ihre weiße Serviette auseinanderfaltete. »Son Excellence le prince Kouraguine avec son fils, à ce que j’ai entendu dire?« fügte sie fragend hinzu.

»Hm … diese Exzellenz ist ein dummer Junge … ich habe ihn schon auf die Schule gebracht«, erwiderte der Fürst gereizt. »Und warum er seinen Sohn mitbringt, ist mir unverständlich. Die Fürstin Lisaweta Karlowna und Prinzessin Marja wissen das vielleicht, ich aber verstehe nicht, warum er ihn mit hierherbringt. Ich brauche ihn nicht.« Und er sah auf seine errötende Tochter. »Bist wohl krank? Hast wohl auch Angst vor diesem Minister, wie ihn dieser Schwätzer, der Alpatytsch, nennt?«

»Nein, mon père.«

Obgleich Mademoiselle Bourienne mit ihrem ersten Gesprächsthema arg danebengetappt war, schwieg sie doch nicht still, sondern schwatzte lustig weiter über die Orangerie und über die Schönheit irgendeiner soeben aufgeblühten Blume, so daß der Fürst nach der Suppe schon ganz besänftigt war.

Nach dem Mittagessen besuchte er seine Schwiegertochter. Die Fürstin saß an einem kleinen Tischchen und schwatzte mit ihrer Zofe Mascha. Als sie den Schwiegervater eintreten sah, wurde sie ganz blaß.

Sie hatte sich sehr verändert. Man konnte sie jetzt eher häßlich als hübsch nennen. Ihre Wangen waren eingefallen, die Lippen hatten sich nach oben gezogen, und ihre Augen lagen in tiefen Höhlen.