Aber ihr schaut gern ins Feuer. Wenn nicht, dann nur aus Vernunft oder aus Trotz. Versucht nur, euch ans Feuer zu setzen und den Blick davon abzuwenden; gleich überzeugt ihr euch, wie es anzieht. All das, was in den Flammen vorgeht (und da geht sehr viel vor), das verstehen wir nicht einmal zu benennen. Wir haben dafür einige zehn nichtssagende Bezeichnungen. Im übrigen hatte ich davon keine Ahnung, wie jeder von euch. Und trotz meiner Entdeckung wurde ich nicht zum Feueranbeter, so wie die Materialisten nicht oder jedenfalls nicht notwendig zu Materieanbetern werden.
Im übrigen, das Feuer… Es ist bloß Anspielung. Andeutung. Deshalb kommt mich das Lachen an, wenn die biedere Frau Doktor Merriah manchmal zu einem Fremden sagt (selbstverständlich ist das irgendein Arzt, der unsere mustergültige Anstalt besichtigt), dieser Mensch dort, der Dürre, der sich dort sonne, das sei ein Pyroparanoiker. Spaßiges Wort, stimmt's? Pyroparanoiker. Was heißen soll, daß mein wirklichkeitswidriges System das Feuer zum Nenner habe. So, als glaubte ich „an das Leben des Feuers“ (eigene Worte der kreuzbraven Doktor Merriah). Versteht sich, daß daran kein Wort wahr ist. Das Feuer, das wir gern anschauen, ist ebenso lebendig wie die Fotografien unserer teuren Verstorbenen. Man kann es ein Leben lang studieren und nichts herausfinden. Die Wirklichkeit ist, wie immer, komplizierter, doch auch weniger boshaft.
Viel habe ich aufgeschrieben, und Inhalt ist wenig darin. Aber dies hauptsächlich deshalb, weil ich viel Zeit habe. Ich weiß ja, daß ich dann, wenn ich zu den wichtigen Sachen gelange, wenn ich sie bis zum Ende abschildere, wahrhaft in Verzweiflung versinken kann. Bis zu der Stunde, da diese Notizen vernichtet werden und da ich mich anschicken kann, neue zu schreiben. Ich schreibe nicht immer gleich. Ich bin keine Musikkonserve.
Ich wollte, die Sonne schiene ins Zimmer; aber um diese Jahreszeit stattet sie ihren Besuch nur vor vier Uhr ab, zudem auch noch kurz. Ich würde sie gern durch ein großes, gutes Gerät beobachten, zum Beispiel durch das auf dem Mount Wilson, das Humphrey Field vor vier Jahren errichtet hat, mit einer ganzen Garnitur von Absorptoren für das Übermaß an Energie, so daß der Mensch ruhig stundenlang das zerfurchte Gesicht unseres Vaters betrachten kann. Schlecht habe ich das gesagt, denn das ist kein Vater. Der Vater gibt Leben, die Sonne aber stirbt nach und nach, gleich vielen Milliarden anderer Sonnen.
Vielleicht wird es schon Zeit, an die Einweihung in jene Wahrheit zu schreiten, die ich durch Zufall und Forschensdrang gewann. Ich war damals Physiker. Fachmann für hohe Temperaturen. Das ist ein Spezialist, der sich so mit dem Feuer beschäftigt wie der Totengräber mit dem Menschen. Maartens, Ganimaldi und ich, wir arbeiteten zu dritt beim großen Plasmatron von Boulder. Früher hat sich die Wissenschaft im weit kleineren Maßstab der Eprouvetten, Retorten, Stative bedient, und die Resultate waren entsprechend kleiner. Wir — entnahmen der zwischenstaatlichen Sammelschiene Energie von einer Milliarde Watt und trieben sie in den Bauch eines Elektromagneten, von dem ein Abschnitt allein 70 Tonnen wog; in den Fokus des Magnetfeldes aber brachten wir eine große Quarzröhre.
Durch die Röhre lief von einer Elektrode zur anderen die elektrische Entladung, und ihre Leistung war so groß, daß sie von den Atomen die Elektronenhüllen abriß, so daß bloßer Brei aus erglühten Kernen zurückblieb, entartetes Kerngas, auch Plasma genannt, das in einer hundertmilliardstel Sekunde explodiert wäre und uns, die Panzer, den Quarz und die Elektromagneten mitsamt ihrer Betonverankerung, mit den Mauern des Bauwerks und seinem von ferne glitzernden Kuppeldach in eine Pilzwolke verwandelt hätte, und dies alles weit rascher, als die bloße Möglichkeit eines solchen Ereignisses sich denken läßt — wenn jenes Magnetfeld nicht gewesen wäre.
