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Wagner nickte.

»Wenn Liam der wäre, für den Sie ihn gerade halten«, sagte sie, »meinen Sie, wir wären dann zu Ihnen gekommen?«

Lavallier zuckte die Achseln. Offenbar tat es ihm jetzt schon leid, dass er einen Moment lang schwach geworden und ihnen Einblick in seine Sorgen gegeben hatte.

»Bleiben Sie weiterhin zu meiner Verfügung«, sagte er kühl. »Was Sie, Dr. O’Connor, betrifft, so muss ich Sie bitten, das Flughafengelände nicht zu verlassen, bis ich es Ihnen erlaube.« Er machte eine Pause. »Ich habe keine rechtliche Handhabe dazu. Sie können beide gehen, ich kann Sie nicht zwingen, hier zu bleiben. Ich kann Sie nur bitten.«

O’Connor kaute an seiner Unterlippe.

»Einverstanden«, sagte er.

»Ich werde nicht bleiben können«, sagte Wagner. »Aber ich bin erreichbar. Ist das okay? Kann ich gehen?«

Ich will gar nicht gehen, dachte sie. Ich will nicht weg von dir, Liam, nicht in dieser Situation. Nein, falsch, in keiner Situation. Ich will überhaupt nicht mehr weg von dir.

Sie sah ihn an und fing einen Blick von ihm auf. Er schien zu sagen, fahr und mach dir keine Sorgen. Das alles hier ist Teil des Spiels. Wir machen nur ein bisschen Spaß, Lavallier und ich. Spielen Räuber und Gendarm. Wenn wir uns heute Abend wiedersehen, wirst du feststellen, dass ich das Spiel für uns gewonnen habe.

Sie streckte die Hand nach ihm aus.

Im selben Moment klingelte ihr Handy.

Atemlos zerrte sie es hervor und drückte auf Empfang.

»Silberman«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung.

SPEDITION

Als Jana mit schnellen Schritten durch die Halle zu ihm herüberkam, wusste Kuhn, dass er verloren hatte. Er konnte es in ihren Augen lesen. Unwillkürlich schlang er den freien Arm um seinen Körper und zog den Kopf zwischen die Schultern.

Sie blieb vor ihm stehen.

»Du hast gelogen«, sagte sie.

Es klang weder verärgert noch sonderlich erstaunt. Jana traf eine sachliche Feststellung. Kuhn schätzte, dass sie ihn jetzt ebenso sachlich ins Jenseits befördern würde. Er wunderte sich, dass sie nicht voller Zorn auf ihn einschlug wie am Morgen.

»Ja, ich habe gelogen«, sagte er müde. »Und? Was macht das für einen Unterschied?«

Sie musterte ihn.

»Für mich macht es einen. Du hast deinen Freunden eine Nachricht übermittelt. Wie es aussieht, wissen sie nicht viel damit anzufangen, aber das könnte sich natürlich ändern.« Sie machte eine Pause. »Kuhn, du bist ein armseliger Idiot. Ich hatte dir einen fairen Handel vorgeschlagen, dein Leben gegen die Wahrheit, aber du ziehst es vor, den Helden zu spielen. Lächerlich. Du bist kein Held, hat dir das noch keiner gesagt?«

Ein Lachen gluckste in Kuhns Kehle hoch.

»Seid ihr denn welche?« Plötzlich war ihm alles egal. »Wir tun uns nicht viel, was Heldenhaftigkeit angeht. Es gibt in dieser ganzen Geschichte keinen einzigen richtigen Helden, also was erwarten Sie von mir?«

Kurz zuckte es in Janas Zügen.

»Es war dumm«, sagte sie.

»Es war nicht dumm. Ich versuche, am Leben zu bleiben, das ist alles. Was hätten Sie an meiner Stelle getan?«

»Kooperiert.«

»Sie hätten nicht kooperiert«, sagte Kuhn. »Sie wissen ganz genau, dass die SMS meine einzige wirkliche Chance war.«

»Gratuliere«, höhnte sie. »Und? Jetzt hast du gar keine mehr. Du wolltest schlau sein, stattdessen wirst du sterben, angekettet an ein rostiges Rohr.«

Kuhn senkte den Kopf. Seine Angst wurde überschattet von einer tiefen Traurigkeit, dass es so enden musste. Er schlang den Arm noch fester um sich, hielt sich tröstend umfasst und spürte, wie seine Kinnlade zu beben begann. Die Terroristin betrachtete ihn unverwandt. Dann sagte sie plötzlich:

»Du bist einsam.«

Er sah auf und schwieg.

