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„Was verstehen Sie unter einem Artefakt?“ — fragte ich.

„Arte factum, also etwas künstlich Geschaffenes. Noch zu Schwanns Zeiten vergnügte man sich mit der Imitation lebender Formen, und zwar indem man Chloroformtröpfchen in Öl brachte; solche Tropfen führen amöbenhafte Bewegungen aus, kriechen über den Boden des Gefäßes und teilen sich sogar bei Änderung des osmotischen Drucks an den Polen, aber das sind rein äußerliche, primitive Ähnlichkeiten, die soviel mit dem Leben gemein haben wie eine Schaufensterpuppe mit einem Menschen. Entscheidend ist ja der innere Bau, die Mikrostruktur. Auf eurer Aufnahme sieht man, wenn auch undeutlich, wie die Teilung dieser Einzeller verläuft; die Gattung kann ich nicht bestimmen, und ich könnte nicht einmal Gift darauf nehmen, daß es nicht ganz einfach Zellen tierischen Gewebes sind, die lange Zeit hindurch auf künstlichen Nährböden gezüchtet und mit Hialuronidase behandelt wurden, um sie zu trennen, voneinander abzulösen; jedenfalls sind es Zellen, denn sie haben den Chromosomensatz, wenn er auch defekt ist. Wurde die Umwelt dem Einwirken irgendeines krebsbildenden Mittels ausgesetzt?…“

Nicht einmal Blicke warfen wir einander zu. Wir bemühten uns, seine immer zahlreicheren Fragen nicht zu beantworten. Ganimaldi bat den Gast, den Film nochmals anzuschauen, aber dazu kam es dann nicht, ich weiß nicht mehr, aus welchen Gründen, vielleicht war der Professor in Eile, oder vielleicht dachte er, hinter unserer Einsilbigkeit verberge sich irgendeine Fopperei. Ich erinnere mich wirklich nicht. Jedenfalls blieben wir allein zurück, und erst als sich hinter jener Autorität die Tür geschlossen hatte, schauten wir einander an, wahrhaft entgeistert.

„Hört zu“ — sagte ich, bevor einer zum Reden kam — „ich finde, wir sollten einen anderen Spezialisten einladen und ihm den ungeschnittenen Film zeigen. Jetzt, wo wir wissen, worum gespielt wird, muß das schon ein Fachmann reinsten Wassers sein — auf dem Gebiet der Einzeller.“

Maartens schlug einen seiner Universitätsbekannten vor, der in der Nähe wohnte. Er war aber nicht daheim, erst nach einer Woche kehrte er zurück, und nun kam er zu der sorgsam vorbereiteten Vorführung. Ganimaldi hatte sich nicht dafür entschieden, ihm die Wahrheit zu sagen, sondern zeigte ihm einfach den ganzen Film, mit Ausnahme des Anfangs; denn das Bild der Verwandlung, dort, wo sich die Plasmaschnur zu einzelnen, fiebrig zuckenden Tropfen einschnürte, hätte allzuviel zu denken geben können. Dafür projizierten wir diesmal das Ende, diese letzte Existenzphase der Plasma-Amöbe, die auseinanderflog wie eine Sprengladung.

Dieser zweite Spezialist, auch ein Biologe, war weit jünger als der andere und daher weniger überheblich, es scheint auch, daß er Maartens freundlicher gesinnt war.

„Das sind irgendwelche Tiefwasseramöben“ — sagte er. „Der Innendruck hat sie in dem Augenblick gesprengt, als der Außendruck zu sinken begann. So, wie es bei den Tiefseefischen ist. Sie lassen sich nicht lebend vom Meeresgrund heraufholen, sie gehen immer zugrunde, von innen her gesprengt. Aber wie kommt ihr zu solchen Aufnahmen? Habt ihr die Kamera in die Tiefsee versenkt, oder was sonst?“

Er betrachtete uns mit zunehmendem Argwohn.

„Die Aufnahmen sind unscharf, nicht wahr?“ — bemerkte Maartens bescheiden.

„Unscharf, und wenn schon, interessant sind sie doch. Außerdem verläuft der Teilungsprozeß irgendwie abnormal. Ich habe die Reihenfolge der Phasen nicht gut bemerkt. Laßt doch den Film noch einmal laufen, aber langsamer…“

Wir ließen ihn so langsam laufen, wie es nur möglich war, aber das half nicht viel, der junge Biologe war nicht recht zufrieden. „Noch langsamer geht es nicht?“

„Nein.“

„Warum habt ihr keine Zeitdehneraufnahmen gemacht?“

Ich hatte gewaltige Lust, ihn zu fragen, ob er fünf Millionen Aufnahmen pro Sekunde nicht für eine gewisse Zeitdehnung halte, aber ich biß mir auf die Zunge. Letzten Endes ging es da nicht um Witze.

