Die zweite Reise oder König Grausams Angebot
Der durchschlagende Erfolg bei der Anwendung des Gargancjan-Rezepts hatte in beiden Konstrukteuren die Abenteuerlust geweckt, so daß sie beschlossen, erneut in unbekannte Gefilde aufzubrechen. Als es jedoch darum ging, das Ziel der Reise festzulegen, stellte sich heraus, daß von Übereinstimmung nicht die Rede sein konnte. Jeder der beiden hatte eine gänzlich andere Konzeption: Trurl, der für wärmere Gefilde schwärmte, träumte von Tropicanien, dem Land der subsolaren Sonnenanbeter. Klapauzius hingegen — eher von nordisch kühlem Temperament — war fest entschlossen, den Intergalaktischen Kältepol zu besuchen, einen düsteren Kontinent, umgeben von eisigen Sternen. Die Freunde waren schon dabei, sich wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten für immer zu trennen, als Trurl plötzlich eine Idee hatte, die er bei aller Bescheidenheit für genial hielt. „Warte mal“, sagte er, „wir können doch eine Annonce aufgeben, in der wir unsere Dienste anbieten. Von allen Angeboten, die wir bekommen, suchen wir dann das beste aus.“ — „Dummes Zeug“, brummte Klapauzius. „Wo willst du eine Annonce aufgeben? In der Zeitung vielleicht? Weißt du denn nicht, wie lange eine Zeitung braucht, um den nächstgelegenen Planeten zu erreichen? Alt und grau wärst du, bis das erste Angebot bei dir einginge!“
Trurl aber lächelte überlegen und entwickelte einen originellen Plan, dem Klapauzius nolens volens zustimmen mußte, und so machten sich beide an die Arbeit. Mit Hilfe von Spezialwerkzeugen, die sie in aller Eile hergestellt hatten, holten sie die nächstgelegenen Sterne heran und formten aus ihnen eine riesige Inschrift, sichtbar noch aus Entfernungen, die sich eigentlich schon gar nicht mehr berechnen ließen. Das erste Wort dieser Inschrift oder, besser gesagt, der Annonce, war aus besonders hell leuchtenden Riesensternen zusammengesetzt, um die Aufmerksamkeit der potentiellen Leser im Kosmos auf sich zu lenken. Die übrigen Worte hingegen waren aus stellarem Kleinmaterial, den sogenannten Unterzwergen, gefertigt. Die Annonce lautete: ZWEI exzellente Konstrukteure suchen gutbezahlte Tätigkeit entsprechend ihren Fähigkeiten, vorzugsweise am Hof eines wohlsituierten Königs (sollte sein eigenes Königreich haben); nähere Bedingungen Verhandlungssache. Es war nur wenig Zeit vergangen, da landete eines schönen Tages mitten in ihrem Vorgarten ein prachtvolles Raumschiff. Es leuchtete und glänzte in der Sonne, so als sei es mit dem allerfeinsten Perlmutt verkleidet. Es hatte drei kunstvoll geschnitzte Füße und sechs Reservestelzen aus purem Gold, die jedoch eigentlich nutzlos waren, da sie nicht einmal bis zum Boden reichten. Es war offensichtlich, daß die Konstrukteure dieses Fahrzeugs über mehr kostbare Materialien als kreative Phantasie verfügt hatten. Dem Raumschiff entstieg über eine prachtvolle Treppe mit sprudelnden Springbrunnen auf beiden Seiten ein Fremdling von majestätischer Gestalt, umgeben von einem Gefolge sechsfüßiger Maschinen: Die einen massierten ihn, andere stützten ihn, und wieder andere fächelten ihm Luft zu; die kleinste Maschine aber umkreiste sein erhabenes Haupt und besprühte es mit Eau de Cologne aus einem Zerstäuber. Eingehüllt in diese Duftwolke begrüßte der imposante Emissär die Konstrukteure im Namen seines Herrschers, König Grausam, und bot ihnen eine Anstellung in dessen Reich an.
„Und worin soll unsere Arbeit bestehen?“ fragte Trurl interessiert.
„Einzelheiten, meine Herren, werden Sie an Ort und Stelle erfahren“, erwiderte der Fremdling. Er trug Pumphosen aus Gold, nerzbesetzte Halbstiefel, Ohrenschützer in Form von Golddukaten und eine Purpurrobe von höchst ungewöhnlichem Schnitt — statt Taschen hatte sie kleine Schubladen, gefüllt mit allerlei Süßigkeiten und Naschwerk. Den Würdenträger umsummten winzige mechanische Fliegen, die er mit kaum wahrnehmbaren, herrischen Gesten verscheuchte, wenn sie allzu zudringlich wurden.
