Выбрать главу

Sie runzelte die Stirn. Dann lachte sie kurz auf.

»Warum interessiert dich das?«

»Wenn ich sterben muss, damit Ihr Vorhaben gelingt, habe ich ein verständliches Interesse daran, oder?«

Sie hielt den Blick auf ihn gerichtet, während ihre Lider schwerer zu werden schienen. Dann drehte sie sich wortlos um und ging davon.

»Ich weiß, was Sie vorhaben«, schrie Kuhn ihr hinterher.

Sie verharrte.

»So«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.

»Es ist ein Verbrechen! Keine Heldentat. Wenn Sie das tun, sind Sie nicht besser als jeder Ihrer Feinde.«

Es war ein Versuch auf gut Glück. Aber er brachte ein Resultat, wenn auch nicht ganz das, was Kuhn sich erhofft hatte. Sie fuhr herum und kam mit raschen Schritten zu ihm zurück. Ihre Augen blitzten vor Zorn.

»Und was weißt du, wer meine Feinde sind?«

»Ich… ich weiß es nicht, aber–«

»Dann sprich nicht darüber.«

»Sie sind keine Italienerin. Sie sind Russin oder Serbin. Sie–«

»Und wenn?«

»Ihr habt verloren«, schrie Kuhn wieder. »Ihr habt verloren, könnt ihr das nicht begreifen? Ihr – habt – verloren!«

Jetzt war alles aus. Alles vorbei.

Sie starrte ihn an.

»Ja, das mag sein«, zischte sie. »Aber ihr habt nicht gewonnen. Ihr habt Milosevic nicht kleingekriegt, er ist immer noch da, und er wird euch weiterhin auf der Nase herumtanzen. Ihr habt nicht ihn und seine Truppen in die Steinzeit gebombt, sondern mein Volk und das Land, das ihr befreien wolltet. Eure Nato, euer Kanzler, der Präsident der Amerikaner, ihr denkt immerzu, die Frage nach dem Sieg sei eine Frage der technischen Überlegenheit. Die habt ihr weiß Gott demonstriert. Aber wie lange hat es gedauert, bis eure Technik den Diktator in die Knie gezwungen hat? Wer hatte alles zu leiden unter eurer Überlegenheit? Ihr redet von der Wiederherstellung von Werten und werft Bomben, aber wie viele serbische und albanische Werte habt ihr dabei vernichtet, wie viele Menschen sind dabei umgekommen?«

Ihr Atem schlug ihm entgegen. Kuhn drückte den Kopf in den Nacken und zog die Schultern hoch.

»Ihr habt euer elendes Gesicht wahren wollen«, fuhr sie fort. »Nur darum ging’s euch. Verlogene Hunde! Ihr hättet das Bombardement tausendmal stoppen können, aber es wäre nicht mit eurem Verständnis von einem Sieg einhergegangen. Man muss das ganze schöne Spielzeug schließlich ausprobieren. Ihr infantilen Narren, was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid? Dieser Schwachkopf Bill Gates, kennst du sein letztes Buch?«

Kuhn schüttelte den Kopf.

»Aber ich. Es heißt Business at the speed of light. Du solltest es lesen, wenn du noch dazu kommst. Er hat ein Computerprogramm entwickelt, es heißt Falcon View, und er schreibt mit kindlicher Begeisterung darüber, man könne damit zum Beispiel jugoslawische Brücken zerstören. Ihr denkt, die Welt ist ein Wargame! Wir alle haben verloren, das ist die Tragödie. Unser Diktator hat sich über die Menschenrechte hinweggesetzt, eurer in Amerika über die Demokratie, er hat die UNO umgangen und Russland gedemütigt, um Menschen im Namen von Menschenrechten zu bombardieren! Und ihr wollt gewonnen haben?«

»Wir haben Milosevic bombardiert«, versetzte Kuhn. »Wir–«

»Wer, wir? Die Deutschen? Warum die Deutschen? Weil die Nato gesagt hat, wenn wir mit Bomben drohen, dann wird auch bombardiert, wie stünden wir denn da? Oder weil ihr das ganze Gezeter satt hattet, wie man Hitler hätte stoppen können, wenn man ihm nur früher aufs Dach gestiegen wäre?«

»Na und?« Kuhn ballte die Fäuste. »Hätten wir lieber zusehen sollen, wie ihr ein paar hunderttausend Kosovaren abschlachtet? Und Russland, toll, sie haben einen Haufen Minderwertigkeitskomplexe mit ihrem alten Säufer an der Spitze, hätten wir sie deshalb auf den Knien bitten sollen, einem Massenmörder Einhalt zu gebieten? Gedemütigt, du lieber Gott, armer Osten, ihr tut mir ja alle so leid mit eurem Amselfeld und dem verlorenen Weltmachtstatus, zum Kotzen! Die Russen haben zugestimmt, Milosevic zu stoppen. Gerade die Russen sollten wissen, was das für Typen sind, die Massendeportationen und die Ausrottung ganzer Volksgruppen veranlassen, und wir in Deutschland wissen es am allerbesten. Darum haben wir zugeschlagen, darum war es richtig, es war richtig!«

Die Frau presste die Lippen aufeinander.

