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»Fahr langsamer«, sagte O’Connor.

Er spähte nach draußen.

»Soll ich hier abfahren?«

»Nein. – Da! Das ist es!«

Wagner drosselte das Tempo noch mehr. Silberman hatte sich vorgebeugt. Beide folgten O’Connors ausgestrecktem Zeigefinger. Rechts vor ihnen, etwas abseits der Autobahn, ragte ein einzelner, dünner Mast in den Himmel. Das untere Ende war verdeckt von Bäumen.

»Sieht aus wie ein Strommast«, sagte Silberman.

»Ein sehr hoher Strommast«, bemerkte Wagner.

»Ja.« O’Connor wies aufgeregt nach vorne. »Nimm die nächste Abfahrt. Ich will ja nicht die Pferde scheu machen, aber das Ding könnte hoch genug sein. Komisch, wir müssen darüber hinweggeflogen sein.«

»Ihr habt nach Gebäuden Ausschau gehalten, nicht nach einzelnen Masten.«

»Wir haben nach allem Ausschau gehalten. Trotzdem, immer dasselbe. Was offensichtlich ist, übersieht man. Aber du hast Recht, alles drum herum ist flach. Weißt du, wie du hinkommst?«

»Du stellst einen vor echte Probleme.« Wagner sah den Mast im Rückspiegel kleiner werden. »Ich kenne Köln seit Jahren nur von Besuchen. In dieser Ecke war ich noch nie.«

»Du bist Kika, die Göttliche«, sagte O’Connor im Tonfall des Selbstverständnisses. »Du schaffst auch das.«

»Vielleicht sollten Sie Lavallier anrufen«, schlug Silberman vor.

»Schauen wir erst mal nach. Ich kann mich irren.«

Die nächste Ausfahrt kam nach knapp drei Kilometern, ausgewiesen als Anschlussstelle Porz-Wahn. Wagner bog zweimal rechts ab, bis sie parallel zur Autobahn zurückfuhren. Eine Weile durchquerten sie freies Feld, dann tauchten rechts und links Häuser auf.

»Porz-Urbach«, las sie auf dem Ortsschild. »Und jetzt?«

»Er war ganz dicht am Autobahnkreuz. Wir müssen in den Ort hineinfahren.«

»Wenn’s weiter nichts ist.«

Es war eine Siedlung. Nur Ein- und Mehrfamilienhäuser, eine Kirche, ein kleiner Friedhof, kaum Geschäfte und Kneipen.

»Wohngegend«, stellte Silberman fest, während sie sich im Zickzackkurs durch die Straßen bewegten. Mehrere Male wurden sie von Einbahnstraßen zur Umkehr gezwungen. Kaum jemand war unterwegs. Dann plötzlich, ohne es recht zu merken, hatten sie die Autobahn unterquert.

»Zurück«, sagte O’Connor.

»Aye, Captain.«

»Rechts.«

Sie bogen in eine schmale Straße ein, die nach wenigen hundert Metern abknickte. Flachbauten erstreckten sich dort, offenbar ein

Industriegebiet. Ein mehrere Meter hohes Gitter umgab ein größeres Areal.

Mitten heraus wuchs der Mast.

Sie fuhren bis dicht vor die Absperrung und stiegen aus. Ein Schild wies verschiedene Unternehmen sowie die Gas- und Elektrizitätswerke aus. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. O’Connor strich mit den Fingern über das Gitter und zog die Stirn in Falten.

»Und?«, wollte Silberman wissen. »Nur ein Mast, oder müssen wir uns auf den nächsten Ärger vorbereiten?«

»Es gibt Tausende solcher Masten«, murmelte O’Connor halb zu sich selbst. »Allerdings wenige, die strategisch so günstig stehen. Ich glaube, zwischen hier und dem Flughafen liegen vornehmlich Bäume.«

»Woher willst du das so genau wissen?«, fragte Wagner.

»Ich hab’s vom Hubschrauber aus gesehen.«

»Hatten Sie nicht was von einem Fünf-Kilometer-Radius erzählt?«, sagte Silberman. »Meiner Schätzung nach sind wir hier bei weitem keine fünf Kilometer vom Flughafen entfernt.«

»Drei bis fünf Kilometer hatte ich gesagt.« O’Connor ging ein Stück am Gitter entlang. »Womöglich sogar mehr. Aber Sie haben Recht, es sind maximal drei Kilometer. Eher zwei. Das heißt, der Frachtflughafen liegt noch mal einen Kilometer weiter draußen, stimmt. Wenn man vom Flughafen spricht, hat man immer das Terminal vor Augen. Doch drei? Vier sogar?« O’Connor winkte sie mit einer Handbewegung heran. »Kommt mal her.«

Sie traten neben ihn und folgten seinem Blick nach oben.

