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Zu mehr als einem nervösen Schlummer, durchsetzt von alptraumhaften Bildern, hatte es nicht gereicht. Danach fühlte er einen dumpfen Kopfschmerz und leichte Übelkeit. Er wusste, dass die Übelkeit von der Angst herrührte. Er wusste wie immer eine ganze Menge, nur nicht, wie man die Zeit zurückdrehen konnte bis zu der Stunde, da er an der Bar des Maritim gesessen und mit sich gerungen hatte, ob er zu Paddy Clohessy fahren oder doch lieber ins Bett gehen sollte.

Die Frau stellte den Stuhl verkehrt herum vor Kuhn hin.

Dann nahm sie darauf Platz, verschränkte die Arme über der Rückenlehne und musterte den Lektor. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ihre dunklen Augen von eigenartiger Schönheit waren.

»Wie es aussieht, hat sich deine Lage nicht gerade verbessert«, sagte sie leise.

Kuhn bemerkte, dass sie etwas in der Hand hielt. Einen Moment lang schnürte sich ihm die Kehle zu, dann sah er, dass es keine Pistole und auch kein Folterwerkzeug war, sondern ein sehr kleines und flaches Handy.

Langsam ließ er die Luft entweichen.

»Ich habe Ihnen alles gesagt.« Es klang, als habe er monatelang kein Wort gesprochen. Die Frau sah ihn unverwandt an.

»Deine Freunde haben vor wenigen Minuten die Polizeiwache des Flughafens betreten«, sagte sie.

Die Nachricht, frohlockte Kuhn. Sie haben die SMS erhalten!

Oder waren sie nur wegen Paddy dort?

»Du magst denken, es wäre gut für dich, wenn sie die Polizei einschalten«, fuhr sie fort. »Gib dich keinen Illusionen hin. Das Gegenteil ist der Fall. – Aber ich denke, du kannst mir vielleicht verraten, was sie da tun.«

»Ich?« Seine Stimme klang zu schrill. Verdammter Narr! Sie musste annehmen, dass er ihr etwas verschwiegen hatte. »Wieso denn ich?«

»Gestern Nacht haben sie es noch vorgezogen, sich gemeinsam in die Büsche zu schlagen.«

Sie darf nichts von der SMS erfahren, dachte er. Sag ihr nichts davon! Sie würde dich augenblicklich töten.

»Also, was ist?«, forschte die Frau. »Gar keine Idee?«

»Sie wollten ohnehin zu Clohessy«, sagte Kuhn hastig. Ja, das war gut. Es stimmte sogar weitestgehend. »Entweder noch in der Nacht oder heute früh. Sie dachten, wenn sie ihn zu Hause nicht antreffen, dann wahrscheinlich am Flughafen.«

»Ja, aber warum suchen sie ihn bei der Polizei?«

»Vielleicht…« Kuhn stockte. Dann sagte er: »O‘Connor war der Ansicht, Paddy könne in etwas Größeres verwickelt sein. Er wollte im Grunde gestern schon zur Polizei. Andererseits wollte er Paddy eine Chance geben, weil sie alte Freunde sind.«

Die Frau stützte das Kinn in die Hände.

»O’Connor meint also tatsächlich, Paddys Anwesenheit am Flughafen könnte etwas mit dem Gipfel zu tun haben?«

Kuhn nickte. Dasselbe hatte sie ihn mindestens schon dreimal gefragt. Sie und der Slawe, immer abwechselnd.

Er fühlte, wie sich die Übelkeit breiig in seiner Kehle zusammenzog.

»Bitte…«

»Ja?«

»Lassen Sie mich leben. Ich werde alles tun, um Ihnen zu helfen, aber töten Sie mich nicht.« Erneut fühlte er, wie Tränen seine Augen füllten. Mühsam kämpfte er sie zurück, aber es gelang ihm nicht, das Zittern aus seiner Stimme herauszuhalten. »Ich… ich möchte nicht sterben, bitte. Ich habe Ihnen doch nichts getan.«

Die Frau hatte den Blick nach innen gerichtet.

Dann erhob sie sich und schüttelte langsam den Kopf.

»Wer sich unter die Oberfläche begibt, tut es auf eigene Gefahr. Das ist in der Liebe so und hier nicht anders. Falls es etwas gibt, das ich wissen sollte .«

Ohne ihn weiter anzusehen, ging sie durch die Halle davon.

