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Nur erschloss sich den Hutu kein Sinn in der Erschaffung des Dunklen vor dem Hellen. Darum, so sprachen die Weisen an den Feuern, habe vielmehr die Dunkelheit die Götter geboren und sei somit selbst göttlich und das Höchste und das Göttlichste überhaupt und dem Licht in jeder Hinsicht vorzuziehen.«

Wagner hatte tatsächlich das Gefühl, einem Urknall beizuwohnen. O’Connor hatte mit rasender Geschwindigkeit gesprochen. Aus zusammenhanglosen Fetzen und Fragmenten waren Sätze geworden, dann eine Geschichte.

»Schon mal nicht schlecht«, sagte sie. »Hast du das gerade erfunden?«

»Und tatsächlich«, fuhr er fort, ohne auf ihre Frage einzugehen, »durchwirkt Dunkelheit die menschliche Geschichte als beständiges, schicksalhaftes Muster, werden wir unserer selbst bewusst in Lichtlo- sigkeit, endet Leben im Dämmer verhangener Zimmer, in dumpfen Hütten, in Erblindung und Umnachtung, finden Mörder ihre Opfer abseits erleuchteter Wege, werden Herzen gebrochen, zum Stillstand gebracht oder gestohlen, wo die Sonne sich verbirgt.«

»Wow. Starker Tobak!«

»Du bist dran.«

»Ich kann das nicht!«

»Unsinn, jeder kann das. Nicht stehen bleiben, Kika, Staffellauf! Weiter, weiter!«

Sie rang nach Luft.

»Gut, ähm… also… gut, wohledler Liam! Im Dunkel eilt Romeo zu Julia, sucht Orpheus seine Eurydike, nähert sich die verliebte Bestie der schönen Isabel. In der Lichtlosigkeit schlachtet Macbeth Duncan, köpft Judith den Holofernes. Finsternis ist das Gewand des eilenden Judas, herrscht im Kopfe Jagos, der das Licht der Großmut nicht kennt. Im formlosen Schwarz zuckt die gebärende Gäa, verbirgt sich die Natur der spinnenden Nornen…«

»Nornen?«

»He, das ist unfair!«

»Lass dich nicht aufhalten.« O’Connor grinste.

Wagner lachte. Sie trat ins Innere eines bizarren Astwerks, das sich aus großer Höhe herabsenkte und eine natürliche Kuppel bildete. Der Baum musste von beträchtlichem Alter sein. O’Connor folgte ihr.

»Es ist schön hier«, sagte sie leise.

»Eine Kathedrale«, nickte O’Connor, »um die Angst der Hoffnung zu vermählen. Im Lichte der Vernunft erstarren wir, jedoch vom Urgrund sucht uns das Verlangen, aus der dunklen, unbewussten Tiefe steigt die Lust empor.«

Wagner drehte sich zu ihm um. Das Spiel begann ihr zu gefallen.

»Oft, uns in eignes Elend zu verlocken«, deklamierte sie, »erzählen Wahrheit uns des Dunkels Schergen. Verlocken uns durch schuldlos Spielwerk, uns dem tiefsten Abgrund zu verraten.«

»Donnerwetter!«, entfuhr es O’Connor.

»Na ja. Macbeth.«

»Der alte Schotte. Ich liebe Schottland. Ich liebe deinen Geist!«

Er trat zu ihr und brachte seine Lippen bis auf wenige Zentimeter an ihre heran. Wagner entzog sich ihm, warf die Schuhe von sich und ging bis in die Mitte der natürlichen Kuppel. Ihre Finger glitten über die borkige Oberfläche des Stammes.

»Schottland?«, sagte sie. »Ich denke, du bist Ire. Sollte es dir an klaren Standpunkten mangeln?«

»Ich habe keinen Mangel an Standpunkten. Ich habe so viele, dass ich problemlos ein paar abgeben könnte.«

»Du bist liederlich.«

Er lachte leise.

»Und was bist du, barfüßige Gräfin?«

»Wollten wir nicht darüber nachdenken, was wir in Sachen Paddy unternehmen?«

»Wir wollten nachdenken. Ich erinnere mich.«

»Dafür sind wir hergekommen.«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein. Das Leben ist nicht linear. Die Umstände haben uns auf diesen Moment zugetrieben. Es ging alles nur um diesen einen Augenblick, Kika. Das Ziel erkennen. Erinnere dich der Regel.«

»Nicht überlegen.«

»Nicht überlegen! Nicht nachdenken!«

Sie lehnte sich mit ausgebreiteten Armen an den Stamm.

