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Durch die Kraft der Explosion weggeschleudert, erhob sich die Wolke schon hoch über die Trümmer, die in einem Wölkchen Kalkstaub immer langsamer zerfielen. Aus seinen Schwaden tauchte eine blendend helle, langgestreckte Flamme hervor, von einer strahlenförmigen Aureole umgeben — man hätte glauben können, eine zweite, wurmförmig plattgezogene Sonne. Vielleicht eine Sekunde lang hing sie fast unbeweglich über dem rauchenden Trümmerhaufen, zog sich immerfort zusammen und dehnte sich aus, und dann glitt sie zur Erde. Mir schwammen schon schwarze und rote Kreise vor den Augen, denn diese Kreatur oder Flamme spie Glanz aus, der dem Sonnenglanz gleichkam, aber ich sah noch, als sie sich senkte, wie augenblicklich das hohe Gras verschwand und auf ihrem Weg rauchte; sie aber schob sich auf uns zu, halb kriechend, halb fliegend, und die Aureole, die sie umgab, erweiterte sich, so daß sie selbst schon der Kern einer Feuerblase war. Durch die Panzerscheiben schlug die Gluthitze der Strahlung; der Feuerwurm entschwand unseren Blicken, aber an dem Zittern der Luft über dem Abhang, an den Dampfschwaden und knisternden Funkengarben, in die sich die Sträucher verwandelten, erkannten wir, daß der Wurm sich dem Gipfel des Hügels entgegenschob. In einem plötzlichen Anfall von Panik stoben wir auseinander und stürzten blindlings davon. Ich weiß, daß ich draufloslief, Nacken und Rücken verrußt von der ungesehenen Flamme, die mich zu jagen schien. Ich sah weder Maartens noch Ganimaldi; ich war wie blind, ich raste drauflos, bis ich über irgendeinen Maulwurfshügel stolperte und auf den Grund der nächsten Mulde ins noch taufeuchte Gras fiel. Ich keuchte schwer und preßte aus aller Kraft die Lider zusammen, und obwohl ich das Gesicht im Gras hatte, erfüllte mir plötzlich die Augäpfel ein rötlicher Widerschein, wie wenn die Sonne auf die geschlossenen Augen scheint. Aber, um die Wahrheit zu sagen, dessen bin ich schon nicht so ganz sicher.

Hier tut sich in meinem Gedächtnis eine Lücke auf. Ich weiß nicht, wie lang ich lag. Ich erwachte wie aus dem Schlaf, das Gesicht im hohen Gras. Als ich mich regte, spürte ich in der Gegend von Nacken und Hals einen brennenden, gräßlichen Schmerz; längere Zeit hindurch wagte ich nicht einmal, den Kopf zu heben. Endlich tat ich das. Ich befand mich auf dem Grund einer Mulde zwischen niedrigen Hügeln; ringsum wogte sanft im Luftzug das Gras, noch mit letzten leuchtenden Tautropfen, die sich unter den Strahlen der Sonne schnell verflüchtigten. Ihre Wärme setzte mir tüchtig zu; das verstand ich erst, als ich bei vorsichtigem Betasten des Nackens dicke Brandblasen unter den Fingern spürte. Ich stand nun auf und suchte mit den Augen den Hügel auf, wo sich zuvor unser Beobachtungspunkt befunden hatte. Längere Zeit konnte ich mich nicht entscheiden, ich fürchtete mich hinzugehen. Ich fühlte in den Augen noch das gräßliche Kriechen dieses Sonnenwurms.

„Maartens!“ — rief ich. „Ganimaldi!!“

Automatisch sah ich auf die Uhr: es war fünf nach acht. Ich hielt sie ans Ohr: sie ging. Die Explosion war um sieben Uhr zwanzig erfolgt; alles Weitere hatte vielleicht eine halbe Minute gedauert. Fast drei Viertelstunden lang war ich bewußtlos gewesen?

Ich ging den Hang hinauf. Etwa dreißig Meter weit vom Gipfel der Anhöhe stieß ich auf die ersten Kahlstellen ausgebrannter Erde. Sie waren mit bläulicher, fast schon erkalteter Asche bedeckt, wie die Spur, daß hier jemand ein Lagerfeuer entzündet hätte. Aber das mußte ein sehr merkwürdiges Lagerfeuer gewesen sein, denn es war nicht auf der Stelle verharrt.

Von der verkohlten Stelle ging ein Streifen versengter Erde aus, etwa anderthalb Meter breit, gewellt, mit verkohltem Gras an beiden Rändern und lediglich vergilbtem und welkem Gras in etwas weiterer Entfernung. Dieser Streifen endete nach dem nächsten Kreis verbrannter Erde. Dicht daneben lag mit dem Gesicht nach unten, ein Knie fast bis zur Brust hochgezogen, ein Mensch. Ehe ich ihn noch anrührte, wußte ich, daß er tot war. Der scheinbar unversehrte Anzug hatte sich ins Silbergraue verfärbt, die gleiche unmögliche Farbe hatte der Nacken des Menschen, und als ich mich über ihn beugte, begann das alles unter meinem Atem zu zerstieben.

