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Hatte Albright Angst?

Nein, hat sie nicht, hatte ihm Major Tom erzählt, wie sie Major

Thomas Nader, den Assistant Air Attache und Sicherheitsbeauftragten des USDAO scherzhaft nannten. USDAO war die Abkürzung für »United States Defense Attache Office«. In diesen Tagen pendelte Nader zwischen der amerikanischen Botschaft und dem Airport ständig hin und her. Er war damit betraut, die Landung des Präsidenten vorzuplanen und den Wunschzettel der Amerikaner in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt und den Repräsentanten des Flughafens bis ins kleinste Detail und möglichst ohne Kompromisse durchzusetzen. Wenn jemand die Befindlichkeit der US- Regierungsvertreter kannte, dann war er es.

Würde Albright jedes Mal Furcht empfinden, hatte Nader gesagt, könnte sie den Job nicht machen. So einfach. Die Amerikaner waren da ziemlich prosaisch. Außenministerin zu sein und in Deutschland einem Flieger zu entsteigen ist etwa so, als ob du, Lavallier, zu deiner Dienststelle fährst und das Auto nimmst. Erstens bist du Polizist und damit höheren Risiken ausgesetzt als die Kassiererin im Supermarkt. Zweitens ist die Gefahr, im Autoverkehr sein Leben zu verlieren, immens höher als in einem Flugzeug. Über nichts davon denkst du nach, weil du sonst verrückt würdest und dein Haus nicht mehr verlassen dürftest. Der Würstchenverkäufer lebt in seiner Welt nicht weniger gefährlich als ein Löwenbändiger in seiner. Die menschliche Seele verfügt über ausgezeichnete Schutzmechanismen. Amerikanische GIs in Vietnam, die durch eine feindliche Dschungelhölle voller Heckenschützen gestolpert waren, hatten sich im Moment der Strapazen weit ernstere Gedanken um die Blasen an ihren Füßen gemacht als darum, im nächsten Moment von einem Projektil zerrissen zu werden. Madeleine Albright begab sich nicht als ältere Frau oder Bürgerin der Vereinigten Staaten in risikoreiche Situationen, sondern ausschließlich in ihrer Funktion als Außenministerin Amerikas. Sie dachte so, handelte so, empfand so. Ihre Angst vor einem Anschlag war nicht größer als die Angst des Imkers, gestochen zu werden, sie tendierte gegen null. Angst hatten nur die, die für ihre Sicherheit sorgen mussten.

Es entsprach amerikanischer Denkart, die Dinge so zu sehen. Schon darum mochte Lavallier die Zusammenarbeit mit dem Secret Service, weil sie auf reinem Pragmatismus gründete. Außerdem waren die Amerikaner nett, zumindest die am Flughafen – aus der Stadt hörte man eher, der Secret Service raube dem BKA den letzten Nerv. Aber das war nicht sein Problem. Lavallier liebte die Hemdsärmeligkeit der US-Agenten. Er liebte auch die Russen, die das Sicherheitsbedürfnis ihres Präsidenten etwas gemächlicher zur Kenntnis nahmen und noch netter waren als die Amerikaner. Bis zu dieser Stunde, da der alkoholisierte Schriftsteller und die völlig verkaterte Frau hier aufgetaucht waren, hatte er überhaupt alles an diesem Gipfel geliebt. Es schien eine Geschichte persönlicher Erfolge zu werden.

Oder persönlicher Probleme. Neuerdings.

Am liebsten hätte er sie rausgeworfen. Gar nichts geht hier schief, wollte er sagen. In Köln nicht und am Airport schon gar nicht. Ihr habt kein Recht, mir die Zeit zu stehlen. Die einzige wirkliche Schrecksekunde zwischen dem zweiten und fünften Juni hatten wir dem Kühler eines Opel Kadett zu verdanken, der ausgerechnet vor dem Ramada-Renaissance in die Luft flog, als die Staats- und Regierungschefs dort tagten. Es hat einen Knall gegeben, womit wir statistisch, was das Aufkommen von Zwischenfällen angeht, aus dem Schneider sind. Eure Geschichte kann nicht stimmen. Legt euch wieder ins Bett und schlaft euren Rausch aus.