»Vielleicht ist das mit Paddy wichtiger als dieses… Spiel.«

Er kam näher.

»Die Nornen«, sagte er, »spinnen den Faden des Lebens, war es nicht so? Dazu gehört, dass die letzte Norne ihn zerreißt. Das ist das Spiel. Wenn wir das Leben nicht als Spiel begreifen, haben wir es schon verloren. Möchtest du heute Nacht verlieren?«

»Können wir überhaupt verlieren?«

»Ich weiß es nicht.« Er stand vor ihr, und wieder hatte sie das Gefühl, er sei von gleicher Größe wie sie. Seine Augen schimmerten im Dunkel. Einen Moment lang wirkte er ernst und nachdenklich. Dann grinste er. »Entscheide dich, Salome. Den Täufer zu küssen, bedarf es mondloser Nacht. Was verboten ist, muss jetzt geschehen, sonst geschieht es nie.«

Seine Hände streichelten ihr Gesicht und ihren Hals, glitten sanft über ihre Brüste.

»So komm, Geliebter, Kind der Nacht«, flüsterte sie. »Lieben und halten werde ich dich bis zum ersten Hahnenschrei. Wenn die Sonne dein untotes Fleisch verbrennt, wirst du erkennen, Fürst der Finsternis, wer dieses Spiel gewonnen hat.«

Das wird ja immer besser, dachte sie. Von Macbeth zu Dracula. Was kommt als Nächstes?

O’Connors Gesicht war ihr so nahe, dass sie seinen Atem spüren konnte. Sie öffnete die Lippen. Seine Zungenspitze begann, die ihre zu umspielen, drang vor, zog sich zurück.

»Das Spiel«, wisperte er. »Verloren hat, wer der Versuchung widersteht.«

»Und der Sieger? Was bekommt der Sieger?«

»Den Augenblick.«

Er begann, ihre Bluse aufzuknöpfen. Sie spürte seine Hände auf ihrer Haut, als er ihren BH nach oben schob. Seine Daumen kreisten auf ihren Brustwarzen.

Wir sollten das nicht tun, dachte sie in einer schwachen Anwandlung von Panik. Der Katzenjammer wird furchtbar sein. O’Connor lebt auf einer Bühne, und er weiß es. Er wird sich nicht ändern. Ich werde ihn nicht ändern können. Wir haben nicht die geringste Chance.

Gehörten solche Gedanken auch zum Spiel?

Sie legte den Kopf zurück und sah ihn an.

»Warum bist du nicht kleiner als ich?«, keuchte sie. »Alle Männer sind kleiner, du auch. Warum kommt es mir so vor, als wärest du größer?«

»Ich bluffe.«

»In allem?«

Er lächelte.

Sie packte ihn an den Schultern und ließ der Vernunft eine letzte Chance, das hier abzubrechen. Dann zog sie ihn zu sich heran. Ihre Finger krallten sich um die Revers seines Jacketts. Es flog ins Gras, die Krawatte hinterher. Knöpfe sprangen von seinem Hemd, als sie es aufriss und von ihm herunterfetzte, während sie zugleich die Nähte ihrer Bluse reißen hörte. Seine Haut war glatt, kaum behaart, die Bruststücke kräftig herausgemeißelt. Oberkörper und Arme glichen einer Skulptur. Nichts ließ die Maßlosigkeit erahnen, in der er lebte, den Umstand, dass er seine Venen mit Alkohol auffüllen musste, um existieren zu können. Er stieß ein dumpfes, rollendes Geräusch aus, wie das Schnurren eines Katers. Mühelos hob er sie in die Höhe. Sie schlang die Beine um ihn, ließ es zu, dass seine Zunge über ihre Brustspitzen fuhr, seine Hände unter ihren Rock fuhren, ihren Slip packten. Dann kam sie wieder auf die Füße, Slip und Rock fielen, und plötzlich sah sie sich selbst in ihrer Nacktheit, sah sich in seinen Augen und erschauderte.

»Mein Gott«, flüsterte er. »Wie schön du bist.«

O’Connor sank vor ihr auf die Knie, dass es den Anschein hatte, als wolle er sie anbeten. Seine Hände fielen herab, aber sein Blick war wie tausend Berührungen.

Flammen schossen aus ihrem Körper, und sie verging.