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Da sprach der dritte: 'Auch eine Kugel kann zermalmt und verschlungen werden, so gut wie jede Gestalt der Materie. Es gibt keinen Schild, den ein genügend starkes Schwert nicht durchbohren könnte, und kein Schwert, das sich an einem harten Schild nicht schartig schlüge. Die Materie, o Brüder, ist ewiges Auf und Ab, stets im Fluß und im Umbau. Sie ist nichts Bleibendes, und wahrhaft vernunftgekrönte Wesen sollten nicht sie zur Wohnung wählen, sondern das, was unveränderlich, ewig und vollkommen und dennoch von dieser Welt ist.''Und was ist das?' — fragten die anderen Weisen. 'Durch die Tat will ich es euch lehren!' — entgegnete der dritte. Und vor ihren Augen begann er sich auszuziehen. Er legte das kristallbesäte Übergewand ab, das goldgewirkte Zwischengewand und das silberne Untergewand; er legte das Gehäuse des Schädels ab und das der Brust; dann aber zog er immer schneller immer feinere Teile aus sich aus; er nestelte die Gelenke auf, und nach den Gelenken die Fugen, nach den Fugen die Schrauben, nach den Schrauben die Drähtchen, die Krümelchen, — bis er zuletzt die Atome anpackte. Und da begann dieser Weise seine Atome zu schälen. Und er schälte sie so flink, daß nur sein Dahinschmelzen und Schwinden sichtbar wurde und sonst nichts. Und so geschickt ging er vor, und so sehr beeilte er sich bei seinem Ausziehen, daß er zuletzt vor den Augen der entgeisterten anderen Weisen als vollkommene Abwesenheit dastand. Die war seine getreue Umkehrung und als solche anwesend. Denn wo er vorher ein Atom gehabt hatte, genau dort hatte er jetzt kein Atom; wo soeben sechs gewesen waren, zeigte sich das Fehlen dieser sechs; und wo er sich eine Schraube ausgezogen hatte, verblieb das Fehlen einer Schraube, und es glich ihr getreulich in allem. Und so wie vorher seine Völle gliederte sich nun seine Leere, und sein Fehlen war ohne Fehl. Denn da er so schnell gearbeitet und so geschickt manövriert hatte, verunreinigte ihm kein Teilchen, kein materielles Fremdkörperchen die höchste Vollendung der anwesenden Abwesenheit! Und die anderen sahen ihn als Leerheit, die so gestaltet war, wie vor ener Weile er selbst; sie erkannten seine Augen an der Abwesenheit schwarzer Farbe, sein Gesicht am Fehlen blauen Schimmers und die Gliedmaßen an den verschwundenen Fingern, Gelenken und Achselstücken. 'Auf solche Weise, o Brüder' — sprach der vorhandene Abhandene — 'nämlich durch tätige Umverkörperung ins Nichts, erringen wir nicht nur ungeheure Härte im Nehmen, sondern auch Unsterblichkeit. Denn nur die Materie verändert sich. Das Nichts begleitet sie nicht auf dem Weg fortgesetzter Ungewißheit. Daher wohnt Perfektion dem Nichts inne, nicht dem Etwas. Und nicht letzteres zu werden, tut not, sondern ersteres!'

Gedacht, getan. Seit damals sind die Kehrseitler eine unbezwungene Völkerschaft. Ihr Leben verdanken sie nicht dem, was in ihnen ist — denn dort ist ja nichts —, sondern dem, was sie umgibt. Und wenn einer in ein Haus kommt, wird er sichtbar als häusliches Ausbleiben. Und gerät er in den Nebel, zeigt er sich als dessen örtliche Unterbrechung. Sie haben den unsteten Stoffwechsel des Stofflichen aus sich ausgeschieden und solcherart das Unmögliche möglich gemacht…'„Und wie durchreisen sie den leeren Weltraum, mein Weiser?“ — fragte Globares.

„Nur dies können sie nicht, o König. Denn der Leere Außenraum würde sich mit ihrem leeren Selbst verquicken, und sie würden zu existieren aufhören, als die örtlichen Ansammlungen von Nichts, die sie ja sind. Deshalb müssen sie auch dauernd die Reinheit ihres Nichts überwachen, und mit solcher Aufpasserei verbringen sie ihre Zeit. Sie heißen auch Nichtlinge oder Nitschewisten…“„Deine Geschichte ist töricht, weiser Mann!“ — sprach der König. „Denn wie ließe sich das Vielerlei der Materie durch das Einerlei des Mangels ersetzen? Sind ein Felsen und ein Haus ein und dasselbe? Kein Felsen aber und kein Haus, diese beiden können gleiche Form annehmen und erscheinen demnach gleichsam als ein und dasselbe.“

„O Herr“ — verteidigte sich der Weise — „es gibt vielerlei Nichts…“„Wir werden ja sehen, was passiert, wenn ich dir den Kopf abschlagen lasse“ — sagte der König. „Wird nachher seine Abwesenheit zur Anwesenheit? Was meinst du?“ Und der Monarch lachte scheußlich und winkte den Schergen.