Stattdessen hörte er aufmerksam zu, während seine Rechte den Stummel eines Bleistifts im Rhythmus seiner Herzschläge auf die Schreibtischplatte stieß. Schließlich sagte keiner mehr etwas. O’Connor schaute aus dem Fenster. Wagner versuchte ihn anzusehen, hatte aber deutliche Probleme, etwas anderes anzustarren als ihre Füße.

Lavallier räusperte sich.

»Schön. Ich fasse zusammen, nur um zu sehen, ob ich alles richtig verstanden habe. Der Flughafentechniker Ryan O’Dea heißt in Wirklichkeit Patrick Clohessy und ist – oder war – Aktivist der Irisch Republikanischen Armee. Franz Maria Kuhn wiederum ist verschwunden und möglicherweise entführt worden, weil Sie einen Hilferuf von ihm erhalten haben. Sie selbst haben zweieinhalb Stunden später mit ihm telefoniert, und er klang komisch. Außerdem leuchtete Ihnen nicht ein, was die plötzliche Verschickung nach Düsseldorf und Essen sollte. Darüber hinaus haben Sie Clohessy letzte Nacht aufsuchen wollen, was Sie aber nicht taten.«

»Falsch«, sagte O’Connor. »Er war nicht da.«

»Ich darf meinerseits korrigieren«, gab Lavallier zurück. »Sie gelangten zu dem Eindruck, er sei nicht da. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.«

Er griff zum Hörer und wählte die Nummer der Flughafensicherheit.

»Ryan O’Dea«, sagte er. »Techniker Fassadenbau und Elektrik. Ihr müsstet ihn schnell mal herschaffen, möglichst mit Turbo. Außerdem hätte ich gern ein Treffen mit dem Leiter Sicherheit und dem technischen Leiter. Sagen wir um 10.15 Uhr. Wir treffen uns in der Verwaltung, dritter Stock, kleines Konfi.« Er überlegte eine Sekunde. »Noch was. Ich hätte gern O‘Deas direkten Vorgesetzten mit am Tisch. Egal, was er gerade zu tun hat.«

Danach berief er noch den Stellvertretenden Personalchef zu dem Treffen ein. Niemand versuchte, mit ihm darüber zu diskutieren. Lavallier wusste, dass jeder von ihnen außerordentlich beschäftigt war. Sie wiederum wussten, dass Lavallier eine solche Konferenz nicht ohne Grund anordnete. Kurz überlegte er, den kaufmännischen und den technischen Direktor zu informieren. Dann entschied er sich dagegen. Es war verfrüht. Er musste jedem Hinweis nachgehen, aber von einer Krise zu sprechen, hätte im Augenblick zu viel Staub aufgewirbelt, und die Geschäftsleitung über Probleme in Kenntnis zu setzen, trug die Krise in sich.

Unterdessen war O’Connor zu der Frau getreten. Sie lehnte ihren Kopf gegen ihn und schloss die Augen. Alles in allem sah sie aus, als falle sie in der nächsten Minute vom Stuhl und in Tiefschlaf, in der einen oder anderen Reihenfolge.

»Frau Wagner.«

Sie öffnete die Augen einige Millimeter weit.

»Haben Sie heute Morgen mit der Rezeption gesprochen?«, fragte Lavallier. »Vielleicht hat ihn da letzte Nacht jemand gesehen.«

Wagner schüttelte stumm den Kopf.

»Was heißt das nun? Gesehen oder nicht gesehen?«

»Die haben keine Ahnung.«

»Waren Sie mal in seinem Zimmer?«

Wagner straffte sich.

»Ja. Vorhin«, sagte sie mit etwas festerer Stimme. »Das Bett ist unberührt.«

»Das muss nichts heißen«, meinte Lavallier. »Er kann früh aufgestanden sein. Die Zimmermädchen können es gemacht haben.«

»Haben sie aber nicht. Er war nicht in diesem Zimmer! Die ganze Nacht nicht. Und auf dem Handy ist er auch nicht zu erreichen. Er ist ganz einfach verschwunden.«

»Läuft seine Mailbox?«