„Für den Augenblick“, fuhr er fort, „kann ich Ihnen so viel sagen, daß Seine Grenzenlose Grausamkeit ein großer Jäger vor dem Herrn ist, ein furchtloser und unerschrockener Bezwinger der gesamten galaktischen Fauna, seine Meisterschaft in der Jagd aber hat solch einen Gipfel erreicht, daß die schrecklichsten Raubtiere schon längst kein ebenbürtiger Gegner mehr für ihn sind. Natürlich leidet er sehr darunter, denn er sehnt sich nach echten Gefahren, nach wirklichen Abenteuern, die einen ganzen Mann verlan gen, und eben deshalb…“
„Oh ja, ich verstehe“, sagte Trun lebhaft, „wir sollen ihm neue Arten von Raubtieren konstruieren, ausnehmend wilde und reißende Bestien, voller Tücke und Hinterlist, nicht wahr?“
„Sie haben, verehrter Konstrukteur, in der Tat eine überaus rasche Auffassungsgabe“, sagte der Emissär des Königs. „Wie steht es also, sind die Herren einverstanden?“
Klapauzius erkundigte sich nach den praktischen Einzelheiten und den näheren Bedingungen. Als aber der Emissär die Großzügigkeit seines Herrn in den glühendsten Farben schilderte, zögerten die beiden Konstrukteure nicht länger, packten in aller Eile ein paar Bücher und persönliche Sachen zusammen, rannten die prachtvolle Treppe hinauf und sprangen an Bord des Raumschiffs, das sogleich mit Donnergetöse und feuerspeienden Triebwerken startete und durch die schwarze galaktische Nacht dahinjagte.
Unterwegs machte der Emissär die beiden Konstrukteure mit den Sitten und Gebräuchen in König Grausams Reich vertraut, er erzählte von der Natur des Monarchen, so breit wie der Wendekreis des Krebses, von seinen ausgesprochen männlichen Leidenschaften und von vielen anderen Dingen, so daß die beiden Neuankömmlinge bei der Landung des Raumschiffs bereits in der Lage waren, sich in der Sprache der Einheimischen zu verständigen.
Man brachte sie zunächst in ein prächtiges Palais, auf einem Berg hoch über der Stadt gelegen, das von nun an ihr Domizil sein sollte. Nachdem sie sich etwas erholt hatten, sandte der König eine Kutsche, bespannt mit sechs feuerspeienden Ungeheuern, wie sie noch keiner der beiden jemals im Leben zu Gesicht bekommen hatte. Sie trugen Maulkörbe mit rauchabsorbierenden Spezialfiltern, ihre Flügel aber waren kräftig gestutzt, so daß sie sich nicht mehr in die Luft erheben konnten; sie hatten lange, mit Stahlschuppen bewehrte Schwänze sowie eiserne Spikes an allen sechs Hufen, die bei jedem Schritt tiefe Furchen im Straßenpflaster hinterließen. Kaum waren die Monster der beiden Konstrukteure ansichtig geworden, da brach das ganze Gespann in ein entsetzliches Geheul aus, spie Feuer und Schwefel und wollte sich auf sie stürzen; Kutscher in Asbestrüstungen und hinzueilende Jäger des Königs mußten die rasenden Ungeheuer mit Wasserwerfern traktieren und ihnen mit Laser— und Maserkeulen den schuldigen Respekt einprügeln, bevor Trurl und Klapauzius in die mit Samt ausgeschlagene Kutsche steigen konnten, was sie mit zitternden Knien und ohne ein Wort taten. Die Kutsche setzte sich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit, d.h. mit einem wahrhaft höllischen Drachentempo in Bewegung.
„Du, hör mal“, flüsterte Trurl Klapauzius ins Ohr, als sie mit orkanartigem Tempo, eingehüllt in Wolken von Schwefeldampf dahinjagten und alles, was sich ihnen in den Weg stellte, beiseite schleuderten, „ich habe das Gefühl, dieser König verlangt nicht irgendeinen x-beliebigen Firlefanz von uns. Ich meine, wenn er schon solche Kutschpferde hat…“