Выбрать главу

»Heißt das nun, Sie sind dafür oder dagegen?«, sagte die Schauspielerin.

Der Vorstand verdrehte die Augen und trank.

»Ich weiß es eben nicht«, sagte O’Connor, »weil ich immer noch nicht weiß, was es ist.«

»Ein Akt der Gerechtigkeit!«, sagte der IHK-Vertreter mit Entschiedenheit. »Das ist es! Die Entenbrust klingt übrigens ganz ausgezeichnet.«

»Hm.«

»Finden Sie nicht?«

»Doch, ausgezeichnet.« O’Connor schürzte die Lippen. »Wissen Sie, ich finde es gerecht, Übel zu beseitigen. Wie gesagt, ich bin blutiger Laie, und von Kriegsführung – pardon, Interventionismus! – verstehe ich nun gar nichts. Meine innere Logik sagt mir, dass es ergo ungerecht ist, Übel zu verursachen. Also kann ein Akt nur dann gerecht sein, wenn er Übel beseitigt, ohne welche zu verursachen, richtig?«

Die Dezernentin lächelte und schwieg.

»Ich weiß ja jetzt, es ist nur ein Akt, über den wir reden, gottlob kein Krieg«, fuhr O‘Connor gut gelaunt fort. »Und natürlich wusste die Nato ganz genau, dass die entstehenden Probleme die zu beseitigenden nie dominieren würden. Ebenso wie sie wusste, dass sie den Akt über Nacht gewinnen würde, weil sie so kompetent vorgeplant hatte. So gesehen bin ich absolut für den Akt. Cheers, Herrschaften.«

»Vielleicht sollten wir…«, begann Wagner.

»Natürlich ist es Krieg«, bemerkte der Buchhändler unwirsch. »Alles andere wäre ja Spiegelfechterei. Wer so argumentiert, kann überhaupt nie handeln, frei nach dem Motto: Bring deine Frau ruhig um, ich tue nichts dagegen, solange du es in deiner Wohnung machst. Es ist Krieg, zugegeben, aber es ist ein Krieg der Werte. Was meinen Sie, ist die Seezunge gut?«

»Bestimmt.«

»Augenblick.« O’Connor schüttelte den Kopf. »Wir verteidigen also Werte?«

»Genau.«

»Welche?«

»Die Seezunge mit Reis. Quatsch… ähm… na ja, das Leben… das Recht zu leben… das menschliche Leben hat einen Wert. Wenn dieser Wert attackiert wird .«

»Ich bin nicht Ihrer Meinung«, sagte O’Connor. »Mir ist diese Ideologie der Werte suspekt, wenn ich das sagen darf. Werte sind

Bestandsaufnahmen der jeweiligen Kultur, die diese Werte postuliert. Im Westen haben wir westliche Werte, den Western way of life. Unsere Auffassung davon, was Werte sind, müssen wir nicht verteidigen, weil niemand sie angegriffen hat. Ebenso wenig können wir sie einem anderen Land aufzwingen, wenn es diese Werte nicht teilen mag. Glauben Sie im Ernst, die Kosovo-Albaner verkörpern unsere Wertvorstellungen?«

»Natürlich nicht!«

»Welche Werte wollen Sie dann verteidigen?«

»Den Wert des Lebens. Ist das etwa nichts?«

»Augenblick! Sie meinen Menschenrechte. Unveräußerliche Menschenrechte. Werte als solche sind abstrakt, also verteidigen wir schlussendlich wieder Menschen.«

»Wortklauberei. Das ist doch dasselbe!«

»Verzeihen Sie einem alten Schwätzer. Ich bin sicher, dass auch Milosevic ganz und gar der Meinung ist, Werte zu verteidigen. Hitler war das auch. Saddam Hussein ist es. Die Hisbollah meint, Werte zu verteidigen, die IRA, die ETA, die RAF waren der Ansicht. Werte verteidigen ist Unsinn. Wer meint, das zu tun, handelt nicht im Sinne real existierender Werte, sondern ficht seine persönliche Auffassung von Werten durch. Und das muss ganz und gar nicht im Interesse von Menschen geschehen. Sehen Sie, wir können uns nicht einmal auf objektiv gültige und die Situation beschreibende Vokabeln einigen. Niemand in diesem Krieg scheint das zu können, also worüber sollen wir reden? Schlicht und einfach darum sollten wir meiner Ansicht nach vergnüglichere Dinge besprechen, wie zum Beispiel Bücher. Wenn wir schon die Verschleierung der Wirklichkeit behandeln, dann wenigstens ganz auf dem Boden der Fiktion.«

Schweigen machte sich breit.

»Stimmt. Unser Gipfel ist die Literatur«, verkündete Kuhn endlich.

