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Er wollte flüchten. Fortgehen. Fortgehen! Er konnte die Tür nicht öffnen. Einige Zentimeter weit lüftete sie sich, und die elastische Masse, die federnd nachgab, hielt sie an und ließ sie nicht weiterrücken. Er wagte nicht gegen die Tür anzukämpfen, er fühlte, daß ihm schwindlig wurde. — Ich werde eine Scheibe einschlagen müssen — dachte er. — Aber wieviel wird der Glaser rechnen?

Schlotternd bahnte er sich den Weg zum Schreibtisch, kletterte hinauf und schaute stumpf ins Zimmer. Als grauer Nebel mit Pünktchen, als kaum wahrnehmbare schweigende Wolke umringten ihn die Kugeln von allen Seiten. Er war hungrig, aber er traute sich nicht mehr, hinabzusteigen. Er schloß die Augen und rief ein paarmal schwach, ohne Überzeugung: „Hilfe! Hilfe!“

Er schlief ein, bevor es dämmerte. In der einfallenden Dunkelheit belebte sich das Zimmer mit Blitzen und Geknall, das immer gewaltiger anwuchs. Von inneren Lichtblitzen durchleuchtet, vergrößerte sich die Masse, türmte sich, bauschte sich langsam nach oben, zitterte in feinen Erschütterungen. Von den Regalen, zwischen den weggedrängten Büchern hervor, hüpften und flogen im Bogen in blauem Gefunkel die erhitzten zuckenden Kugeln. Eine rollte ihm von oben auf die Brust, eine zweite berührte die Wange, die nächste heftete sich an die Lippen, immer mehr Kugeln bedeckten die Matratze rund um seinen zur Hälfte kahlen Schädel, blitzten ihm in die halbgeöffneten Augen, er aber erwachte nicht mehr…

In der nächsten Nacht, gegen drei Uhr morgens, fuhr auf der Straße zum Städtchen ein Lastauto vorbei. Es fuhr Milch in Kannen zu zwanzig Gallonen. Von der durchfahrenen Nacht ermüdet, nickte der Fahrer über dem Lenkrad. Das war die ärgste Stunde, da ließ sich die Schläfrigkeit einfach nicht abschütteln. Auf einmal vernahm er langgezogenes Gedröhn, das aus der Ferne herüberdrang. Instinktiv verlangsamte er die Fahrt, er sah jenseits der Bäume einen Zaun, dahinter einen dunklen verwilderten Garten und darin ein ebenerdiges Häuschen. In den Fenstern blitzte es.

* Ein Brand — dachte der Schofför, fuhr an den Straßenrand, bremste jäh und lief zur Gartenpforte, um die Bewohner des Hauses zu wecken.

Er hatte den mit Gras überwucherten Weg schon zur Hälfte zurückgelegt, als er sah, daß aus den Fenstern des Hauses, zwischen den Überresten eingedrückter Scheiben hervor, nicht Flammen strömten, sondern eine unentwegt klirrende und blitzende Schaumwelle, die immer breiter und weiter an den Wänden aufbrodelte; an den Händen und im Gesicht fühlte er weiche unsichtbare Berührungen, wie die Flügelschläge Tausender Nachtfalter; er meinte zu träumen — als ringsherum Gras und Gebüsch plötzlich von blauen Flämmchen wimmelten, als das linke Bodenfenster erglühte, wie ein weit geöffnetes riesiges Katzenauge, als die Haustür knirschte und krachend zerbarst — und er stürzte in blinder Flucht davon, und in den Augen zuckte ihm noch dieses Gebirge aus Laich, das mit langgezogenem Dröhnen das Haus zersprengte.

Experimenta Felicitologica

Eines Abends in der Dämmerstunde tauchte der berühmte Konstrukteur Trurl, schweigsam und in Gedanken versunken, bei seinem Freund Klapauzius auf. Um ihn etwas aufzumuntern, wollte Klapauzius ein paar der neuesten kybernetischen Witze erzählen, Trurl winkte jedoch gleich ab und sagte:

„Gib dir keine Mühe, mich aus meiner trübseligen Stimmung zu reißen, denn in meiner Seele hat sich ein Gedanke eingenistet, der leider ebenso wahr wie deprimierend ist. Ich bin nämlich zu dem Schluß gekommen, daß wir in unserem ganzen arbeitsreichen Leben nichts wirklich Wertvolles geleistet haben!“

Während er das sagte, glitt sein mißbilligender Blick voller Verachtung über die stolze Sammlung von Orden, Auszeichnungen und Ehrendiplomen in Goldrahmen, mit der Klapauzius die Wände seines Arbeitszimmers dekoriert hatte.

„Auf welcher Basis fällst du ein derart strenges Urteil?“ fragte Klapauzius, dessen fröhliche Stimmung wie weggeblasen war.