»Dieses schöne Gitter besticht durch handliche Querstreben im oberen Bereich«, sagte O’Connor munter. »Wenn ihr mir ein bisschen hochhelft, komme ich dran.«

»Du kommst an gar nichts dran«, sagte Wagner entschieden. »Weil du nämlich nichts greifen kannst mit deinen Händen.«

O’Connor betrachtete sie gedankenverloren. Dann sprang er unvermittelt an dem Gitter hoch und bekam die unterste Strebe zu fassen. Er stöhnte leise auf, zog sich aber weiter nach oben.

»Sie haben einen spannenden Freund«, sagte Silberman zu Wagner.

»Ja«, nickte sie düster. »So kann man’s auch betrachten.«

JANA

Jana wollte ihren Augen nicht trauen.

Sie hatte den Audi unter der Autobahnbrücke geparkt und die Kameras im Kofferraum gelassen. Ihr Blouson verbarg das Halfter mit der Glock und die Walther PP hinten in ihrem Hosenbund. Dann war sie das kurze Stück zu Fuß gegangen. Mit allem hatte sie gerechnet, schlimmstenfalls damit, die Spedition umstellt zu sehen. Nun musste sie voller Verblüffung feststellen, wer sich dort am Gitter des GEW-Geländes herumtrieb.

Sie erkannte O’Connor auf den ersten Blick. Nachdem Gruschkow die Homepage des Physikers im Internet aufgestöbert hatte, hatte Jana sein Bild genauest ens studiert. Der Doktor war eitel, augenscheinlich zu Recht. Nicht zufrieden damit, dem Nobelpreis entgegenzusehen und die Bestsellerlisten anzuführen, hatte er offenbar beschlossen, sich nun auch noch zu Janas persönlicher Geißel zu entwickeln.

Rasch drückte sie sich in eine Einfahrt und spähte die Straße hinunter.

Die Frau musste Kika Wagner sein. Kuhn und Gruschkow hatten sie als sehr groß beschrieben. Den Schwarzen kannte sie nicht.

Voller Zorn pirschte sie sich näher heran. Unter anderen Umständen hätte sie die Spedition mit aller Selbstverständlichkeit betreten. Die Mitglieder des Kommandos waren mehrfach ein und aus gegangen in den letzten Monaten, wenn Leute oder Fahrzeuge unterwegs gewesen waren. Die beste Tarnung war, sich öffentlich zu zeigen. O’Connors Hiersein jedoch änderte die Parameter. Es verhieß nichts Gutes, dass er da oben im Gitter hing und offensichtliches Interesse an dem Mast bekundete. Sie brauchte keine langen Erklärungen, um zu begreifen, was er da tat.

Und was er herausgefunden hatte.

Ungewollt empfand sie Bewunderung.

Während sie der Gruppe näher kam, überlegte sie fieberhaft, was zu tun sei. Viel Zeit blieb ihr nicht. Mittlerweile konnte sie Fetzen von dem aufschnappen, was sie untereinander besprachen. Niemand sah zu ihr herüber, und wer es getan hätte, dem wäre nichts weiter aufgefallen. Jana hätte sich noch auf freiem Feld unsichtbar machen können. Es gab unzählige Möglichkeiten, sich zu verbergen, wo Stromkästen, Einfahrten und Bäume das Straßenbild unterbrachen. Die Menschen waren blind.

Aber leider nicht dumm.

Es war nicht auszuschließen, dass sie bereits die Polizei verständigt hatten. Jana wusste, dass sie zum Handeln gezwungen war. Sie hoffte inständig, die drei würden wieder verschwinden. Fünf Minuten, mehr brauchte sie nicht, um Cordula Malik in der Spedition zu begraben und als Laura Firidolfi hier herauszuspazieren, Gruschkow im Schlepptau.

Aber O’Connor kletterte noch höher.

Und dann reckte er den Kopf und sah über die Autobahn hinweg dorthin, wo der Flughafen war.

WAGNER

»He!«, rief O’Connor ihnen zu. Er hing wie ein Affe in den Streben und winkte mit der Hand. Es sah aus, als bettele er um Nüsse. Wenn er fallen würde, wären es mindestens fünf Meter.

»Kannst du bitte ein bisschen aufpassen«, rief sie zurück. »Ich meine, wegen der Lesungen. Es hat rein praktische Gründe.«

»Keine Sorge. Ihr würdet platzen vor Neid, dass ich mal wieder draufgekommen bin. Ich kann über die Autobahn hinwegsehen, und wisst ihr, was ich noch sehe?« Er lachte zufrieden. »Den Flughafen!«