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Dann kam die Katastrophe.

Der Brand am Düsseldorfer Flughafen änderte alles. Über Nacht platzte der ehemalige Heideflughafen Köln plötzlich aus allen Nähten. Der ohnehin geplante Ausbau war damit beschlossene Sache. In halsbrecherischem Tempo entstanden zwei neue Parkhäuser. Neue Touristiker, neue Airlines kamen hinzu, ein erweitertes Linienangebot. Jede nur erdenkliche Kurve tendierte nach oben und schuf ein Klima der Zerreißprobe zwischen den Bewahrern und den Visionären in Köln-Bonn. Mittlerweile fehlte kaum eine namhafte Fluggesellschaft mehr auf den Anschlagtafeln, kaum ein Reiseveranstalter, der etwas auf sich hielt, kaum ein Ziel, das nicht angeflogen wurde. Augenblicklich traten sich im ehemals beschaulichen Terminal 1 die Fluggäste gegenseitig auf die Füße. Das neue Terminal würde sechs weitere Millionen Menschen jährlich fassen – was die Frage aufwarf, ob sich die Propheten des Wachstums zuletzt nicht doch fürchterlich verschätzt hatten.

Hier lag die Angst.

Lavallier wusste, dass immer noch zu wenig Menschen eine ungefähre Ahnung davon hatten, was im Heideland wirklich passierte. Die Presse erwies sich dabei als wenig hilfreich. Sie schürte Ressentiments, indem sie mit nervtötender Regelmäßigkeit die Nachtflugfrage in den Fokus rückte und das neu entstehende Terminal eher ignorierte. Nun jedoch stand der Köln-Bonn Airport im Mittelpunkt eines Interesses, das über Köln oder Nordrhein-Westfalen weit hinausging. Die Landungen der weltpolitischen Elite schienen zu bestätigen, was man im Herzen immer schon gewusst hatte. Dieser Flughafen hatte Weltformat. Nichts hätte gelegener kommen können als solch illustre Publicity.

Und nichts war katastrophaler als ein terroristischer Anschlag!

Niemand wollte einen Anschlag. Aber genauso wenig wollte man eine verpatzte Sternstunde!

Während Lavallier zurück zum Revier ging, fragte er sich, wie sie wohl reagieren würden, wenn er ernsthaft darauf bestand, die Flüge umzuleiten. Seine vorgesetzte Dienststelle, der Leiter Secret Service für den Bereich Ankunft, sie alle vertrauten ihm. Er konnte lediglich die Empfehlung aussprechen, aber sie würden der Empfehlung aller Wahrscheinlichkeit nach folgen. Dennoch wünschte sich Lavallier in diesem Moment, ohne jeden Einfluss zu sein. Er hasste es, darüber nachzudenken, wie er allen den Spaß verdarb, um am Ende vielleicht festzustellen, dass er sich geirrt hatte.

Mit zusammengebissenen Zähnen stieß er die Tür zur Wache auf.

Stankowski hatte Recht. Sie hatten Clinton. Sie hatten sich abgerackert dafür, dass der mächtigste Mann der Welt hier landen konnte.

Er schwor sich, alles zu unternehmen, damit es auch geschah!

Lavallier war sich nicht sicher, ob er Wagner und O’Connor noch antreffen würde nach seinem Gespräch mit der Geschäftsleitung. Statt dessen fand Lavallier sein Büro im Belagerungszustand vor.

Überall standen Kaffeetassen herum. Bär war da und O’Connor, Wagner, Mahder sowie jemand, der einen Overall trug und den er nicht kannte. Sie hatten sich vor dem Fenster versammelt, und jeder schien sich mit jedem zu unterhalten.

»Peter«, zischte er.

Bär wandte den Kopf, erblickte Lavallier und kam zu ihm herüber.

»Dieser O’Connor ist ein Phänomen«, sagte er leise. »Er hat mir die ganze Geschichte erzählt, ich muss schon sagen…«

»Ich weiß, dass er ein Phänomen ist«, antwortete Lavallier. »Mich würde interessieren, was das Phänomen gerade tut. Leitet er schon die Ermittlungen, oder haben wir noch eine Chance?«

»Warte.« Bär senkte seine Stimme noch mehr. »Ich habe ihn überprüft, er scheint sauber zu sein. Sehr prominent. Er ist tatsächlich für den Physik-Nobelpreis nominiert und hat sieben Bücher geschrieben, die sich allesamt verkaufen wie blöde. Auf der ganzen Linie beneidenswert, ich meine, er sieht ja weiß Gott nicht schlecht aus .«

»Ja, ja, ja«, unterbrach ihn Lavallier.