„Das will ich dir sogleich erklären. Wir haben Frieden gestiftet zwischen verfeindeten Königreichen, haben Monarchen im richtigen Gebrauch der Macht unterwiesen, haben Maschinen gebaut, die Geschichten erzählen und Maschinen, die zur Jagd dienen, haben heimtückische Tyrannen und galaktische Räuber zur Strecke gebracht, die uns hinterlistig nach dem Leben trachteten, aber mit all dem haben wir nur den eigenen Ehrgeiz befriedigt, uns selbst die eigene Größe bestätigt, für das Allgemeine Wohl hingegen haben wir so gut wie nichts getan. Unsere hochfliegenden Pläne, die das Leben der armen Teufel perfektionieren sollten, denen wir auf unseren planetarischen Wanderungen begegnet sind, wurden nicht ein einziges Mal durch den Zustand des vollkommenen Glücks gekrönt. Statt wirklich idealer Lösungen hatten wir ihnen nur Scheinlösungen, Krücken und Surrogate zu bieten, wenn wir also einen Titel verdient haben, so sollte man uns Scharlatane der Ontologie, spitzfindige Sophisten der Tat nennen, nicht aber Liquidatoren des Übels!“

„Mir läuft es immer ganz kalt den Rücken herunter, wenn ich höre, wie jemand davon spricht, daß er das Universelle Glück programmieren möchte“, sagte Klapauzius. „Komm zur Besinnung, Trurl! Erinnere dich doch an all die Projekte, die sich das gleiche Ziel gesteckt hatten, sind sie nicht samt und sonders jämmerlich gescheitert, sind sie nicht zum Grab der edelsten Intentionen geworden? Hast du denn schon das traurige Schicksal des Eremiten Bonhomius vergessen, der mit Hilfe der Droge Altruizin den ganzen Kosmos glücklich machen wollte? Weißt du denn nicht, wo unsere Grenzen liegen? Man kann bestenfalls die Ängste, Sorgen und Nöte des Daseins ein wenig mildern, in gewissem Umfang für Gerechtigkeit sorgen, rußig gewordenen Sonnen zu hellerem Glanz verhelfen, Öl ins knirschende Getriebe der gesellschaftlichen Mechanismen gießen — das Glück jedoch läßt sich mit keiner Maschinerie der Welt produzieren! Von seiner universellen Herrschaft darf man nur im stillen träumen, zur Dämmerstunde so wie jetzt, darf seinem idealen Bilde im Geiste nachjagen und die Phantasie an süßen Visionen berauschen, das ist aber auch schon alles, mein Freund, ein weiser Mann muß es dabei bewenden lassen!“

„Bewenden lassen!“ schnaubte Trurl empört. „Es mag wohl sein“, fügte er nach einer Weile des Nachdenkens hinzu, „daß es eine unlösbare Aufgabe ist, jene glücklich zu machen, die schon seit ewigen Zeiten existieren, und deren Leben in vorgezeichneten, geradezu trivialen Bahnen verläuft. Es wäre jedoch möglich, völlig neue Wesen zu konstruieren und sie so zu programmieren, daß sie nur eine einzige Funktion hätten, nämlich glücklich zu sein. Stell dir vor, welch prachtvolles Denkmal unserer meisterlichen Konstrukteurkunst (deren strahlenden Glanz die Zeit ja doch einmal in grauen Staub verwandeln wird) es wäre, wenn irgendwo am Firmament ein Planet erstrahlte, zu dem die Massen überall im Universum vertrauensvoll den Blick erheben könnten, um lauthals zu verkünden: 'Fürwahr, erreichbar ist das Glück in Gestalt immerwährender Harmonie, wie der große Trurl gezeigt hat — nach besten Kräften unterstützt von seinem guten Freund Klapauzius — seht nur, der lebendige Beweis blüht und gedeiht unmittelbar vor unseren entzückten Augen!'„

„Du zweifelst hoffentlich nicht daran, daß auch ich schon das eine oder andere Mal über das Problem nachgedacht habe, das du aufgeworfen hast“, bemerkte Klapauzius. Es hat Probleme schwierigster Art im Gefolge. Wie ich sehe, hast du die Lehren aus dem Abenteuer des unglücklichen Bonhomius keinesfalls vergessen und möchtest daher Geschöpfe glücklich machen, die es überhaupt noch nicht gibt, das heißt, du willst deine Glückspilze aus dem Nichts schaffen. Du solltest dir jedoch die Frage vorlegen, ob es überhaupt möglich ist, nichtexistierende Wesen glücklich zu machen. Ich für meinen Teil habe ernste Zweifel daran. Zunächst einmal müßtest du beweisen, daß der Status der Nichtexistenz in jeder Hinsicht schlechter ist als der Status der Existenz, die ja nicht immer unbedingt angenehm ist. Denn ohne diesen Beweis könnte sich das felizitologische Experiment, von dem du anscheinend besessen bist, sehr leicht als Fehlschlag erweisen. In disem Falle würden die Unglücklichen, von denen es im Kosmos ohnehin schon wimmelt, eine Menge neuer Leidensgenossen erhalten, die du geschaffen hast — und was dann?“