Dieses Feld preßte die Entladung zusammen, die durchs Plasma lief, drehte daraus etwas wie eine glutpulsende Schnur, einen dünnen, harte Strahlung sprühenden Faden, der, von Elektrode zu Elektrode ausgespannt, innerhalb des im Quarz eingeschlossenen Vakuums schwang; das Magnetfeld ließ die nackten Kernteilchen mit Temperaturen von einer Million Grad den Wänden des Gefäßes nicht nahe kommen und bewahrte so uns und unser Experiment. Aber das alles findet ihr in der Sprache hochgemuter Populärfassungen im erstbesten Buch, und ich wiederhole das unbeholfen nur der Ordnung halber, weil mit irgend etwas begonnen werden muß und weil doch nicht wohl jene Doppeltür ohne Klinke als Anfang dieser Geschichte gelten kann, oder ein Leinensack mit sehr langen Ärmeln. Allerdings fange ich im Moment zu übertreiben an, denn solche Säcke, solche Zwangsjacken werden nicht mehr verwendet. Sie sind nicht nötig, da man eine gewisse Sorte drastisch beruhigender Arzneimittel entdeckt hat. Aber lassen wir das.
Das Plasma also untersuchten wir, mit Plasmafragen befaßten wir uns, wie es sich für Physiker ziemte: theoretisch, mathematisch, weihevoll, erhaben und geheimnisvoll — in dem Sinne zumindest, daß wir dem Drängen unserer ungeduldigen, nichts von Wissenschaft verstehenden finanziellen Schutzherren Verachtung entgegenbrachten; die forderten nämlich Ergebnisse, die konkrete Anwendungen zeitigen sollten. Sich über solche Ergebnisse oder zumindest über deren Wahrscheinlichkeit auszulassen, war damals große Mode. So sollte denn ein vorläufig bloß auf dem Papier projektiertes Plasmatriebwerk für Raketen entstehen, sehr vonnöten war auch ein Plasmazünder für Wasserstoffbomben, für diese „reinen“, ja, theoretisch auszuarbeiten war sogar ein Wasserstoffreaktor oder ein thermonukleares Element nach dem Plasmaschnur-Prinzip. Kurzum, die Zukunft wenn nicht der Welt, dann zumindest ihres Energie— und Transportwesens sah man im Plasma. Das Plasma war, wie gesagt, in Mode; sich mit seiner Erforschung zu befassen, gehörte zum guten Ton, wir aber waren jung, wir wollten das tun, was am wichtigsten war und was Glanz einbringen konnte, Ruhm, im übrigen, was weiß ich? Auf die ersten Beweggründe zurückgeführt, werden die menschlichen Handlungen zu einem Häufchen von Plattheiten; Vernunft und Mäßigung wie auch die Eleganz der Analyse beruhen darauf, Querschnitt und Fixierung an der Stelle maximaler Komplikation zu vollziehen, nicht an ihren Quellen, denn alle Leute wissen ja, daß selbst die Quellen des Mississippi nicht viel Imponierendes an sich haben und daß jeder mit Leichtigkeit darüberspringen kann. Daher kommt eine gewisse Verachtung für die Quellen. Aber ich bin, wie es meine Art ist, vom Thema abgekommen.
Die großen Pläne, die wir und Hunderte andere Plasmologen durch unsere Untersuchungen verwirklichen helfen sollten, stießen nach einiger Zeit auf eine Zone ebenso unverständlicher wie unangenehmer Phänomene. Bis zu einer gewissen Grenze, der Grenze mittlerer Temperaturen (mittlerer nach kosmischen Begriffen, solcher also, wie sie an der Oberfläche der Sterne herrschen), verhielt sich das Plasma fügsam und solid. Wurde es mit angemessenen Fesseln gebunden, etwa mittels jenes Magnetfeldes oder gewisser raffinierter Tricks, die auf dem Induktionsprinzip beruhen, so ließ es sich in die Tretmühle praktischer Anwendungen spannen, und zum Schein konnte seine Energie verwertet werden. Zum Schein, denn mehr Energie wurde für das Aufrechterhalten der Plasmaschnur aufgewendet, als man daraus gewann; die Differenz setzte sich in Verluste durch Strahlung um — und eben in Entropiezunahme. Die Bilanz war für den Augenblick nicht wichtig, denn aus der Theorie ging hervor, daß bei höheren Temperaturen die Kosten automatisch sinken sollten. Wirklich entstand also irgendein Prototyp eines Düsenstrahl-Motörchens, ferner sogar ein Generator sehr harter Gammastrahlen, doch zugleich erfüllte das Plasma viele der in es gesetzten Hoffnungen nicht. Das kleine Plasma-Triebwerkchen funktionierte, aber die für höhere Leistung entworfenen explodierten oder verweigerten den Gehorsam. Es erwies sich, daß das Plasma sich in einem gewissen Bereich thermischer und elektrodynamischer Erregungen nicht so verhielt, wie dies die Theorie vorsah; alle waren darüber entrüstet, denn die Theorie war in mathematischer Hinsicht außerordentlich elegant und ganz neu.