„Wie wär's mit einem künstlichen Satelliten?“ schlug Trurl vor. „Wir könnten eine automatische Steuerung installieren…“
„Wenn du einen Bleistift spitzen möchtest, dann schreist du gleich nach einem kompletten Chirurgenbesteck!“ entrüstete sich Klapauzius. „Ein Satellit, wirklich eine tolle Idee! Und wie willst du ihn herstellen, geschweige denn in die Umlaufbahn bringen? Wunder gibt es nun einmal nicht in unserem Beruf, mein Bester! Die automatische Steuerung müssen wir auf völlig andere Weise verstecken!“
„Ja aber wie willst du sie verstecken, du Unglücksrabe, wo wir doch auf Schritt und Tritt überwacht werden?! Du siehst doch selbst, daß die Lakaien und Diener kein Auge von uns lassen und daß sie ihre Nase in alles stecken. Wir werden es niemals schaffen, uns auch nur für einen winzigen Moment unbemerkt fortzustehlen… Im übrigen ist so eine automatische Steuerung ein ganz schön schwerer Brocken, wie sollen wir den hinaustragen, geschweige denn hinaus schmuggeln? Ich sehe keine Möglichkeit!“
„Reg dich nur nicht so auf!“ ermahnte ihn Klapauzius gelassen. „Vielleicht brauchen wir solch eine Apparatur überhaupt nicht.“
„Aber das Ungeheuer muß doch durch irgendetwas gesteuert werden, und wenn sein eigenes Elektronengehirn diese Aufgabe übernimmt, so wird es der König in Stücke schlagen, und dann kannst du dieser schönen Welt für immer Lebewohl sagen!“
Sie schwiegen. Die Nacht war über die Stadt hereingebrochen, und die Lichter weit unter ihnen erloschen eines nach dem anderen. Plötzlich sagte Trurclass="underline"
„Hör mal, mir ist da eine Idee gekommen. Wir könnten doch nur so tun, als bauten wir ein Ungeheuer, in Wirklichkeit aber bauen wir ein Raumschiff und fliegen mit ihm davon. Wir könnten es sogar mit Ohren, Schwanz und Klauen versehen, damit niemand Verdacht schöpft. All diesen unnötigen Plunder schütteln wir dann im Moment des Starts einfach ab. Ich glaube, das ist eine prima Idee. Wir fliehen, und der König kann uns suchen wie eine Stecknadel im Heuhaufen.“
„Und wenn nun unter unseren Dienern ein Konstrukteur von echtem Schrot und Korn ist, was mir durchaus nicht unwahrscheinlich vorkommt, dann ist es im Nu vorbei mit uns, dann heißt es ab in den Brunnen! Im übrigen — einfach so davonzulaufen… nein, das gefällt mir nicht. Wir oder er — so sieht die Sache aus; einen dritten Ausweg gibt es nicht. „
„Du hast recht, unter den Spionen kann auch ein Konstrukteur sein“, sagte Trun bekümmert. „Was, zum Teufel, sollen wir also machen? Vielleicht eine elektronische Fata Morgana?“
„Sozusagen ein Gespenst, eine elektronische Schimäre? Damit der König vergeblich einem Phantom nachjagt? Nein, vielen Dank! Er wird vor Wut rasen und zunächst einmal uns beide zu Phantomen machen!“
Sie schwiegen erneut, bis Trurl plötzlich sagte:
„Der einzige Ausweg, den ich sehe, liegt darin, daß sich das Ungeheuer den König schnappt und ihn entführt, verstehst du? Auf diese Weise…“
„Du brauchst gar nichts mehr zu sagen. Ja wirklich, das ist eine Idee! Wir könnten ihn dann festhalten… und ist dir eigentlich schon aufgefallen, daß die Nachtigallen hier noch süßer singen als in Maryland Island?“ beendete Klapauzius geschickt seinen Satz, denn einige Diener trugen in diesem Moment Lampen mit silbernen Postamenten auf die Terrasse.
