»Mir ist zu schwer zumute«, erwiderte sie auf die Frage des Fürsten nach ihrem Befinden.
»Willst du etwas?«
»Nein, merci, mon père.«
»Nun schön, schön.«
Er ging hinaus und trat in das Geschäftszimmer. Hier stand mit gesenktem Kopf der Verwalter Alpatytsch.
»Ist der Weg zugeschüttet?«
»Zu Befehl, Durchlaucht, verzeihen Sie um Gottes willen … es war nur aus Dummheit …«
Der Fürst unterbrach ihn und lachte in seiner unnatürlichen Weise.
»Schon gut, schon gut.«
Er reichte Alpatytsch die Hand, die dieser küßte, und ging in sein Arbeitszimmer.
Gegen Abend kam Fürst Wassilij an. Auf dem »Preschpekt« – so nannte die Dienerschaft den Prospekt oder die Allee – kamen ihm die Kutscher und Lohndiener entgegen und schafften mit viel Geschrei seine Schlitten und Wagen über den absichtlich mit Schnee verschütteten Weg nach dem Flügel hin.
Dem Fürsten Wassilij und Anatol waren getrennte Zimmer angewiesen worden. Anatol hatte den Rock ausgezogen, die Arme in die Seiten gestemmt und saß an einem Tisch, die großen, schönen Augen mit einem Lächeln starr und zerstreut auf eine Ecke dieses Tisches geheftet. Er betrachtete sein ganzes Leben als eine ununterbrochene Kette von Zerstreuungen, die irgend jemand aus irgendeinem Grund immer eigens für ihn in Szene zu setzen habe. In diesem Licht betrachtete er auch jetzt seine Reise zu dem bösen alten Herrn und der reichen häßlichen Erbin. Seiner Ansicht nach konnte diese Sache sehr gut und vergnüglich ausgehen. Warum soll ich sie denn nicht heiraten, wenn sie doch so reich ist? Das stört ja weiter nicht, dachte Anatol.
Er rasierte und parfümierte sich in der eleganten, stutzerhaften Art, die ihm zur Gewohnheit geworden war, und trat, den schönen Kopf hoch aufgerichtet, mit der ihm angeborenen gutmütigen und siegesbewußten Miene in das Zimmer seines Vaters. Zwei Kammerdiener waren eifrig damit beschäftigt, den Fürsten Wassilij anzukleiden, er selber sah sich lebhaft um und nickte dem eintretenden Sohn vergnügt zu, als wollte er zu ihm sagen: Recht so! So will ich dich haben!
»Hör mal, Vater, Scherz beiseite, ist sie wirklich so häßlich? Was?« fragte er wie in Fortsetzung eines Gespräches, das sie unterwegs oft geführt hatten.
»Sei still! Das sind ja nur Dummheiten! Die Hauptsache ist: bemühe dich, dem alten Fürsten gegenüber ehrerbietig und vernünftig zu sein.«
»Wenn er anfängt zu schimpfen, laufe ich fort«, sagte Anatol. »Ich kann diese alten Rauhbeine nicht ausstehen.«
»Denke daran, daß davon dein Schicksal abhängt.«
Indessen war im Mädchenzimmer nicht nur die Ankunft des Ministers mit seinem Sohn bekannt geworden, sondern es war auch bereits das Äußere der beiden bis in alle Einzelheiten beschrieben worden. Prinzessin Marja saß allein in ihrem Zimmer und versuchte vergeblich, ihrer inneren Erregung Herr zu werden. Warum hat man mir das geschrieben, warum hat Lisa mit mir darüber gesprochen? Das kann doch nicht sein! sagte sie zu sich selber und betrachtete sich im Spiegel. Wie soll ich nur in den Salon hineingehen? Selbst wenn er mir gefiele, könnte ich jetzt ihm gegenüber doch nicht so sein, wie ich wirklich bin. Und schon der Gedanke an den Blick ihres Vaters jagte ihr Schrecken ein.
Die kleine Fürstin und Mademoiselle Bourienne hatten von ihrer Zofe Mascha schon alle nötigen Einzelheiten erfahren: was für ein frischer, hübscher junger Mann mit dunklen Augenbrauen der Ministersohn sei, wie sein Papa nur mühsam die Treppe heraufgekommen sei, während er leichtfüßig, immer drei Stufen auf einmal nehmend, nur so heraufgeflogen sei. Nachdem sie diese Kunde erhalten hatten, begaben sich die kleine Fürstin und Mademoiselle Bourienne ins Zimmer der Prinzessin, und ihre lebhaft erregten Stimmen waren schon vom Korridor aus zu hören.
