»Ja. Ich weiß. Wir werden sie nicht runterlassen.«
»Versprechen Sie mir das?«
»Ich kann Ihnen nichts versprechen.« Lavallier verdrehte die Augen. »Herrgott, glauben Sie, mir macht das Spaß?«
Stankowski schwieg einen Moment.
»Natürlich nicht«, sagte er. »Tut mir leid. Ich möchte ungern in Ihrer Haut stecken.«
»Ich stecke selbst ungern drin.«
»Sie machen das schon.«
Lavallier legte auf und stand eine Weile reglos da.
Sie machen das schon. Kaum einer, der ihm an diesem Morgen nicht versichert hätte, er würde das schon machen.
Es war zum Auswachsen. Nichts wäre befreiender gewesen als die Bestätigung, dass Bär mit seiner Version Recht behielt. Aber auch so drohte der Fall O’Dea den kompletten Tagesablauf zu lähmen, ausgerechnet heute, wo tausend Vorbereitungen zu treffen waren. Um die Landung der russischen Iljuschin hatte er sich schon nicht kümmern können. Wenigstens die Kanadier wollte er am Nachmittag persönlich in Empfang nehmen.
Hatte er vorhin nicht gehört, wie Mahder Wagner und O’Connor zum Mittagessen eingeladen hatte?
Das war gut. Es war die beste Idee seit langem. So hatte er sie in seiner Nähe und zugleich aus den Füßen.
FLUGHAFENGELÄNDE
Die Kantine lag im alten Terminal. Martin Mahders Büro lag in der Verwaltung, die dem Flughafen – ebenso wie die Hauptpolizeiwache und das Holiday Inn – einen halben Kilometer vorgelagert war. Er wohnte unweit des Geländes in Porz. Normalerweise fuhr er zum Mittagessen nach Hause. Für Wagner und O’Connor machte er eine Ausnahme und erklärte sich bereit, sie zum zentralen Parkplatz zu chauffieren, den das Hufeisen des alten Terminals umschloss.
Als sie die Polizeiwache hinter sich gelassen und eine hoch gelegene Straße unterquert hatten, fiel Wagners Blick auf eine kleine Koppel.
»Pferde!«, rief sie verblüfft.
Mahder lachte.
»Ja, romantisch, was? Sie gehören der Polizei. Hohe Staatsgäste und andere Prominenz werden schon mal von der Kavallerie abgeholt.«
Wagner wandte den Kopf nach hinten. Die Koppel wurde rasch kleiner. Der Anblick der drei Pferde auf dem von mehrspurigen Straßen eingelagerten Rasenstück wirkte beinahe surreal. Sie fuhren weiter auf das Terminal zu. Links neben und über ihnen verzweigten sich die Zubringer, zur Rechten gewahrte sie eine riesige Fläche aus Sand und Schutt, der die Gerippe gerade begonnener Auffahrten entwuchsen. Es kam ihr vor, als habe ein Besessener das Gewirr aus hohen und ebenerdig gelegenen Straßen und Wegen in einem Anfall von Schaffenswahn begonnen, um dann mittendrin jedes Interesse zu verlieren. Etwas Apokalyptisches haftete dem Szenario an, als seien die Dinge nicht so sehr im Entstehen als vielmehr Zeugnisse einer zivilisierten Vergangenheit, bevor der große Sturm alles hinweggefegt hatte, Flugzeuge, Technik, Fortschritt und Menschen, um wieder Platz zu schaffen für Bäume, Pferde und die Abgründe des Instinkts.
Mahder deutete auf das Band des alten Zubringers, der sich auf mächtigen Säulen zur Abflugebene hochschraubte.
»Das reißen sie alles ab«, sagte er. »Das Problem mit den alten Zubringern wäre, dass sie direkt durch den neuen Flughafen hindurchstoßen und ihn in der Mitte zerteilen würden. Die neue Straßenführung nimmt ihn von außen in die Zange.«
»Wo ist denn nun das berühmte Terminal 2?«, fragte Wagner.
Mahder lachte erneut. Sein blonder Schnurrbart klappte nach oben und gab eine Reihe schlecht gemachter falscher Zähne frei.