„O Herr!“ — rief der Weise, schon umklammert von ihren stählernen Fäusten. „Du geruhtest zu lachen, also hat dich meine Geschichte heiter gestimmt, und du solltest mein Leben schonen, wie du versprochen hast!“„Nein, ich selbst habe mich erheitert“ — sagte der König. „Es sei denn, du unterstütztest meinen Einfalclass="underline" Bist du aus freien Stücken mit dem Köpfen einverstanden, so erheitert mich dieses Einverständnis, und dein Verlangen wird sich erfüllen.“

„Einverstanden!“ — schrie der Weise.“Nun denn, köpft ihn, da er ja selber darum bittet!“ — sprach der König.

„Nicht doch, o Herr! Einverstanden bin ich, damit du mich mitnichten köpfst!“„Du mußt geköpft werden, wenn du einverstanden bist“ — erklärte der König. „Und wenn nicht, dann erheiterst du mich nicht und mußt gleichfalls geköpft werden…“

„Nein! Umgekehrt!“ — rief der Weise. „Wenn ich einverstanden bin, mußt du erheitert mein Leben schonen. Und wenn ich nicht einverstanden bin…“„Schluß damit!“ — sprach der König. „Henker, walte deines Amtes!“

Das Schwert blitzte, und der Kopf des Weisen fiel.Alles schwieg eine Weile wie tot. Dann hob der zweite Weise an:

„Mein Herr und König! Die seltsamste aller Sternvölkerschaften ist zweifellos das Volk der Polyonten oder Vielinger, die auch Vielister genannt werden. Bei ihnen hat jeder zwar nur einen einzigen Körper, dafür aber um so mehr Beine, je höhere Ämter er bekleidet. Die Köpfe hinwiederum, die hat man dort von Fall zu Fall. Arme Leute haben nur ein einziges Haupt für die ganze Familie. Die Reichen aber horten in ihren Schatzkammern vielerlei Köpfe für verschiedene Anlässe. So ein Reicher hat also Morgenköpfe und Abendköpfe, strategische Köpfe für Kriegsfälle und Expreßköpfe, weil er es eilig haben könnte, ferner kalt abwägende Köpfe, Hitzköpfe, leidenschaftliche Köpfe, Hochzeits-, Liebes— und Trauerköpfe. So ist er für jede Lebenslage gerüstet.“„Ist das schon alles?“ — fragte der König.

„Nein, o Herr!“ — entgegnete der Weise, der schon merkte, wie schlecht es um ihn stand. „Die Vielinger tragen diesen Namen auch deshalb, weil alle mit ihrem Herrscher zusammengeschaltet sind. Wenn nun die Mehrheit in den königlichen Betätigungen einen Schaden für das allgemeine Wohl erblickt, dann verliert dieser Herrscher den Zusammenhalt und fällt in Stücke…“„Der Einfall ist trivial, um nicht zu sagen: majestätszerbrecherisch“ — sagte Globares grämlich. „Da du selbst so viel von Köpfen geredet hast, sagst du mir vielleicht, was du denkst: lasse ich dich jetzt köpfen, oder lasse ich dich nicht köpfen?“

„Wenn ich sage, er werde mich köpfen lassen“ — dachte der Weise rasch, — „dann wird er es tun, denn er ist gegen mich eingenommen. Wenn ich aber sage, er werde es nicht tun, dann überrasche ich ihn. Und staunt er, so muß er mich freilassen; wie er versprochen hat.“Und er sagte: „Nein, o Herr, du läßt mich nicht köpfen.“

„Du irrst“ — sprach der König. „Henker, walte deines Amtes.“„Nicht doch, o Herr!“ — rief der Weise, schon unter dem Zugriff der Henkersknechte. „Haben dich meine Worte nicht überrascht? Erwartetest du nicht eher die Antwort, du werdest mich köpfen lassen?“

„Deine Worte haben mich nicht überrascht“ — entgegnete der König. „Denn der Schreck, der sie diktiert hat, steht dir im Gesicht geschrieben. Schluß damit! Herunter mit dem Kopf!“ Und klirrend kollerte über die Fliesen der Kopf des zweiten Weisen. Der dritte, der älteste von allen, sah ganz ruhig diese Szene mit an. Als aber der König von neuem eine staunenswerte Erzählung forderte, da sprach der Greis:“O König, ich könnte dir eine wahrhaft außergewöhnliche Geschichte erzählen. Doch ich werde es nicht tun. Denn mehr als dein Staunen erstrebe ich deine Aufrichtigkeit. Ich zwinge dich dazu. Du wirst mich köpfen lassen, aber nicht unter dem plumpen Vorwand dieses Spiels, das du aus dem Töten zu machen suchst, sondern einfach im Einklang mit deiner Natur. Grausam, wie sie ist, scheut sie sich gleichwohl, ohne fälschende Bemäntelung zu tun, was ihr lieb ist. Du möchtest uns köpfen, und nachher soll sich herumsprechen, der König hätte die Dummen ausgetilgt, die hochstapelnd als Weise aufgetreten seien. Ich aber will, daß sich die Wahrheit herumspricht. Deshalb werde ich schweigen.“