Bär lächelte geheimnisvoll. »Das ist aber noch nicht alles.«

»Nicht? Was ist er noch? Mitglied der Royal Family?«

»Nein, er ist beinahe vom College geflogen. Und weißt du auch, warum? Weil er und Clohessy sich des Sympathisantentums mit der IRA verdächtig gemacht haben.«

Lavallier stutzte. Er sah aus den Augenwinkeln zum Fenster herüber. O’Connor beschrieb soeben irgendwelche Dinge mit großer Geste.

»Sympathisant?«, fragte er. »Oder mehr?«

»Nachweislich nicht mehr. Im Gegensatz zu Clohessy. Aber das will ja nichts heißen.« Er machte eine Pause. »Vielleicht hatten sie in den letzten Jahren mehr Kontakt zueinander, als O’Connor vorgibt.«

»Ah, Monsieur le Commissaire!«

O’Connor hatte ihn erspäht. Die Gruppe löste sich auf und kam vom Fenster herüber. Plötzlich fand sich Lavallier im Mittelpunkt. Mahder schob den Mann im Overall nach vorne.

»Josef Pecek«, sagte er.

»Angenehm«, sagte Pecek. Er war klein, muskulös und untersetzt, mit drahtigem schwarzem Haar und dunklen Augen.

»Wir kennen uns bereits«, ergriff O’Connor das Wort, bevor Lavallier etwas sagen konnte. »Gestern Nachmittag auf dem Flughafen war er in… äh, Ryan O’Deas Begleitung, sie haben verschiedene Male miteinander gearbeitet. Sehen Sie? Pecek ist unser Mann! Sie müssen ihn nur noch fragen.«

Der Alkoholgeruch, den O’Connor am frühen Morgen ausgeströmt hatte, war weitestgehend verschwunden. Der Ire strahlte ihn an. Die Augen in dem gebräunten Gesicht blitzten, und Lavallier hatte das Gefühl, in Bedeutungslosigkeit zu versinken.

»Ich…«

»Können wir Kuhn nicht noch einmal anrufen?«, bat Wagner.

Lavallier hob die Hände.

»Langsam! Eins nach dem anderen. O’Connor, Sie setzen sich jetzt mal da rüber.« Er atmete tief durch und wies auf den kleinen Konferenztisch schräg gegenüber vom Schreibtisch. »Nein, Sie setzen sich bitte alle.«

Er wartete, bis sie sich an dem runden Tisch verteilt hatten. Da gefielen sie ihm zumindest besser als am Fenster.

»Bleiben Sie sitzen«, sagte er mit erhobenem Finger. »Ich komme gleich wieder.«

Er zog Bär am Ärmel hinaus auf den Flur und deutete hinter sich.

»Was soll diese Partygesellschaft?«

»Ich konnte nichts dafür«, verteidigte sich Bär. »Mahder brachte Pecek mit, sie sind zu dir ins Büro, und da trafen sie auf Wagner und O’Connor. Ich kam dazu, die Unterhaltung kam in Gang, na ja.«

»Das heißt, wir können es vergessen, Pecek unter sechs Augen zu verhören.«

»Das hat gewissermaßen schon O’Connor–«

»Verdammt! So ein Idiot.«

»Eric…«

»Du bist auch ein Idiot.«

»He, nun mal langsam, so wild ist das alles gar nicht. Weder Mahder noch O’Connor haben Pecek irgendwelche Informationen gegeben. Dieser Physiker tut sich bloß dicke, um dir eins auszuwischen.«

»Mir eins auszuwischen? Na, toll! Warum denn eigentlich?«

»Der ist so! Purer Übermut, was regst du dich auf.« Bär zog an seiner Zigarette. »Eric, im Ernst, Pecek weiß nicht, worum es geht, er weiß auch nicht, dass sein Kumpel Ryan eigentlich Paddy heißt. Alles klar?«

»Was soll denn klar sein? Habt ihr Pecek überprüft?«

»Ja, natürlich.«

»Und?«

»Es liegt nichts gegen ihn vor. Untadeliger Lebenslauf.«

Lavallier schnaubte. Er sah zur Tür seines Büros und dann wieder zu Bär.

»Was ist mit O’Deas – ich meine Clohessys Wagen?«

»Noch nicht gefunden. Hör zu, du hast mich eben ja nicht ausreden lassen…«

»O’Connor hat uns nicht ausreden lassen«, berichtigte ihn Lavallier verärgert.