»Gut versteckt.«
»Ich habe gestern schon danach gesucht.« Sie zeigte auf eine breite Front mit Stahlnetzverkleidung und Spiralauffahrt jenseits des Zubringers. »Das da ist ja wohl das Parkhaus.«
»Ja, das größte Europas. Toll, was? Unser neues P2. Schon schick. Das neue Terminal entsteht dahinter. Liegt an der augenblicklichen Straßenführung, dass Sie es nicht so gut sehen können.« Mahder steuerte den Wagen unter dem Zubringer hindurch, der jetzt eine Kurve beschrieb und sich hinauf zur Abflugebene wand. Er zeigte auf eine Stelle hinter dem Parkhaus. »Passen Sie auf, jetzt… zwischen der Parkhausauffahrt und dem alten Terminal… sehen Sie den Glasbau?«
Wagner folgte seiner ausgestreckten Hand. Jenseits des P2 wuchs etwas in die Höhe, das auf den ersten Blick wie ein gigantisches Gewächshaus anmutete. Die Konstruktion war licht und filigran, trotz der kolossalen Ausmaße. Wagner sah nur einen Teil. Es war schwer zu sagen, wie groß das Ding insgesamt war, aber es schien ziemlich groß zu sein.
»Wenn wir damit fertig sind, haben wir hier Europas modernsten Airport«, sagte Mahder. »Kein anderes Terminal in der Welt hat gläserne Fluggastbrücken. Es steckt voller Raffinessen.«
»Sie scheinen ja mächtig stolz darauf zu sein«, bemerkte O’Connor.
»Ja, sicher.« Mahder hob die Brauen. »Warum auch nicht?«
»Und das bekommen Sie alles unter einen Hut? Den kompletten Umbau und die Landung einiger Dutzend Staatsmänner?«
»Ach, wissen Sie, der Flughafen erlangt Bedeutung durch das eine wie das andere. Ansonsten tangieren die Landungen den Umbau selten. Weiter hinten, an den Landebahnen und Hangars, da legen wir schon mal für ein Stündchen die Arbeit nieder, wenn jemand Wichtiges reinkommt. Alles ruht, die Prominenz macht winke, winke, steigt in ihre Limousine, und wir hauen wieder rein, als sei nichts gewesen.«
»Klingt nicht sonderlich beeindruckend.«
»Wir kriegen ja gar nichts davon mit«, sagte Mahder. »Nur, dass man sich an manchen Tagen vorkommt wie bei James Bond. Überall Agenten, Scharfschützen, Polizei.« Er zuckte die Achseln. »Lavallier macht einen ordentlichen Wirbel. Ich weiß nicht, das muss er wohl, aber trotzdem. Die haben alles und jeden gefilzt, alles auf den Kopf gestellt, mir ist schleierhaft, was hier passieren soll. Na, was soll’s. Ich bin kein Fachmann in solchen Dingen.«
»Hat Paddy auch beim Bau des neuen Terminals mitgewirkt?«
»Paddy?«, echote Mahder.
»Clohessy. Pardon, ich vergaß sein schlechtes Namensgedächtnis. Er hält sich ja seit kurzem für O’Dea.«
»Ja, hat er. Ich hatte ihn für andere Aufgaben vorgesehen, aber Sie wissen ja, wie so was geht. Wir arbeiten mit Heerscharen von Dienstleistern zusammen, ein Fiasko.«
Mahder ließ die Seitenscheibe herunterfahren und hielt einen Ausweis gegen ein elektronisches Lesegerät. Eine Schranke öffnete sich.
»Ich weiß nicht, ob Sie mal ein Haus gebaut haben«, sagte er, während sie auf einen geräumigen Parkplatz fuhren. »Mein kleines bescheidenes steht ganz in der Nähe. Es umfasst Erdgeschoss, ersten Stock, Mansarde, einen kleinen Garten und eine Garage. Sehr hübsch. Dennoch, ich würde nie wieder bauen, es war die Hölle! Selbst wenn Sie überall gleichzeitig sind, machen mindestens drei Leute gerade was falsch, sofern sie überhaupt erscheinen und nicht Kaffeepause machen oder woanders sind. Sie liefern Ihnen Sachen an, die Sie gar nicht bestellt hatten und verarschen Sie mit den Rechnungen. Jetzt potenzieren Sie das Ganze hoch auf ein Objekt wie das T2, und Sie wissen, warum unsere Leute ständig einspringen müssen. – So, da wären wir.«
Mahder parkte dicht am alten Terminal. Sie stiegen aus und folgten ihm in das Gebäude. Ungefähr hier hatten sie gestern auf Paddy gewartet.
»Ich will hoffen, dass es Ihnen schmeckt«, sagte Mahder, während sie mit dem Lift in den fünften Stock zur Kantine fuhren. »Sie kochen hier mal so und mal so, aber im Holiday Inn kochen sie eigentlich durchweg beschissen.«
O’Connor lächelte.
»Wie sagten die Könige immer so schön, wenn sie bei den Untertanen schmarotzen kamen? Lass es nicht allzu sehr schmecken. Wenn es schmeckt, versuchen sie uns zu vergiften.«
Sie fanden einen Tisch nahe der Essensausgabe. Es gab Frikadellen und Möhrengemüse. Mit Sicherheit war es keine hohe Kunst, was sie aßen, aber für einen Massenbetrieb ganz ordentlich.