»Einsame Entscheidungen sind entweder die klügsten oder die dümmsten.« Jana wies mit einer Handbewegung auf das Schienengefährt in der Mitte der Halle. »Das Ding da einzusetzen, ist eine sehr einsame Entscheidung. Ob klug oder dumm, wird sich herausstellen. Ich gehe Risiken ein, von denen du dir keine Vorstellungen machst, Kuhn. Am Ende steht alles oder nichts. Du hast deine Entscheidung getroffen, indem du mir die SMS verschwiegen hast, na schön. Du kanntest die Regeln, du kanntest die Alternativen. Ich habe dich gewarnt, mehr als einmal, also beklag dich nicht. Alles oder nichts, und du hast dich erwischen lassen, also nichts.«

»Es war keine dumme Entscheidung.« Kuhn schüttelte heftig den Kopf. Wenn er schon sterben musste, wollte er sich von dieser Person nicht auch noch Dummheit unterstellen lassen. »Es war das Beste, was ich tun konnte. Es war genial! Es war geistesgegenwärtig und kühn. In jedem Film, in jedem blöden Buch ist es genau das, was die Guten rechtzeitig auf den Plan ruft, bevor die Bösen zum Schuss kommen.« Er lachte gequält auf. »Was ist denn so dumm, Jana? Dass ich mich an jede Hoffnung klammere, hier noch mal lebend rauszukommen? Dass ich nicht professionell genug bin im Umgang mit Killern und Verrückten, dass ich eure perversen Spielregeln nicht beherrsche, auf die ihr so stolz seid? Dass ich finde, mein Leben gehört mir?«

»Im Augenblick gehört es dem, der am meisten dafür bietet, ob es dir gefällt oder nicht.«

»Nein, dein Leben gehört dem, der am meisten dafür bietet«, stieß Kuhn hervor. »Und er hat schon geboten, und du hast angenommen, ohne es zu merken!«

»Mein Leben gehört niemandem!«, schrie Jana.

Kuhn schluckte. Es war, als hätte eine andere Frau durch ihren Mund gesprochen.

Ihre Augen funkelten ihn hasserfüllt an.

Jetzt, dachte er. Jetzt wird sie es tun.

»Es gibt nur einen Menschen, der den Preis für mein Leben festsetzt«, sagte Jana sehr leise und akzentuiert. »Das bin ich selbst, hast du verstanden? Ich! Und den für deines mache ich gleich mit.«

»Zu spät. Du gehörst schon jemand anderem.«

»Was redest du?«

»Die Holding heißt irgendwas mit Nato, Milosevic und so. Du kannst mir mein Leben nehmen, aber ich werd’s nicht verkaufen. Wenn ich sterbe, sterbe ich wenigstens als freier Mann. Deines ist längst verkauft. Komm mir nicht mit einsamen Entscheidungen, für dich ist schon entschieden worden.«

Einen Moment lang sah Jana aus, als wolle sie doch noch zuschlagen. Dann seufzte sie und lehnte sich neben ihn an die Wand.

Eine Weile war nur Kuhns keuchender Atem zu hören, der sich allmählich wieder verflachte. Dann sagte Jana:

»So viel Pathos, Kuhn. Warum machst du uns beiden das Leben dermaßen schwer?«

»Ich?« Kuhn schüttelte in bitterer Verwunderung den Kopf.

»Mein Leben war nicht schwer, bevor du dich eingemischt hast.«

Er spürte einen Schmerz in seinem Oberarm und merkte, dass er vom Griff seiner eigenen Finger herrührte. Immer noch hielt er sich selbst umklammert. Langsam ließ er den Arm sinken, und das Gefühl der Schutzlosigkeit überkam ihn noch heftiger als zuvor. Sein Handgelenk war wund gescheuert von der Handschelle.

Schutzlosigkeit und Einsamkeit.

Jana hatte Recht.

Er war einsam. Er war immer einsam gewesen. Sie standen hier und sagten sich Wahrheiten, und am Ende würde die Frau zwei Morde begehen. Zwei weitere zuzüglich zu denen, die sie wahrscheinlich schon begangen hatte.

»Man hat wenig Gelegenheit für ein vernünftiges Gespräch«, sagte Jana in die Stille hinein. »Das ist bedauerlich. Ich meine, man kann in meiner Lage über alles Mögliche sprechen, nur nicht über das, worauf es ankommt. Man unterhält sich mit seinem Echo, und jeden, der anderer Meinung ist, muss man leider töten.«

»Was für Sorgen«, sagte Kuhn.

»Willst du einen Kaffee?«

Er wandte den Kopf und sah sie an. Ihr Gesicht war wieder ohne Ausdruck, so wie meistens. Wie ein Testgelände für Gefühle. Testen, Abbruch. Testen, Abbruch. Wie eine Wüste. Nicht traurig, nicht glücklich, einfach nur ein Gesicht.