„Nehmen wir einmal an, die Sache läuft tatsächlich so, wie wir es uns vorstellen“, fuhr er fort, als sie wieder allein auf der dunklen Terrasse saßen, die durch die Lampen nur spärlich beleuchtet wurde, „wie sollen wir mit unserer Geisel verhandeln, falls wir selbst irgendwo in einem Kerker schmachten?“
„Das ist wirklich ein Problem“, brummte Trurl vor sich hin, „da müssen wir noch eine andere Lösung finden… Das wichtigste jedenfalls ist der Algorithmus des Ungeheuers.“
„Na, du bist mir ein rechter Schlauberger! Das weiß doch jedes Kind, daß ohne den Algorithmus gar nichts läuft. Es hilft also nichts, wir müssen experimentieren!“
Also krempelten sie die Ärmel hoch und fingen mit dem Experimentieren an. Das aber bestand darin, daß sie zu nächst ein Modell König Grausams und des Ungeheuers herstellten, beide natürlich nur auf dem Papier, denn sie gingen streng mathematisch vor. Trurl nahm sich des Monarchen an, während sich Klapauzius mit dem Ungeheuer abmühte. Und die beiden mathematischen Modelle prallten auf dem mit Gleichungen übersäten Tisch mit solcher Wucht aufeinander, daß die Bleistifte der Konstrukteure immer wieder abbrachen. Und das Ungeheuer wand und krümmte sich mit all seinen indefiniten Integralen unter den mächtigen Schlägen der königlichen Gleichungen, brach in einer infiniten Serie undeterminierter Glieder zusammen, raffte sich aber sogleich wieder auf, indem es sich selbst in die n-te Potenz erhob, aber der König traktierte es derart gnadenlos mit Differentialen, daß die funktionalen Operatoren in alle Winde zerstreut wurden und ein derart nichtlineares algebraisches Chaos entstand, daß keiner der Konstrukteure mehr herausfinden konnte, was mit dem König und was mit dem Ungeheuer geschehen war, denn sie hatten beide in dem Wirrwarr durchgestrichener Zeichen völlig aus den Augen verloren. Also standen sie vom Tisch auf, nahmen zur Stärkung einen kräftigen Schluck aus der Leidener Flasche, setzten sich und begannen erneut mit der Arbeit, wobei sie diesmal ihr komplettes Arsenal von Tensormatrizes und linearen Vektorfunktionen zum Einsatz brachten und sich mit solchem Feuereifer an die Große Analyse machten, daß das Papier unter ihren Händen nur so rauchte. Der König stürmte mit all seinen grausamen Koordinaten und Koeffizienten vorwärts, verlor die Orientierung in einem finsteren Wald von Wurzeln und Logarithmen, zog sich den eigenen Spuren folgend auf seinen Ausgangspunkt zurück, traf dann auf einem Feld irrationaler Zahlen auf das Ungeheuer und versetzte ihm einen solch schrecklichen Schlag, daß es sogleich in einhundert Polynome zerfiel, ein x und zwei y verlor und augenblicklich um zwei Dezimalstellen herunterfiel, aber die Bestie kroch um eine Asymptote herum, verbarg sich in einem n-dimensionalen Hilbert-Raum, dehnte sich mit Hilfe des Hubble-Effekts gewaltig aus, stürzte urplötzlich vorwärts, fuchtelte voller Ingrimm mit knorrigen Kubikwurzeln herum, um den Gegner abzulenken, und schleuderte dann blitzschnell ihren panzerbrechenden Boole-Bumerang. Das gutgezielte Geschoß traf Seine Mathematisierte Majestät mit solcher Wucht, daß die komplette königliche Gleichung in ihren Grundfesten erbebte. Der grausame Monarch wankte, aber er fiel nicht, er umgab sich mit einem nichtlinearen Panzer, erreichte einen Punkt in der Unendlichkeit, kehrte blitzschnell zurück, umspannte mit kräftiger Hand die schwere Markov-Kette und traf die Bestie mit einem so furchtbaren Hieb, daß er ihr sämtliche runden und eckigen Klammern zerschmetterte. Doch die tückische Bestie, die vorn einen Logarithmus und hinten eine ganze Potenz eingebüßt hatte, raffte sich auf, packte den Gegner mit ihren Klauen und schlug ihm — rums, bums! — eine schwere Hauptachsentransformation um die Ohren (das ging schnell wie der Wind, so daß die Bleistifte der Konstrukteure wie verrückt über die transzendenten Funktionen dahinsausten), dann kam ein krachender Kovariantenhaken, gefolgt von einer unendlichen Geraden, der König taumelte, schlug der Länge nach hin und blieb bewegungslos im kommutativen Ringstaub liegen. In diesem Moment sprangen die Konstrukteure vor Freude in die Luft, lachten lauthals und tanzten einen Tangenten-Tango, danach zerrissen sie all ihre Papiere in kleine Fetzen, sehr zur Verblüffung der Spione, die ihr Treiben aus der luftigen Höhe ihres Verstecks im Kronleuchter eifrig beobachteten — völlig vergebens natürlich, denn da sie in die Geheimnisse der höheren Mathematik nicht eingeweiht waren, hatten sie selbstverständlich auch keine blasse Ahnung, weshalb Trurl und Klapauzius jetzt in ein donnerndes Hurra ausbrachen, sich gegenseitig auf die Schulter klopften und immer wieder schrien: „Sieg! Sieg!!“