»Ils sont arrivés, Marie, wissen Sie es schon?« rief die kleine Fürstin, eilte mit ihrem schwankenden Gang herbei und ließ sich schwerfällig auf einen Sessel nieder. Sie war nicht mehr in der Bluse wie am Morgen, sondern hatte ihr bestes Kleid angezogen. Ihr Haar war sorgfältig frisiert und ihr Gesicht heiter und lebhaft, was jedoch über ihre eingesunkenen und welk gewordenen Züge nicht hinwegtäuschen konnte. In dieser gewählten Toilette, in der sie sich gewöhnlich in Petersburger Gesellschaften gezeigt hatte, trat noch deutlicher zutage, wie häßlich sie geworden war. Auch an Mademoiselle Bourienne bemerkte man eine gewisse Vervollkommnung ihres Anzuges, die ihr hübsches, frisches Gesicht noch anziehender erscheinen ließ.
»Eh bien, et vous restez comme vous êtes, chère princesse?« fing sie an. »Gleich wird man melden, daß die Herren im Salon sind, wir werden hinuntergehen müssen, und Sie haben noch nicht ein bißchen Toilette gemacht!«
Die kleine Fürstin stand vom Sessel auf, klingelte nach der Zofe und fing eilig und vergnügt an, Vorschläge zu machen, was Prinzessin Marja wohl anziehen könne, und half ihr, diese zur Ausführung zu bringen. Prinzessin Marja fühlte sich im Bewußtsein ihrer eignen Würde gekränkt, weil das Kommen des ihr angekündigten Bewerbers sie so sehr in Erregung versetzte, und noch mehr darüber, daß ihre beiden Freundinnen dies für etwas ganz Selbstverständliches ansahen. Hätte sie ihnen aber gesagt, wie sehr sie sich selbst und auch ihretwegen schämte, so hätte sie dadurch ihre Erregung verraten; hätte sie sich gegen den Putz, den man ihr vorschlug, gesträubt, so hätte sie damit nur ein weiteres Necken heraufbeschworen. Sie wurde über und über rot, ihre schönen Augen trübten sich und ihr Gesicht bekam Flecken und jenen unschönen Ausdruck eines Opfertiers, den es häufig zu tragen pflegte. Widerstandslos überließ sie sich Mademoiselle Bouriennes und Lisas Händen. Diese beiden Frauen mühten sich ganz ernsthaft damit ab, sie so hübsch wie nur möglich zu machen. Da Prinzessin Marja so häßlich war, daß keiner der beiden anderen der Gedanke auch nur in den Kopf kam, sie könne eine von ihnen ausstechen, so bemühten sie sich vollkommen aufrichtig um ihre Toilette mit jener naiven, festen, weiblichen Überzeugung, daß der Anzug ein Gesicht schön machen könne.
»Nein wirklich, ma bonne amie, das Kleid ist nicht hübsch«, sagte Lisa und musterte die Prinzessin von weitem von der Seite. »Du hast doch ein zimtfarbenes, laß dir das doch bringen. Wirklich! Was willst du denn, vielleicht entscheidet das dein ganzes Schicksal. Aber dieses Kleid hier ist zu hell, das ist nicht hübsch, nein.«
Aber es war nicht das Kleid, was nicht hübsch war, sondern das Gesicht und die ganze Gestalt der Prinzessin, doch das fühlte weder Mademoiselle Bourienne noch die kleine Fürstin: sie glaubten beide, daß alles gut und schön sein würde, wenn sie nur ein blaues Band in das hochgekämmte Haar flöchten, eine blaue Schärpe um das zimtfarbene Kleid schlängen und so weiter, und so weiter. Sie dachten nicht daran, daß sie dadurch das erschrockene Gesicht und die ganze Gestalt der Prinzessin doch nicht ummodeln konnten, und wenn sie auch den Rahmen und Schmuck dieses Gesichtes noch so sehr veränderten, das Gesicht selber blieb doch immer kläglich und häßlich. Nach zwei- oder dreimaligem Umziehen, dem sich Prinzessin Marja ergeben unterwarf, stand sie endlich mit hochgekämmtem Haar – einer Frisur, die ihr Gesicht völlig veränderte und sie ganz entstellte – und der blauen Schärpe in dem zimtfarbenen Kleid vor der kleinen Fürstin da. Diese ging ein paarmal um sie herum, zupfte mit ihren kleinen Händen hier und da eine Falte zurecht, legte die Schärpe gerade und betrachtete sie mit vorgeneigtem Kopf bald von der einen, bald von der anderen Seite.
»Nein, so geht das nicht«, sagte sie endlich in aller Entschiedenheit und klappte die Hände zusammen. »Non, Marie, décidément ça ne vous va pas. Ich sehe dich viel lieber in deinem einfachen grauen Alltagskleid. Non, de grâce, faites cela pour moi. Katja«, rief sie der Zofe zu, »bring das graue Kleid. Sie werden sehen, Mademoiselle Bourienne, was ich daraus machen werde«, sagte sie lächelnd im Vorgeschmack ihrer Künstlerfreude.