»Ja, ihr habt eure Probleme gelöst.«

Kuhn hing an seiner Kette und machte sich bewusst, was in diesen Minuten geschah. Ein Verschleppter, der möglicherweise nur noch kurze Zeit zu leben hatte, diskutierte mit seiner Entführerin über Krieg und Frieden.

Es war zum Heulen.

Aber vielleicht war es der einzige Weg.

»Ich… würde Sie gern mit einem Namen anreden«, sagte er. »Wenn ich… wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Nenn mich Jana.«

Du hättest das nicht tun sollen, dachte er im selben Augenblick. Je mehr sie dir verrät, desto geringer wird die Chance, dass sie dich leben lässt. Aber jetzt war es ohnehin zu spät.

»Für wen arbeiten Sie, Jana?«, fragte er. »Für Milosevic? Ist er derjenige, der diesen Wahnsinn will?«

»Das wäre einfach, was? Hübsch einfach. Aber die Welt ist nicht so einfach. Ich arbeite nur für einen einzigen Menschen.«

»Für wen?«

»Für eine Frau.«

Eine Frau?

»Und… wer…?«

Sie lächelte. Es war das erste Mal, dass Kuhn sie lächeln sah. Wie schade, dachte er, es ist ein Gesicht, das zum Lächeln geschaffen ist.

»Ich kenne sie noch nicht«, sagte sie beinahe heiter.

POLIZEIWACHE

»Sie kommen gerade richtig«, sagte Lavallier zu O’Connor. Er nahm eines der Fotos von seinem Schreibtisch und reichte es dem Physiker.

»Ist das der Mann, der Ihnen als Ryan O’Dea vorgestellt wurde?«

O’Connor starrte auf das Bild und gab es an Wagner weiter.

»Ja.«

»Die Bilder sind eben von Europol reingekommen«, sagte Lavallier. »Sie entstammen einer Akte, die ihren Weg aus Belfast nach Dublin fand. Vor Jahren schon. Der Mann, für den die Akte angelegt wurde, heißt Patrick Clohessy.«

»Na also«, sagte O’Connor mit zufriedenem Gesicht und setzte sich. Er kam Lavallier nicht vor wie jemand, der sich vor Sorge verzehrt. Eher, als leite er selbst die Ermittlungen und habe seinem Assistenten gerade eine Lehre fürs Leben erteilt.

Lavallier beschloss, es zu ignorieren. Er nahm den Packen Ausdrucke zur Hand, den die Kollegen aus Dublin vor wenigen Minuten an Bär geschickt hatten, und ließ seinen Blick darüberschweifen.

»Hier steht außerdem, Clohessy habe von 1990 bis Ende 1998 aktiv in den Reihen der IRA gekämpft und trage die Teilverantwortung für eine Reihe von Anschlägen mit Sach- und Personenschäden. Es liegen diverse Haftbefehle gegen ihn vor.« Er sah auf. »Durch seine Mitschuld sollen Menschen gestorben sein. Hätten Sie ihm das zugetraut, Mr. O’Connor?«

»Mord? Non, Monsieur le Commissaire.«

»Tja. Er hat offenbar genug gehabt von seinen rebellischen Freunden. Es gibt Hinweise darauf, dass er Mitte ‘98 seinen Austritt aus der IRA erklärt hat. Die waren nicht gerade begeistert. Der wissenschaftliche Flügel der Armee hat ihm offenbar eine Menge zu verdanken.«

»Paddy?«, sagte O’Connor. »Ja, er war brillant.«

»Was hat er getan, dass man einen Mörder und Terroristen als

brillant bezeichnen könnte?«, fragte Wagner.

Lavallier sah sie an. Er mochte sie für diese Frage.

»Zündungssysteme«, sagte er mit Blick auf die Ausdrucke. »Maßgeblich war er wohl an der Entwicklung einer Radarkanone beteiligt«

»Und das Brillante daran?«

»Die Umstände«, mischte sich O’Connor ein. »Du musst dir vorstellen, dass die Briten immer schon bestens ausgestattete Laboratorien, immense Budgets und ein Heer von Akademikern ins Feld führen konnten, während sich die Forschungsabteilung der IRA in irgendwelchen Kellern und Hinterzimmern herumdrückte. Dafür haben sie ganz schön raffinierte Schaltpläne ausgetüftelt. Die Engländer erfanden später ein System elektronischer Scanner, die Funkausstrahlungen aufspüren und stören können, Zehntelsekunden bevor der Bombenauslöser das Sprengsignal übermittelt. Aber die Radarkanone funktioniert anders. Sie können das Ding nicht orten. Man richtet es auf die Bombe, bevor man es einschaltet. Drückt dann einer aufs Knöpfchen, bleibt keine Zeit mehr, das Signal zu stören. Es ist sofort da.«