»Ganz richtig.«

»Genau!«

Das Gespräch drohte zu versanden. Ein Kellner eilte zur Rettung herbei und nahm geflissentlich Bestellungen auf. Im Folgenden verlagerte sich der Gesprächsgegenstand auf das Thema Wein, wozu bis auf Kuhn jeder etwas zu sagen wusste. Wagner schloss kleine Wetten mit sich ab, wie lange es dauern würde, bis die Runde ihr Augenmerk den Neuentwicklungen der Automobilindustrie zuwendete.

»Männer verstehen von so vielen Dingen etwas«, raunte sie der Kulturdezernentin zu. »Ich bin jedes Mal sprachlos.«

»Ja, ich sage auch irgendwann nichts mehr.«

O’Connor drehte langsam den Kopf und schickte Wagner einen Blick, der zu sagen schien, warum gehen wir dann nicht in eine hübsche Bar und lassen die anderen weiterschwadronieren? Lauschen irgendeiner geschmackvollen Anekdote am rauchüberwölkten Tresen. Verfallen der Musicbox und ihren Erinnerungen. Lassen die Politikaster schwätzen und sich gegenseitig einen runterholen auf den Kölner Frieden und den Krieg der Werte, während wir leidenschaftlich die Klappe halten.

Kika, deine Phantasie schlägt Blasen.

Der Vorstand der Stadtsparkasse förderte weitere Zigarillos zutage und fand in Kuhn einen Komplizen.

»Sagen Sie, Dr. O’Connor«, paffte er, »jetzt mal ganz was anderes. Wie gefällt Ihnen denn unsere schöne Stadt als Ire?«

»Als Ire?« O’Connor stutzte. »Um ganz offen zu sein, was ich bis jetzt gesehen habe, erinnert mich wirklich an Dublin.«

»Tatsächlich?«

»Ja. Ich mag den Charme des Unvollkommenen.«

»So? Hm. Unvollkommenheit will sich mir jetzt nicht erschließen. War Dublin nicht sogar Kulturhauptstadt?«

»Stonehenge war auch Kulturhauptstadt vor einigen tausend Jahren«, sagte O’Connor gleichmütig. »Dublin ist ein marodes Gebiss, dessen Besitzer die verbliebenen Zähne lieber mit goldenen Bürsten schrubben, als die Lücken mit Zahnersatz zu füllen. Aber ich gestehe, der Vergleich hinkt. Köln wurde zweimal zerstört, nicht wahr? Einmal von den Bomben der Alliierten, das zweite Mal von Architekten.«

»Völlig richtig«, pflichtete die Dezernentin bei. »Das Opernhaus gehört zum Beispiel in die Luft gesprengt.«

»Da Sie eben Charme erwähnten«, sagte der Buchhändler, »muss ich insistierend feststellen, dass aus Trümmern oft die schönsten Blüten sprießen. Ich habe in den schäbigsten Gegenden Dublins exquisite Pubs vorgefunden. Das ist in Köln nicht anders. Eigentlich, Dr. O’Connor, sollten Sie gar nicht hier sitzen, das Maritim ist ein Hotel wie jedes andere auch. Der wahre Reiz der Stadt erschließt sich hinter den Türen, nicht davor.«

Eine kaum wahrnehmbare Veränderung ging mit O’Connor vor. Wagner bemerkte, dass erstmals an diesem Abend der Glanz ehrlichen Interesses in seine Augen trat. Er beugte sich leicht vor und blähte die Nüstern, als nehme er Witterung auf.

»Und wo wäre das, wenn ich fragen darf?«

»Friesenviertel. Dahin hätten Ihre Gastgeber Sie heute Abend führen müssen – Sie verzeihen, liebe Frau Wagner, Herr Kuhn, aber für Dr. O’Connor müsste doch der irische Pub ein Eldorado sein.«

»Unsinn, Pubs hat er in Irland genug«, wandte die Kulturdezernentin ein.

»Aber keinen wie Jameson’s. Es gehen echte Iren hin, im Ernst, und die Whiskykarte ist famos. Außerdem servieren sie Galway- Austern mit Brownbread und Guinness.«

»Quatsch! Er muss ins Päffgen.«

»Ach was, Kinderkram! Klein Köln, wenn schon. Ab ins Klein

Köln.« Der Vorstand wedelte mit seinem Zigarillo und erzeugte Kalligrafien aus Rauch und Vergänglichkeit. »Das sind doch noch richtige Menschen da! Das ist viel origineller als das Päffgen.«

»Nutten und Zuhälter«, bemerkte die Schauspielerin und versuchte, O’Connor ein Stück näher zu rücken. »Was soll daran originell sein?«