„Ja, die Teilung verläuft abnorm“ — sagte er, als er den Film zum drittenmal angesehen hatte. „Außerdem hat man den Eindruck, das alles geschehe in einem dichteren Mittel als Wasser… und überdies weist ein Großteil der Filialzellen der zweiten Generation zunehmende Entwicklungsdefekte auf, die Mitose ist durcheinandergebracht, und warum fließen sie ineinander? Das ist sehr merkwürdig… Ist das am Material von Urtieren in radioaktiver Umwelt gemacht worden?“ — fragte er plötzlich.

Ich verstand, woran er dachte. Damals wurde viel darüber gesprochen, daß die Methoden, radioaktive Asche aus den Atommeilern unschädlich zu machen, indem man sie in hermetischen Behältern auf den Grund der Ozeane versenkte, überaus riskant seien und zur Verseuchung des Meerwassers führen könnten.

Wir versicherten dem Biologen, er irre sich, das habe nichts mit Radioaktivität zu tun, und wurden ihn nicht ohne Mühe los, wie er da die Stirn runzelte, uns der Reihe nach betrachtete und immer mehr und mehr Fragen stellte, die niemand beantworten wollte, weil wir dies vorher so vereinbart hatten. Die Sache war zu unheimlich und zu groß, als daß wir sie einem Fremden hätten anvertrauen können, selbst wenn es ein Freund von Maartens war.

„Und jetzt, meine Lieben, müssen wir ordentlich nachdenken, was wir mit dieser Gottesgabe anfangen sollen“ — sagte Maartens, als wir nach dieser Konsultation, der zweiten bereits, allein zurückblieben.

„Das, was dein Biologe für das Absinken des Drucks gehalten hat, das die 'Amöben' zum Platzen gebracht hätte, das war in Wirklichkeit das plötzliche Absinken der magnetischen Feldstärke“ — sagte ich zu Maartens.

Ganimaldi, der bisher geschwiegen hatte, äußerte sich vernünftig, wie gewöhnlich.

„Ich finde“ — sagte er — „wir sollten weitere Versuche durchführen.“

Wir waren uns klar über das Risiko, das wir auf uns nahmen. Es war schon bekannt, daß das Plasma, das bei Temperaturen unterhalb einer Million verhältnismäßig „ruhig“ war und sich im Zaum halten ließ, irgendwo oberhalb dieser Grenze in unbeständigen Zustand überging und sein kurzfristiges Dasein durch eine Explosion beendete, eine ähnliche wie die damals am Morgen in unserem Laboratorium. Die Verstärkung des Magnetfeldes führte nur einen Faktor fast unberechenbarer Verzögerung der Explosion in den Prozeß ein. Die Mehrheit der Physiker nahm an, der Wert gewisser Parameter ändere sich sprunghaft, und eine ganz neue Theorie „heißen Nukleargases“ werde nötig sein. Im übrigen gab es bereits etliche Hypothesen, die dieses Phänomen erklären sollten.

Jedenfalls war an die Verwertung heißen Plasmas für den Antrieb von Raketen oder Reaktoren nicht einmal zu denken. Dieser Weg wurde für falsch erachtet, für den Eingang in eine Sackgasse. Die Forscher, besonders wer sich für konkrete Resultate interessierte, kehrten zu niedrigeren Temperaturen zurück. Ungefähr so bot sich die Situation dar, als wir an die nächsten Versuche schritten.

Oberhalb einer Million Grad wird das Plasma zu einem Material, wogegen ein Waggon Nitroglyzerin eine Kinderklapper ist. Aber auch diese Gefahr konnte uns nicht abhalten. Wir waren schon allzu gespannt durch die außergewöhnliche Sensation der Entdeckung und zu allem bereit. Etwas anderes ist es, daß wir eine Unmenge monströser Hindernisse gewahrten. Die letzte Spur von Übersichtlichkeit, wie die Mathematik sie ins Innere der klaffenden Plasmagluten hineingetragen hatte, verschwand irgendwo in der Nähe der Million oder — nach anderen, weniger sicheren Methoden — bei anderthalb Millionen. Darüber hinaus versagte die Berechnung vollkommen, denn daraus ergaben sich nur noch Unsinnigkeiten.

So verblieb denn die alte Methode von Versuch und Irrtum, die des Experimentierens also, und dies zumindest in den ersten Phasen blindlings. Aber wie sollten wir uns vor den jederzeit drohenden Explosionen bewahren? Eisenbetonblöcke, dickste Stahlpanzer, Sperren — das alles wird angesichts einer Prise auf eine Million Grad erhitzter Materie zu einer Abschirmung, die gerade soviel wert ist wie ein Bogen Seidenpapier.