Ich sprang mit einem Schreckensruf zurück, aber da hatte ich bereits eine gekrümmte, schwärzliche Form vor mir, die nur dem allgemeinen Umriß nach an einen menschlichen Körper erinnerte. Ich wußte nicht, ob das Maartens oder Ganimaldi war, und ich hatte nicht den Mut, ihn anzufassen, denn ich ahnte, daß er schon ohne Gesicht war. Ich rannte in großen Sätzen auf den Gipfel des Hügels, aber ich rief nicht mehr. Wieder traf ich auf die Spur des feurigen Durchzugs, einen gewundenen, zu Kohle ausgebrannten schwarzen Pfad durchs Gras, der sich stellenweise zu den Ausmaßen eines Kreises von mehreren Metern erweiterte.

Ich erwartete den Anblick des zweiten Körpers, aber ich fand ihn nicht. Ich lief vom Gipfel bergab, dorthin, wo vorher unsere Grube gewesen war; von der Schutzwand aus Panzerglas war nur ein am Hang zerronnener platter Überzug geblieben, etwas wie eine gefrorene Pfütze. Alles andere — Apparate, Filmkameras, das Pult, die Ferngläser — hatte zu existieren aufgehört, und der Graben selbst war eingesunken, wie unter von oben einwirkendem Druck; nur ein paar Scherben geschmolzenen Metalls waren zwischen den Steinen zu sehen. Ich blickte zum Laboratorium hinüber. Es sah aus wie nach der Detonation einer starken Fliegerbombe. Zwischen den Brocken beim Sturz verkeilter Mauern flatterten, in der Sonne kaum sichtbar, die Flämmchen des erlöschenden Brandes. Ich sah das kaum, ich suchte mich darauf zu besinnen, in welche Richtung meine Gefährten nach unserem gleichzeitigen Sprung aus dem Erdloch gelaufen waren. Maartens hatte ich damals zur Linken gehabt, also war es wohl sein Körper, den ich entdeckt hatte — und Ganimaldi…?

Ich fing an, seine Spuren zu suchen, vergeblich, denn außerhalb des ausgebrannten Kreises hatte sich das Gras schon wieder aufgerichtet. So lief ich, bis ich einen anderen ausgebrannten Streifen fand; ich begann auf ihm bergab zu gehen, wie auf einem unter den Sohlen knarrenden Feldweg.. da erstarrte ich. Die Aschenspur erweiterte sich; Halme von totem Gras umringten einen Raum, der nicht mehr als zwei Meter lang war, und unregelmäßig geformt. An einem Ende war er schmäler, am anderen hatte er Abzweigungen… das alles zusammen erinnerte an ein deformiertes plattgewalztes Kreuz, es war mit einer ziemlich dicken Schicht von schwärzlichem Staub bedeckt, als wäre die waagrecht hingeworfene Holzfigur mit den ausgespannten Armen hier sehr lang verglommen… Aber vielleicht war das nur Einbildung? Ich weiß es nicht.

Schon seit langem schien es mir, als hörte ich fernes, durchdringendes Heulen, aber ich achtete nicht darauf. Auch menschliche Stimmen drangen zu mir, auch sie kümmerten mich nicht. Plötzlich sah ich die kleinen Menschenfiguren auf mich zulaufen; im ersten Moment warf ich mich zu Boden, als wollte ich mich verstecken, ich kroch sogar von der Aschenspur weg und sprang zur Seite; als ich den anderen Abhang entlanglief, tauchten sie plötzlich auf, sie umstellten mich von zwei Seiten. Ich fühlte, daß mir die Beine den Dienst versagten, im übrigen war mir alles eins.

Ich weiß eigentlich nicht, warum ich flüchtete — sofern das ein Fluchtversuch war. Ich setzte mich ins Gras, und die Leute umringten mich, einer beugte sich über mich, sagte etwas, ich sagte, er solle aufhören, sie sollten lieber Ganimaldi suchen, denn mir fehle nichts. Als sie mich hochheben wollten, wehrte ich mich, da packte mich jemand am Oberarm. Ich schrie vor Schmerz. Dann spürte ich einen Nadelstich und verlor das Bewußtsein. Ich erwachte im Spital.

Mein Gedächtnis war bestens erhalten. Nur wußte ich nicht, wieviel Zeit seit der Katastrophe verstrichen war. Ich hatte den Kopf in Verbänden stecken, die Verbrennungen machten sich bemerkbar, durch starken Schmerz, der sich bei jeder Bewegung steigerte; ich suchte mich also so ruhig wie möglich zu verhalten. Im übrigen sind meine Spitalerlebnisse, alle diese Hauttransplantationen, die man mir monatelang machte, gar nicht von Bedeutung, ebensowenig wie das, was später geschah. Im übrigen konnte ja nichts anderes geschehen. Erst viele Wochen später las ich in den Zeitungen die offizielle Lesart über den Unfall. Man hatte eine einfache Erklärung gefunden, die sich im übrigen aufdrängte. Das Laboratorium war durch eine Plasmaexplosion zerstört worden; von Flammen erfaßt, hatten die drei Männer zu flüchten versucht; von ihnen war Ganimaldi im Gebäude umgekommen, unter den Trümmern, Maartens war in brennender Kleidung gestorben, als er den Gipfel des Hügels erreicht hatte, und ich hatte die Katastrophe mit Verbrennungen und in schwerem Schockzustand überstanden. Die eingeäscherten Spuren im Gras hatte man überhaupt nicht beachtet, da vor allem die Laboratoriumsruine selbst untersucht worden war. Irgend jemand behauptete übrigens, das Gras habe durch den brennenden Maartens Feuer gefangen, der sich dort gewälzt hätte, weil er die Flammen habe ersticken wollen. Und so weiter.