LAVALLIER

Die Flughafenverwaltung beherbergte neben dem Personalwesen und der Leitung Technik auch die Geschäftsführung. Auf dem Weg zum Konferenzraum lief Lavallier Heinz Gombel über den Weg, dem kaufmännischen Direktor des Köln-Bonn Airport. Auch Gombels Alltag war geprägt vom Ausbau, der dem Flughafen zur Zeit eine eher wirre Verkehrssituation bescherte. Das gewaltige Vorhaben beschäftigte Heerscharen von Mitarbeitern, Technikern, Zulieferern und freien Spezialisten sowie das Marketing, dessen Sitz ebenfalls in der Verwaltung lag. Seit Anbeginn der Bauarbeiten im Vorjahr pendelte die Stimmung zwischen Euphorie und verhaltenem Optimismus. Mit hinein mischte sich neuerdings die Anspannung über den Gipfel, und Lavallier wünschte kurzzeitig, er könnte hinter der Fußleiste verschwinden, als er den Direktor erblickte. Er wollte ihn jetzt noch nicht informieren. Nicht, bevor er konkrete Ergebnisse vorzuweisen hatte.

»Na, Herr Lavallier.« Gombel kam auf ihn zu und gab ihm die Hand. »Was machen die Terroristen? Schon erste Anmeldungen?«

Er war ein freundlicher, jovialer Mann von korrektem Äußeren. Mit seinem Haarkranz und der Goldrandbrille hätte man ihn eher im Vorstand einer Bank vermutet. Lavallier lächelte und hoffte, dass man ihm nicht an der Nasenspitze ansah, wie alarmiert er war.

»Sie geben sich die Klinke in die Hand«, scherzte er zurück.

»Dann ist ja gut. Wohin gehen Sie?«

»Dritte Etage. Ich habe eine Sitzung mit der Technik und der SI einberufen«, sagte Lavallier.

Gombel, schon halb im Weitergehen, verharrte.

»Es ist doch nichts Ernstes? Wir können nichts Ernstes brauchen.«

»Im Augenblick brauche ich nur ein paar Informationen.«

»Hm. Na gut. Sie lassen mich wissen, wenn es Probleme gibt.«

»Wie immer.«

Gombel lächelte flüchtig und ging über den Lichthof in den gegenüberliegenden Gebäudetrakt. Lavallier sah ihm nach und hoffte, dass sich die Probleme bald erledigen würden. Irgendwie sah es nicht danach aus.

Er fuhr in den dritten Stock, betrat das Konferenzzimmer und nickte den Anwesenden kurz zu. Für dieses Zusammentreffen hatte er auf jegliche Formalitäten verzichtet. Es gab keine Agenda und, wie es aussah, auch keinen Kaffee. Pit Brauer, der Leiter der Abteilung Sicherheit, kurz SI, hatte sich bereits eingefunden, ein notorisch besorgter Mann mit gestutztem Vollbart und beginnender Glatze. Er wirkte nicht eben glücklich, aber das entsprach eher seinem gängigen Befinden als der besonderen Situation.

Für Lavallier war Brauer einer der wichtigsten Kontaktleute auf dem Gelände. Die Flughafensicherheit unterstand der Betreibergesellschaft und bildete somit neben der Polizei eine zweite Flanke in der Security. Nach Paragraph neunzehn des LVG waren die Flughafenbetreiber zu Eigensicherungsmaßnahmen verpflichtet, um die Gefahr eines Anschlags zu mindern. Seit einigen Jahren hatte die SI ihre Einsatzzentrale und sonstigen Räumlichkeiten im A-Bereich des alten Terminals und gebot dort über einen hoch technisierten Zauberkasten, der Kartensicherung, Kameratechnik und Funküberwachung mit einschloss. Fußstreifen und Einsatzfahrzeuge, die Tag und Nacht auf dem weit verzweigten Gelände patrouillierten, stellten sicher, dass sich niemand auf den Vorfeldern herumtrieb und dass jeder Mitarbeiter des Airports nur dort anzutreffen war, wo er auch hingehörte.

Ebenfalls im Raum war Heribert Fuchs, der Technische Leiter des Flughafens. Er war das komplette Gegenteil von Brauer, ein ewig gut gelaunter Praktiker von schlanker, durchtrainierter Statur. Seine Kohorten verteilten sich in den Kellern des Terminals und umfassten die vage Größenordnung von einigen hundert Mann nebst freien Technikern, die für Sonderaufgaben tageweise gebucht wurden.

Neben Fuchs saß ein weiterer Mann, den Lavallier nicht kannte. Er war untersetzt, hatte ein rotes Gesicht, kurzes, hellblondes Haar und einen Oberlippenbart. Lavallier schätzte ihn auf Anfang fünfzig.

»Ich darf Ihnen Martin Mahder vorstellen«, sagte Fuchs, nachdem sie kurze Begrüßungen ausgetauscht hatten.

»Freut mich.«

»Er ist Abteilungsleiter für Fassadenbau und Elektrik und O’Deas direkter Vorgesetzter.«